Ein Fall für Speicher

Die Megatrends CASE und die Rolle der Speicheranbieter

21. Dezember 2021, 8:30 Uhr | Irina Hübner
Diese vier Entwicklungsbereiche: Vernetzung, autonomes Fahren, geteilte Mobilität und Elektrifizierungdie verändern die Anforderungen an Speicher und Speichertechnologien.
© zhu difeng | Adobestock

Vernetzung, autonomes Fahren, geteilte Mobilität und Elektrifizierung sind ganz klar die wichtigsten Zukunftsfelder der Automobilbranche. Wie sich durch diese vier Entwicklungsbereiche die Anforderungen an Speicher und Speichertechnologien verändern, erklärt Dr. Reinhard Weigl, Micron, im Interview.

Elektronik automotive: Die vier CASE-Domänen gelten als Game Changer der Automobilindustrie. Domäne »C« – Connected – ist vielleicht am wichtigsten, denn sie beeinflusst die anderen Trends, abgekürzt mit »ASE« – Autonomous, Shared, Electric. Wie wirkt sich CASE auf die Speichertechnologien aus?

Dr. Reinhard Weigl: CASE spiegelt die Megatrends wider, die die Automobilbranche grundlegend verändern. Für die Automobilindustrie gilt: Wer sich nicht auf diese Trends einstellt, hat das Nachsehen. CASE ermöglicht neue Innovationen und Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie und öffnet die Tür für neue, unbekannte Akteure, die schnell Marktanteile erobern können. Ich werde kurz auf alle vier Trends eingehen und mit der Konnektivität anfangen. Denn sie ist die Grundlage dafür, dass die übrigen Megatrends überhaupt erst möglich werden.

Autobesitzer erwarten vom Infotainment-System zunehmend dieselbe Funktionalität wie von ihrem Smartphone oder PC. Konnektivität mit hoher Bandbreite ist hierfür essenziell. Darüber hinaus ist allgegenwärtige 5G-Konnektivität für weitere Fahrzeugtrends von entscheidender Bedeutung, zum Beispiel für E-Commerce-Fähigkeit, Over-the-Air-Updates und neue Geschäftsmodelle, die auf Abonnementdiensten beruhen.

Mit der Konnektivität steigen die Sicherheitsanforderungen, insbesondere auf der Root-Ebene, also im Memory. Denn diese offene Verbindung zur Außenwelt erlaubt es Hackern, Zugang und Kontrolle über das Fahrzeug zu erlangen. Sicherheitslösungen wie Microns Authenta bieten eine Root-of-Trust-Sicherheit, die einen einzigartigen digitalen Fingerabdruck für jedes Fahrzeug liefert. Angesichts der Tatsache, dass ein modernes Fahrzeug voraussichtlich in Zukunft mehr als 300 Mio. Codezeilen enthalten wird, werden Over-the-Air-Updates unverzichtbar. Dies wiederum verstärkt den Bedarf nach Best-in-Class Security im Herzen des Systems, das heißt im System Storage.

Elektronik automotive: Und was ist mit dem autonomen Fahren?

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Dr. Reinhard Weigl von Micron
Dr. Reinhard Weigl von Micron
© Micron

Dr. Reinhard Weigl: Der Gedanke an selbstfahrende Fahrzeuge zieht die Menschen schon lange in den Bann. Dabei spielt nicht nur die Benutzererfahrung während der Fahrt eine entscheidende Rolle, sondern auch, dass autonomes Fahren die Sicherheit verbessern könnte. Konnektivität ist ein wesentlicher Baustein für das autonome Fahren, denn nur durch Funktionen wie Echtzeit-Kartenaktualisierungen, die Möglichkeit, Algorithmen im Laufe der Zeit zu verbessern, sowie die Fähigkeit der Fahrzeuge, miteinander und mit der Straßeninfrastruktur zu kommunizieren, lässt sich echte Autonomie erreichen.

In dem Maß, in dem die Elektronik die Kontrolle über das Fahrzeug übernimmt, gewinnt die Sicherheit auf Systemebene an Bedeutung, insbesondere in Bezug auf Memory und Storage. Es wird immer wichtiger, dass Speicher anhand der besten verfügbaren ASIL-Methoden gemäß ISO 26262 entwickelt werden, um neben der Erkennung von Zufallsfehlern auch eine systematische Fehlerabdeckung zu gewährleisten. Micron ist heute ein führender Anbieter von Speicherlösungen, die für die Einhaltung von ASIL zertifiziert sind.

