Immer mehr mögliche Applikationen

SPE wird für viele Branchen relevant

8. Oktober 2024, 8:06 Uhr | Corinna Puhlmann-Hespen
© Phoenix Contact

Wie schnell wird sich Single-Pair-Ethernet etablieren? Und für welche Anwendungen wird die Technologie jetzt interessant? Fünf SPE-Experten erläutern, wie der aktuelle Stand der Technik ist und welches große Marktpotenzial die Technologie entfalten kann.

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Der Wechsel von einer vier- oder achtadrigen Verkabelung auf eine zweiadrige Verkabelung ist ein echter technischer Fortschritt: Man kann damit nicht nur Platz, Gewicht, Installationsaufwand und Kosten reduzieren, sondern auch eine durchgängige Ethernet-basierte Kommunikation bis hin zu den kleinsten Geräten – z. B. Sensoren und Aktoren – realisieren.

Während sich in der Automobilindustrie das Konzept der zweiadrigen Übertragung schon fest etabliert hat, gilt es nun, Single-Pair-Ethernet auch in die Anwendungen der Automatisierung, der Gebäudeautomation und andere Branchen zu bringen. Und daran arbeitet die Industrie.

 »Die Zahl an Firmen, die sich mit SPE auseinandersetzen, wächst rasant«, berichtet Thomas Keller, Produktmanager von Rosenberger. Waren es vor zwei oder drei Jahren noch erste Kabel- und Steckverbinderhersteller, welche Produkte präsentiert haben, zeigen in der Zwischenzeit sehr viele Firmen aus unterschiedlichen Bereichen ihre SPE-Entwicklungen. Die Produktvielfalt ist enorm gewachsen. »Nun ist die Zeit, dass Endkunden ihre Produktneuentwicklungen auf SPE umstellen bzw. mit SPE planen, denn die Technologie ist auf einem soliden Weg und wird in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen«, ist Keller überzeugt.

Interessant dabei ist: »Je mehr Firmen sich mit Single-Pair-Ethernet auseinandersetzen, desto mehr Anwendungsfelder werden definiert.«

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Das Anwendungsspektrum wächst

Tim Kindermann, Senior Specialist Single Pair Ethernet bei Phoenix Contact, beobachtet Ähnliches: »Die Technologie wird zunehmend für neue Anwendungsbereiche und Märkte interessant. Haben wir uns in der Vergangenheit vermehrt mit Anwendungsfeldern aus dem Bereich der Industrie beschäftigt, so nehmen wir nun verstärktes Interesse aus vielen neuen Märkten wahr.«

Als Beispiel nennt Kindermann die Agrarindustrie, die mit einer intelligenten Anbindung von SPE-Sensoriken einen echten Mehrwehrt für die moderne Landwirtschaft schaffen kann. SPE ist also nicht nur eine Sache der Factory Automation und Gebäudeautomation. »Ein Blick über den Tellerrand hinaus lohnt sich, da die Anforderungen intelligenter Kommunikationssysteme in fast allen Märkten und Anwendungsbereichen ähnlich sind«, erklärt Kindermann. »Die zunehmende Sammlung und Auswertung von Daten werden in vielen Bereichen immer wichtiger«. Als »wichtiges  Puzzlestück« und »Game-Changer« bezeichnet Kindermann die Rolle von Single-Pair-Ethernet für die Sektorenkopplung in der All-Electric Society.

Bedeutung der unterschiedlichen Kommunikationsprotokolle 

Gerade weil die Möglichkeiten von Single-Pair-Ethernet so vielfältig sind, spielen Kommunikationsstandards mit unterschiedlichen Reichweiten und Datenübertragungsraten eine große Rolle.

»Die SPE-Technologie selbst stellt heute eine ganze Reihe von Protokollen von 10 Mbit/s bis 25 Gbit/s bereit«, skizziert Matthias Fritsche, Senior Expert Ethernet von Harting, den aktuellen Stand. Insbesondere für die geringeren Geschwindigkeiten sind im Vergleich zu Standard-Ethernet viel größere Reichweiten möglich, und damit auch neue Anwendungen wie beispielsweise in der Prozessindustrie. Derweil geht die Entwicklung weiter, um eine Vielzahl an Anwendungsszenarien zu unterstützen. »Bei der IEEE 802.3 wird aktuell am 100Base-T1L-Protokoll für 100 Mbit/s über mindestens 500 m Kanallänge gearbeitet. Wenn dieser Standard voraussichtlich im nächsten Jahr publiziert wird, erwarten wir erste Hardware ab Ende 2025«, gibt Fritsche einen Einblick in die Aktivitäten. »Damit eröffnet sich dann eine Reihe neuer Möglichkeiten im Bereich der smarten Infrastruktur, etwa bei Energienetzen und Verkehrssteuerungen. Durch die gleichzeitige Nutzung der zwei Datenleitungen für die Stromversorgung und Datenübertragung wird sich in diesem Bereich eine Vielzahl neuer, weiterer Anwendungen ergeben«, erläutert der SPE-Experte.

