Bei Single Pair Ethernet hat sich die Industrie auf einen einheitlichen Steckverbinder geeinigt. Damit fällt eine Hürde: konkurrierende Steckgesichter, die viele Unternehmen bisher zögern ließen. Der universelle Stecker-Standard ebnet jetzt den Weg für SPE – und das in unzähligen Anwendungen.
Von Thomas Keller, Product Manager Industries von Rosenberger Hochfrequenztechnik
In den letzten Jahren hat sich Single Pair Ethernet (SPE) bereits in der Automobilindustrie durchgesetzt. Die zunehmende Vernetzung im »Software-defined Vehicle« erfordert eine sichere, kompakte Verkabelung im Fahrzeug, die Sensoren und Steuerungen für autonomes Fahren, Batteriemanagement- und Fahrerassistenzsysteme verbindet. Als Partner für die OEMs hat Rosenberger diesen Paradigmenwechsel seit 2012 begleitet und die Protokolle für den Automotive-Stecker mitentwickelt. Diese Erfahrung floss auch in den aktuellen Standardisierungsprozess ein und spiegelt sich im neuen Hybrid-Steckverbinder-Standard IEC 63171-7 (ED2) wider, der bald die Grundlage für die kommende Interoperabilität von Single Pair Ethernet bildet.
Eine Übertragungstechnologie mit großer Reichweite, die Powerversorgung und Datenübertragung in einem Kabel kombiniert, gewinnt in der industriellen Vernetzung zunehmend an Bedeutung. Die Entwicklung rund um Industrie 4.0, Digitalisierung und Vernetzung wird immer relevanter. Und eines darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Die Basis dafür sind Daten! Zwar wird in der industriellen Vernetzung bereits mit bestehenden Protokollen gearbeitet, doch in der Praxis bleibt es ein Problem, kostengünstig, nachhaltig und effizient an die Daten zu kommen. Indem Sensorik und Aktorik in IoT-Anwendungen die notwendigen Informationen liefern, die von KI-Systemen beispielsweise für vorausschauende Wartung oder Simulationen analysiert werden, steigt der Bedarf an bezahlbarer intelligenter Vernetzung weiter an. SPE stellt hier eine sinnvolle Alternative dar, die zudem Security-Strategien wie Time Sensitive Networking (TSN) für Sicherheits- und Safety-kritische Echtzeitanwendungen ermöglicht.
Zahlreiche Anwendungsszenarien in unterschiedlichen Branchen können von SPE profitieren: Ein Beispiel ist die Agrarwirtschaft, wo Fahrzeuge vermehrt Daten zu Bodenbeschaffenheit und Wetter erfassen und verarbeiten. Interessante Anwendungsfälle entstehen auch im Bereich der erneuerbaren Energien, unter anderem durch Sensorik in Ladesäulen oder in der Weiterverwendung von Fahrzeugbatterien in großen Energiespeichern, die eine aufwendige Verkabelung erfordern. Überdies kann SPE die Vernetzung von Zugabteilen vereinfachen. Auch in der Gebäudeautomatisierung gehört Single Pair Ethernet zu den Trendthemen. Besonders relevant ist die Technologie zudem in der Automatisierung und der Robotik, wo die wesentlich schmaleren und biegbareren SPE-Kabel unter anderem zu mehr Bewegungsfreiheit beitragen.
Überall dort, wo eine leistungsfähige Vernetzung wichtig ist, kann SPE mit Eigenschaften wie Miniaturisierung, Energieversorgung über das Datenkabel (Power over Dataline, PoDL) und große Materialeinsparungen punkten. Mittels Multidrop-Topologie lassen sich zudem mehrere Sensoren und Aktoren gleichzeitig über ein Kabel ansteuern. Speziell im IoT-Umfeld müssen viele kleine Devices auch gleich mit Strom versorgt werden – Wireless-Ansätze reichen daher in der Regel nicht aus. Sie spielen in der Fabrikautomation weiter eine untergeordnete Rolle. Laut Marktanalyse von HMS Networks für das Jahr 2024 basieren nur 7 Prozent aller neu installierten Netzwerkknoten auf drahtloser Kommunikation!
In der industriellen Vernetzung gibt es derzeit über 80 verschiedene Protokolle, über die einzelne Komponenten kommunizieren können. Um diese Protokolle zu übersetzen, sind teure Gateways nötig. Vor allem jedoch gestaltet sich die Implementierung kostenintensiv, denn sie erfordert eine hohe Expertise für diese Protokolle. Damit steigen zum Beispiel im Maschinen- und Anlagendesign die Entwicklungskosten relativ stark.