Elektronik automotive: Kommen wir zum nächsten Punkt – der gemeinsamen Nutzung von Fahrzeugen.

Dr. Reinhard Weigl: Durch die zunehmende Rechenleistung und Konnektivität im Fahrzeug werden neue Geschäftsmodelle für Fahrzeuge möglich, die von mehreren Personen genutzt werden: Sie nehmen Ihr Smartphone zur Hand, öffnen eine App, finden ein Auto um die Ecke, die App entriegelt das Auto und es »gehört« Ihnen. In naher Zukunft wird die Konnektivität dafür sorgen, dass sich ein gemeinsam genutztes Fahrzeug wie das eigene anfühlt, indem Nutzervorlieben in das Fahrzeug geladen werden. Der Sitz wird automatisch eingestellt, die Spiegel befinden sich genau in der richtigen Position, und das Infotainment-System spielt den Lieblingsmusikmix ab.

Auch hierbei sind die Sicherheitsfeatures des Speichers von größter Bedeutung – vor allem die Fähigkeit, die privaten Daten des Benutzers zu schützen. Eine sichere Memory-Lösung wie Microns Speicher mit Authenta-Technologie weist die erforderlichen Sicherheitsfunktionalitäten auf – eine Root of Trust, die zur Bewältigung der komplexen Cybersicherheitsrisiken genutzt wird.

Elektronik automotive: Dann fehlt nur noch das Thema Elektromobilität.

Dr. Reinhard Weigl: Die Nachfrage der Kunden und politische Entscheidungen führen dazu, dass die Zukunft des Automobils elektrisch ist. Konnektivität ist für Elektrofahrzeuge auf offensichtliche und weniger offensichtliche Weise wichtig. Offensichtlich heißt: Welche Ladestation wäre für mich die beste Wahl, wenn ich Reichweite und verfügbaren Platz zum Laden abwäge? Nicht so offensichtlich: Elektrofahrzeuge könnten in Zukunft dazu genutzt werden, Strom in das Stromnetz einzuspeisen. Um dies überhaupt in Betracht ziehen zu können, ist eine hochleistungsfähige Echtzeitkonnektivität mit unglaublich geringer Latenzzeit erforderlich. Jede noch so kleine Inkonsistenz in der Kommunikation kann die Effizienz dieser Übertragung verringern.

Führende Speichertechnologien wie LPDDR5, die auf branchenführenden Prozessknoten basieren, zeichnen sich durch niedrigstmöglichen Strombedarf aus. Das ist unerlässlich, da sich der Stromverbrauch direkt auf die Reichweite auswirkt und auch im Stand-by-Betrieb eine wichtige Rolle spielt. Führende Speichertechnologien und -prozesse gehen Hand in Hand bei dem Ziel, die geringstmögliche Energie pro Bit Leistung zu erreichen. Micron ist dabei mit der Einführung von LPDDR5 auf Basis des strengsten Prozessknotens, 1 β (Beta), führend in der Branche.

Elektronik automotive: Welche Fähigkeiten sind für innovative CASE- Entwicklungen erforderlich? Was können Sie als Speicherhersteller dazu beitragen?

Dr. Reinhard Weigl: Neue Entwicklungen werden durch die zunehmende Verfügbarkeit von Rechenressourcen und KI-Funktionen im Fahrzeug ermöglicht – unterstützt durch die 5G-Konnektivität. Nehmen Sie zum Beispiel autonome Fahrfunktionen, die zu einem enorm anspruchsvollen KI-Rechenpensum führen. Einige Prognosen gehen davon aus, dass für vollständig autonomes Fahren Hunderte von Teraflops an Rechenleistung im Fahrzeug benötigt werden. Diese Rechenleistung muss sich im Fahrzeug befinden, da autonomes Fahren so schnelle Reaktionen erfordert, dass eine Datenübertragung zur und von der Cloud zeitlich nicht möglich wäre.

Höchstleistungsfähige, für den Einsatz im Auto qualifizierte Speicher, sind unverzichtbar, um die nötige System-Level-Performance der verbauten Compute-SoCs zu erreichen. Die Speicherbandbreite von LPDDR5X kann entscheidend zur Bewältigung der extremen Rechenlasten beitragen, die durch das rechenintensive und speicherbandbreitenintensive KI-Computing entstehen – und das innerhalb des von vielen Architekturen vorgegebenen engen Strombudgets.

