KI und die Prognose freier Ladesäulen

Navigation mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning

18. September 2023, 8:00 Uhr | Autor: Ronak Amin
© Here Technologies | WFM

Die Anzahl der verkauften E-Fahrzeuge in Deutschland ist zuletzt stärker gestiegen als die neu installierter Ladesäulen. Für Navigationssysteme wird es daher wichtiger, nur Ladepunkte in der Routenplanung zu berücksichtigen, die zum Ankunftszeitpunkt wahrscheinlich nutzbar sind.

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Ob das Benzin an einer Tankstelle in einer oder zwei Minuten im Tank ist, spielt für Fahrer von Verbrennern keine Rolle. Bezahlen können sie per Smartphone, Visa oder bar – alles kein Problem. Bei Ladesäulen für Elektrofahrzeuge ist die Situation wesentlich komplexer. Es existieren Herstellernetze (wie bei Tesla) oder öffentliche Ladesäulen, verschiedene Steckertypen, Zahlsysteme und je nach Ladeleistung große Preisunterschiede. Dass das Laden deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt und angefahrene Ladesäulen über längere Zeiträume hinweg belegt sein können, stellt ein zusätzliches Ärgernis für die Kunden dar.

Wer eine Route über mehrere hundert Kilometer plant, sollte die Fahrzeug-eigene Navigation einsetzen, denn sie kennt nicht nur den durchschnittlichen Strombedarf pro 100 km, sondern den Fahrstil des Fahrers, Höchstgeschwindigkeiten in allen Streckenabschnitten, die variablen Außentemperaturen, den Strombedarf von Heizung und Klimaanlage, Steigungen auf der Strecke: also den Energiebedarf des Fahrzeugs für bestimmte Strecken zu einer gegebenen Zeit. Dazu zählen viele Parameter, die sich nicht mehr per Überschlagsrechnung im Kopf bestimmen lassen. Daher ist es wichtig, sich auf die Navigation im Fahrzeug verlassen zu können.

Ladepausen ermitteln

Mit den genannten Daten kann das Navigationssystem ermitteln, wo Ladepausen notwendig und welche Ladesäulen geeignet sind. Dazu sollte es alle statischen Daten zu allen Ladesäulen auf der Strecke kennen. Dazu zählen etwa Ladeleistung, Betriebszeiten, unterstützte Bezahlsysteme, Steckertypen, Anzahl der Säulen und etliches mehr. Diese Daten bestimmen die grundsätzliche Eignung als Ladepunkt. Gängige Navigationsanwendungen in E-Fahrzeugen verfügen über diese Daten und aktualisieren sie über eine Cloud mithilfe einer Echtzeit-API.

Doch damit ist nicht sichergestellt, dass eine Ladesäule bei Ankunft des Fahrzeugs auch frei und nicht defekt ist. Das kann für die Fahrer eine böse Überraschung sein, weil sie dann entweder lange warten oder darauf hoffen müssen, mit der Restreichweite noch andere Ladepunkte anfahren zu können, ohne zu viel Zeit zu verlieren.

Die EV Charge Points von Here Technologies, angereichert um die Charge Point Availability Predictions, setzen auf umfangreiches Datenmaterial für Machine Learning und künstliche Intelligenz, um zuverlässige Aussagen über die Verfügbarkeit von Ladepunkten zu treffen. Die Anwendung berücksichtigt diese KI-Berechnungen in der Routennavigation, um nur die Punkte in die Route zu integrieren, die zum Ankunftszeitpunkt höchstwahrscheinlich nutzbar sein werden.

Dazu wertet Here Daten von anderen Fahrzeugen aus, die einen Ladepunkt anfahren. Wenn mehrere Fahrzeuge nach der Ankunft gleich weiterfahren oder keinen Ladevorgang gestartet haben, scheint die Säule defekt zu sein und wird aus der Liste der verfügbaren Ladepunkte entfernt – was beispielsweise auf etwa 20 Prozent der Ladepunkte in den USA zutrifft.