Ist der Anwender bereit, SPE einzusetzen?

Bis sich eine neue Technologie am Markt durchsetzen kann, benötigt es immer eine gewisse Zeit. Bei SPE ist das nicht anders, sodass der Eindruck entstehen mag, dass Kunden noch sehr zurückhaltend agieren. Das sieht Matthias Fritsche allerdings anders. »Ich würde nicht sagen, dass Kunden zögern. Sie überlegen nur sehr genau, wo diese neue Technologie bestehende Probleme lösen kann bzw. ob – im Vergleich zum Aufwand für die Implementierung dieses neuen Physical Layer – relevante und messbare Vorteile entstehen.« Und diese Überlegungen sind ausschlaggebend.

Großes Potenzial hat SPE laut Fritsche derezeit zum Beispiel bei vielen mobilen Anwendungen. »Das Spektrum reicht von der Bahntechnik bis zur mobilen Automationsanwendung, z. B. für Land- und Forstmaschinen«. Aber auch für den Einsatz in fahrerlosen Transportsysteme und autonomen Robotern ist die SPE-Technologie intressant. 

Der Grund dafür ist, dass diese Anwendungen hohe Datenraten und viele Verbindungen zwischen Sensoren, Antrieben und Steuerungen benötigen, und das oft auf kleinem Bauraum. Deswegen kann SPE hier seine Vorteile in Bezug auf Platz, Gewicht und Leistungsfähigkeit voll ausspielen. »Da es sich bei den genannten Anwendungen oft um in sich geschlossene Systeme handelt, ist die Integration einfacher, weil diese Systeme von den Kunden sehr oft vollständig selbst entwickelt werden«, führt Fritsche weiter aus.

Nur ein kleiner Teil der SPE-Projekte ist am Markt sichtbar

Sven Oberschelp, Produktmanager Industrial Ethernet von Weidmüller, stellt ebenfalls fest, dass das Kundeninteresse an der Technologie nicht zögernd, sondern groß ist. »Immer mehr Kunden fragen SPE-Produkte für ihre Maschinen und Anlagen an. Sie möchten die nächste Gerätegeneration auf Basis dieser Kommunikationstechnologie realisieren. In den kommenden Jahren wird es dementsprechend viele neue Produkte mit SPE-Technologie geben«, so Oberschelp. Er berichtet davon, dass nun zahlreiche Kunden die Technologie übernehmen und erste Designs umsetzen. »Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis diese Geräte offiziell vorgestellt werden. Ähnlich wie bei einem Eisberg ist aktuell nur ein kleiner Teil sichtbar.« Nachdem die Standards festgelegt wurden und erste Produkte auf dem Markt sind, befindet sich die Industrie jetzt in der Phase der Realisierung durch die Endkunden: »Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Kunden warten nicht – die Entwicklung läuft bereits«, fasst der Weidmüller-Experte die Marktentwicklung zusammen. »Ähnlich wie Ethernet in fast alle Bereiche Einzug gehalten hat, so wird auch Single-Pair-Ethernet in sehr viele Bereiche vordringen.«

SPE hat enormes Marktpotenzial

Dass das Anwendungsfeld für Single-Pair-Ethernet weiter über die Industrieautomatisierung hinausgeht, unterstreicht auch Marco Henkel, Vice President Technology Management von Wago. »In der Tat ist der Markt viel, viel größer. Im Prinzip sind alle Branchen, die über eine OT verfügen, Zielmärkte von Single-Pair-Ethernet, denn die Technologie löst viele Herausforderungen«, bringt Henkel es auf den Punkt. »Egal, ob Platz, Gewicht, Ressourcenbedarf, Anschlussaufwand oder CO2-Fussabdruck – SPE ist die Antwort auf viele Fragen der Kommunikation der Zukunft. Nimmt man die äußeren Anforderungen oder Zwänge – wie Cyber Resilience Act, Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit – zur Zukunftsbetrachtung hinzu, dann zeigt SPE sein großes Potenzial zur Lösungsfindung und -bereitstellung.« Selbst die IT ist für SPE empfänglich, so Henkel, da auch hier Miniaturisierung und verkürzte Installationszeit durchaus willkommen sind.