Je mehr Sensorik-, Aktorik- und Steckverbinder-Hersteller also auf SPE setzen, desto schneller könnte perspektivisch eine komplette Anlage – ohne Gateways –ausschließlich über Ethernet-Protokoll kommunizieren. In einem Forschungsprojekt mit der TU München für eine CNC-Anlage konnten so bis zu 25 Prozent Entwicklungskosten eingespart werden. Mit zunehmender Verbreitung von Single Pair Ethernet sinken zudem die Kosten für diese Kommunikationstechnologie. Bisher kommt SPE vor allem ergänzend zu bestehenden Ethernet-Verkabelungen für neue digitale, IoT-basierte Szenarien zum Einsatz. In neuen Produkten und Produktionsstandorten könnte SPE künftig auch zur Grundlage werden.
Der Standard IEEE 802.3 beschreibt die SPE-Protokolle für Automotive, Transport und die Fabrik-, Gebäude- und Prozessautomatisierung hinsichtlich physischem Layer und Datenübertragungsgeschwindigkeiten. Während in der Automobilindustrie aufgrund der hohen Datenvolumen 25 Gigabit pro Sekunde erforderlich sind, wäre das in der Gebäudeindustrie überdimensioniert.
Bei bis zu 80 Prozent der industriellen Use Cases reichen 10 Mbit aus, mit 100 Mbit lassen sich nahezu sämtliche Fälle abdecken. Auch unterschiedliche Distanzen werden von den jeweiligen Protokollen berücksichtigt. Während in Gewächshäusern oder in Chemie-Parks Sensorik auf Hunderten Metern oder einigen Kilometern zusammenwirken soll, sind in einer Maschine oder Anlage oder in einem Roboter nur sehr kurze Kabeldistanzen notwendig.
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Auf Basis früherer Normierungsbemühungen gibt es bereits eine ganze Reihe an standardisierten Industriesteckverbindern für Single Pair Ethernet, die in den Unternormen der IEC 63171 beschrieben sind. Sie eignen sich für unterschiedliche Einsatzszenarien, die sich allerdings teilweise überschneiden. Hinzu kommen viele nicht-standardisierte Stecker am Markt. Das führt sowohl für Hersteller als auch für Betreiber zu großer Komplexität. Die damit verbundene Unsicherheit bewog viele Unternehmen zum Abwarten. Ein wichtiger Schritt für die Akzeptanz von SPE war, dass Ende 2024 die Profibus-Nutzerorganisation (PNO) bekannt gegeben hat, dass sie mit IEC 63171-7 (ED2) ein einheitliches hybrides Steckgesicht normieren und als Industriestandard festlegen will. Damit sollen sämtliche Anwendungsszenarien, auch im geschützten Bereich, universell abdeckbar sein.
Aus Sicht von Rosenberger trägt dieser Schritt der vorhergehenden Entwicklungsarbeit in der Automobilindustrie Rechnung, für die Stecker bereits vollautomatisch in Massenproduktion (300 Mio. im Jahr 2024) hergestellt werden. Mit dem „High-Speed Modular Twisted Pair Data“ gibt es hier seit 2016 einen Single-Panel-Steckverbinder für hohe Datenraten, der komplett geschirmt ist. Der künftig von der PNO empfohlene Steckverbinder weist – insbesondere hinsichtlich Größe und Schirmung – eine starke Ähnlichkeit mit diesem für die Automobilindustrie entwickelten Steckverbinder auf.
Der derzeit laufende Normierungsprozess, in dem die Key Player sich bereits auf ein Design geeinigt haben, sollte bis Ende 2025 in einer CDV-Norm münden – und dann die vom Markt gewünschte und benötigte Interoperabilität einläuten. Dass viele Unternehmen bereits in den Startlöchern stehen, zeigt das große Interesse auf Kundenseite und die spürbare Erleichterung, dass das „Steckerdrama“ nun zu Ende geht.
Für viele ist SPE aber auch noch Neuland, und es besteht ein erheblicher Beratungsbedarf. Denn ein wichtiger Aspekt bleibt auch weiterhin bestehen: den jeweiligen Anwendungsfall genau zu analysieren und davon ausgehend den passenden Physical Layer und das passende Protokoll auszuwählen, um die größtmöglichen Benefits herauszuarbeiten.
Jede neue Technologie braucht ihre Zeit, um im Markt anzukommen. Am Beispiel der Autoindustrie ist jedoch gut als Trend erkennbar, wie vergleichsweise schnell sich SPE aufgrund seiner Vorteile durchsetzen kann. Die aktuell rückläufige wirtschaftliche Situation mit weniger gut gefüllten Auftragsbüchern könnte – wie auch schon bei anderen Innovationssprüngen zu beobachten – für die nötige Luft sorgen, mehr Ressourcen in die Auseinandersetzung mit der neuen Technologie zu stecken. Für alle, die sich in Unternehmen mit dem Thema Datenkommunikation beschäftigen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um sich mit SPE auseinanderzusetzen – unabhängig davon, ob es sich um Gebäudeautomation handelt, Kühlsysteme in der Lebensmittelindustrie oder die Anlagenentwicklung. Vor allem Hersteller sollten evaluieren, welche Vorteile SPE für die nächsten Produktgenerationen mitbringen kann, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.