Interessanter sind für mich die Konzepte der ersten größeren, landesweit tätigen Distributoren und ihrer Protagonisten in Deutschland. Während der gelernte Kaufmann Carlo Giersch (Bild 1, der Bildergalerie unten) aus dem Elektro- und Radiogroßhändler L. Spoerle KG 1967 die Spoerle Electronic als Großhändler für die gesamte Palette an Bauelementen gründete, ging Erich Fischer (Bild 2, der Bildergalerie) als Gründer der EBV Elektronik gleich in die Spezialisierung auf Halbleiter, als erster autorisierter Vertragshändler für Motorola. Beide Unternehmen bauten ihre Vertriebsnetze, Organisationen und Herstellerpartnerschaften schnell aus und wurden über die Jahre zu den Grundpfeilern der deutschen und später europäischen Distribution, wie wir sie heute kennen, EBV nach wie vor als EBV und Spezialist, Spoerle aufgegangen in der Arrow Electronics mit Broadliner-Charakter.
In den 20 Jahren zwischen 1970 und 1990 entstanden viele Handelsunternehmen, deren Namen den meisten Branchenkennern noch ein Begriff sind: E2000, Enatechnik, Sasco, HED, Jermyn, ITT Multicomponents, Altron, Setron Schiffer, MSC, Tekelec und viele andere, die ihren Beitrag zur Entwicklung der Distributionslandschaft geleistet haben (und heute noch tun in den Unternehmen, die sie gekauft haben). Andere klingende Namen wie zum Beispiel Rutronik, Endrich, Beck, Glyn und weitere gibt es heute noch als selbstständige und erfolgreiche Unternehmen. Von der Größe und dem internationalen Erfolg dabei herausragend ist sicherlich die 1973 von Helmut Rudel (Bild 3, der Bildergalerie) gegründete Rutronik, die ursprünglich als Distributor für passive Bauelemente angetreten war und sich in den letzten 44 Jahren zu einem breit aufgestellten Unternehmen entwickelt hat, regional wie technologiemäßig.
Die ursprünglichen Stoßrichtungen, Broadliner und Spezialist, sind auch heute noch vorhanden, haben sich aber enorm vermischt und verdichtet bzw. ergänzt um andere Konzepte wie Nischendistribution oder Katalogdistribution (die es heute lieber sieht, als Online-Distribution betrachtet zu werden). Und aus der ehedem regionalen Aufstellung der meisten Unternehmen ist eine national bzw. paneuropäische, wenn nicht gar globale geworden. Das Internet hat es ermöglicht, dass jeder heute nahezu überallhin verkaufen kann. Was Erich Fischer schon erkannte und mit Hilfe seiner rechten Hand, Peter Gürtler (Bild 4 der Bildergalerie), umsetzte – eine technisch versierte Spezialdistribution mit hoher Beratungsleistung für eine immer komplexer werdende Technologie – ist heute die Grundlage jedes Distributionskonzeptes, vom Nischenspezialisten bis zum Online-Händler. Umgekehrt steckt in jedem größeren Distributionsunternehmen ein Logistiker oder sogar Supply-Chain-Spezialist; und wenn auch nicht jeder Mittelständler eine Million Produkte auf Lager haben kann, so hat sich doch bei vielen der Anteil der indirekten Dienstleistungen vervielfacht.
Getrieben wird die Distribution 1967 wie 2017 von der gleichen Frage: Was braucht der Kunde, um erfolgreich zu sein? Klar, es wird auch Leser geben, die meinen: Ha, ihr seid doch mehr getrieben von den Herstellern als von den Kundenbedürfnissen. Stimmt schon ein wenig, aber auch die Hersteller sind getrieben von der Was-braucht-der-Kunde-Frage (und auch 1967 haben die Hersteller schon fleißig mitgeredet).
Ohne eine vernünftige Analyse des Kundennutzens, den man qua Produkt oder Dienstleistung bereitstellt, ist jedwede Strategie nutzlos. Was braucht der Kunde? Diese Frage findet heute eine weitaus komplexere und umfassendere Antwort als je zuvor. Preis, Verfügbarkeit, Datenblatt, Beratung? Reicht nicht mehr: Finanzierungsmodelle, komplexe Forecast-Planung, Supply Chain Sustainability, Datenintegrität, Risk and Liability Management, Informationen, Design, Fertigung, Lifecycle Management, Digital Transformation? Schon eher, reicht aber wohl auch nicht mehr.