Die Ladesäulen-optimierte Navigation von Here berücksichtigt KI-Berechnungen in der Routennavigation, um nur Ladepunkte in die Route zu integrieren, die zum Ankunftszeitpunkt höchstwahrscheinlich nutzbar sein werden
Die Ladesäulen-optimierte Navigation von Here berücksichtigt KI-Berechnungen in der Routen-navigation, um nur Ladepunkte in die Route zu integrieren, die zum Ankunftszeitpunkt höchstwahr-scheinlich nutzbar sein werden.
© Here Technologies

Andererseits zieht die Software historische Daten heran, zu welchen Zeiten die Ladesäulen typischerweise wie stark belegt und genutzt werden, um eine Aussage über die Verfügbarkeit für einen bestimmten Zeitpunkt zu treffen. Dazu zählen Tageszeiten, Wochentage, Wetter- und Temperaturbedingungen, typische Verkehrsdichten und übliche Staus. Es fließen aber auch dynamische, aktuelle Daten wie Verkehrsinformationen aus öffentlichen Quellen, die aktuelle Temperatur, Wettervorhersagen und Fahrzeuggeschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern mit ein.

Zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit, ob eine Ladesäule zu einem bestimmten Termin frei sein wird, hat Here ein Machine-Learning-Modell entwickelt, das mit historischen Daten von mehreren Millionen Fahrzeugen trainiert wurde. Die Daten, die für das Modell herangezogen werden, durchlaufen einen Qualitätsprüfungsprozess, um zu validieren und zu konsolidieren, bevor sie in das ML-Modell einfließen.

Für dieses Modell werden auch exklusive Daten aus den Fahrzeugen genutzt, die bereits Here-Anwendungen einsetzen. Dazu gehören Sensordaten, Payment-Transaktionsdaten (die Rückschlüsse auf einen erfolgreichen Ladevorgang zulassen) und der aktuelle Batterieladestatus und Strombedarf unter den jeweiligen Bedingungen. Nutzt der Fahrer auch noch die App des Ladesäulenbetreibers, können auch die Daten der App für das KI-Modell genutzt werden.

Ein weiteres Highlight dieses Ansatzes ist, dass der Routing-Algorithmus auch Nutzervorgaben berücksichtigen kann. Kommt es den Fahrern eher darauf an, schnell ans Ziel zu kommen (und dabei auch teure Schnellladesäulen zu verwenden), bevorzugen sie leistungsfähige Ladepunkte, die beim Eintreffen verfügbar sind. Soll kostenoptimiert getankt werden, spielen günstige Tarife eine größere Rolle bei der Auswahl. Auch eine Vorgabe wie »ich möchte mit 50 Prozent Ladekapazität am Ziel ankommen« lässt sich berücksichtigen, um am Zielpunkt noch mobil zu sein.

Für verschiedene Plattformen

Das Routing inklusive der KI-gestützten Vorhersage von freien Ladepunkten lässt sich vielfältig nutzen. OEMs und Tier-1-Integratoren können die Anwendung in Fahrzeugen direkt integrieren, sodass die Fahrzeugnutzer über gängige Benutzerschnittstellen wie etwa einen Touchscreen ihre Routen planen können. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sie in eine Autohersteller-App zu integrieren oder als Online-Web-Service anzubieten, damit die Fahrer eine Route abseits des Fahrzeugs vornehmen können.

Die Integration des KI-gestützten Routings für E-Fahrzeuge kann für Fahrzeugnutzer der entscheidende Unterschied sein, um sich für ein bestimmtes Fahrzeug zu entscheiden. Anders als bei Verbrennern ist das Thema Ladepunktauswahl auf langen Strecken komplex und ohne technische Unterstützung nicht mehr zu leisten. Wenn das Fahrzeug zuverlässig freie Ladepunkte findet und in die Navigation integriert, schafft das Vertrauen, auch längere Strecken mit einem E-Fahrzeug zurückzulegen, und verhindert eine Reichenweiten- und Ladeangst.

Für OEMs ist die Nutzung von künstlicher Intelligenz und Machine Learning ein wichtiges Verkaufsargument mit greifbaren Komfortverbesserungen für die Kunden. Da sie sich auch in Kunden-Apps integrieren lässt, kann der OEM damit ein umfassendes Routing-Paket schnüren.

 

 

Der Autor

Amin Ronak von Here Technologies
Amin Ronak von Here Technologies.
© Here Technologies

Ronak Amin

ist Global Product Marketing Manager bei Here Technologies in Chicago. Dort ist er für die Go-to-Market-Aktivitäten des Connected-Driving-Portfolios von Here verantwortlich. Zuvor war er Senior Product Manager for EV Services bei Volvo. Ronak Amin hat Automotive Technology und Technology Management an der University of Pennsylvania studiert


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