Ist die Technologie marktreif?

Seit der Markteinführung im Jahr 2015 im geschlossenen System (Auto) hat sich viel getan bei der Entwicklung von Single-Pair-Ethernet. »Nüchtern betrachtet steht die Technologie im Bereich der OT heute auf dem Technology-Readiness-Level 7 bis 8 – und ist somit in der Markteinführung«, erläutert der Wago-Experte. »Die Technologie ist aber in Bezug auf das technisch Machbare noch nicht fertig entwickelt – sofern man eine Fertigstellung überhaupt erwarten darf«, führt er weiter aus.

Das technologische Potenzial ist also noch nicht ausgeschöpft, und Verbesserungen kommen ständig hinzu. Dazu gehören unter anderem das Protokoll 100Base-T1L mit 100 Mbit/s auf 500 Meter, das damit gegenüber 100Base-T1 (100 Mbit/s über 40 Meter) die kritische Längenbeschränkung aufhebt. Weiterhin ist beispielsweise 10Base-T1M in den Startlöchern, das gegenüber 10Base-T1S weiteres Nutzenpotenzial wie mehr Teilnehmer und Erweiterung der maximalen Längenausdehnung verspricht.

»Multiprofilunterstützung, erweiterte Diagnosen für die Verbindungsqualität und viele weitere Features treiben die Entwickler im Bereich SPE um, und vermutlich ist auch bei Power over Data-Line das Ende der technologischen Fahnenstange noch nicht erreicht«, gibt Henkel einen spannenden Einblick in die Entwicklung.

Gerade weil sich SPE in unterschiedlicher Hinsicht weiterentwickelt und an neue Anforderungen anpasst, ist die Ethernet-Technologie zukunftsfähig. Es gibt allerdings noch Herausforderungen sowie offene Fragen seitens der Kunden.

»SPE ist nicht nur eine Kommunikations-, sondern im Wesentlichen auch eine Systemtechnologie. Als solches spielt sie ihr Können und ihren Nutzen erst im Systemverbund und nicht so sehr in der Komponente aus. Die Technologie ist mit TRL 7 bis 8 marktreif, die Systemvorgaben sind aber noch nicht in allen Bereichen hinreichend spezifiziert«, erklärt Henkel. Und weiter: »Hier sind die Nutzerorganisationen wie die PNO oder die ODVA am Zuge, um unter anderem Verkabelungsrichtlinien und die Profile der IEEE 802.3 festzulegen, damit der ‚Gerätezoo‘ im Systemverbund auch seine Leistung entfalten kann«, gibt Henkel zu bedenken.

Aber warum ist das notwendig? »Nun, die Profile sind – Stand heute – nicht miteinander frei kombinierbar, und auch die unterschiedlichen Steckgesichter der IEC 63171 sind nicht miteinander kompatibel. Somit muss eine Systemvorgabe für die jeweilige Branche her, damit der Anwender eine Orientierung bei der Geräte- und Komponentenauswahl bekommt. Im Bereich der Prozessindustrie ist dies mit Ethernet-APL bereits gut gelungen, für die Industrieautomatisierung fehlt es noch.«

Der Bereich der Gebäudeautomation werde sich bei diesem Aspekt eventuell etwas leichter tun, da laut Henkel schon jetzt absehbar ist, dass Stecker und Buchsen dort eine untergeordnete Rolle spielen. »SPE-Kabel durch das Leerrohr ziehen, zwei Adern im Anschlussraum der Unterputzdose auflegen – fertig!«, veranschaulicht der Experte. Und weiter: »Für die Sensorik und Aktorik im Bereich der Raumautomation und MSR-Technik kristallisiert sich 10Base-T1L als das Profil der Wahl heraus; dementsprechend findet man hier eine zunehmende Auswahl an Produkten.

Fazit

Die Vision, dass Single-Pair-Ethernet ein neuer Meilenstein für die Ethernet-basierte Kommunikation ist, besteht nach wie vor. Die Vorteile, die SPE im Vergleich zu anderen Kommunikationstechnologien bietet, gelten für verschiedene Anwendungsfelder. »Die Erfahrung der letzten Jahre hat jedoch das Bild dieser Potenziale in unterschiedlichen Bereichen noch geschärft«, verdeutlicht Tim Kindermann. »Das ist ein fortlaufender Prozess, und ich freue mich auf die Entwicklung in den nächsten Jahren!« 

 

 


  1. SPE wird für viele Branchen relevant
  2. Teil 2: Daran arbeiten die Unternehmen aktuell

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