Micron bietet außerdem ein vollständiges Sortiment an NOR-, NAND- und DRAM-Bausteinen, von denen viele vollständig automotive-konform sind und darüber hinaus Langlebigkeit und PPAP (Production Part Approval Process) unterstützen, was für Automobilanwendungen absolut notwendig ist.

Elektronik automotive: Vernetzte Fahrzeuge stellen auch hohe Anforderungen an die Sicherheit. Wie kann eine Komponente wie der Speicher zu mehr Systemsicherheit beitragen, insbesondere im Hinblick auf die Konnektivität?

Dr. Reinhard Weigl: Bei CASE-Entwicklungen ist es entscheidend, Safety und Security im Blick zu behalten. Die funktionale Sicherheit ist ein Schlüsselelement für alle Automobilsysteme. Funktionale Sicherheit entsteht durch das Einhalten von Standards zur Minimierung von Risiken, die durch unerwartetes Verhalten in elektronischen Systemen entstehen. Für Automotive-Anwendungen sind die Richtlinien besonders streng, sodass die Erwartungen an die Zuverlässigkeit der Speicher ebenfalls besonders hoch sind. Safety ist sowohl für vertrauenswürdige ADAS- (Advanced Driver Assistance System) und autonome Funktionen als auch für viele andere Systeme eine Voraussetzung. Denn Autofahrer müssen beispielsweise darauf vertrauen können, dass die Bremsen und Airbags wie vorgesehen funktionieren.

Micron war und ist der bislang einzige Anbieter von ASIL-konformen LPDRAMs, die die Abdeckung systematischer sowie zufälliger Fehler unterstützen. Microns Safety-Engagement erstreckt sich auf das gesamte Unternehmen. Sogar ein Safety Office wurde etabliert, das für die Einhaltung der Safety-Richtlinien verantwortlich ist.

Bezüglich Security ist es so, dass vernetzte Systeme besonders hohe Sicherheitsanforderungen stellen. Bei vernetzten Fahrzeugen, die untereinander und mit der Infrastruktur Daten austauschen, macht jeder unbefugte Datenzugriff, jedes Hacking, das Netz weniger vertrauenswürdig und möglicherweise sogar unbrauchbar. Um das zu verhindern, müssen miteinander vernetzte Systeme in der Lage sein, die Kommunikation untereinander richtig zu identifizieren und ihr zu vertrauen.

Mit der Authenta-Technologie von Micron, einer Kombination aus hardwarebasiertem Root of Trust und cloudbasierter Identitätsplattform, lassen sich Lösungen bereitstellen, die sicherstellen, dass nur autorisierte Benutzer die Daten innerhalb eines Netzwerks ändern können.

Elektronik automotive: Wie wird sich das In-Vehicle-Infotainment (IVI) mit zunehmender Konnektivität und immer mehr autonomen Funktionen weiterentwickeln? Welche Rolle wird dabei der Speicher spielen?

Dr. Reinhard Weigl: Die Erwartungen der Kunden an digitale Systeme treiben die Entwicklung von Infotainment-Systemen maßgeblich voran. Die Kunden werden beispielsweise zunehmend Features wie Multiple-HD-Displays und umfangreiche Streaming-Möglichkeiten im Auto fordern. Aktuell sind es die IVI-Systeme, die den Großteil des Speichers im Fahrzeug beanspruchen, auch wenn ADAS auf dem Vormarsch ist.

Autonome Funktionen werden unsere Beziehung zum Fahren grundlegend verändern. Wenn wir die Hände und die Aufmerksamkeit frei haben, wird sich das Erlebnis im Fahrzeug mehr nach den individuellen Vorlieben der Insassen in Bezug auf Unterhaltung und Produktivität ausrichten. Die Anforderungen an das Infotainment werden also weiter steigen.

Autofahrer werden zukünftig keine Verzögerungen bei der Reaktion der IVI-Systeme auf Befehle tolerieren. Hochleistungsspeicher wie die UFS-3.1-Lösungen von Micron können eine Reaktionsfähigkeit ermöglichen, die mit der von aktuellen Smartphones vergleichbar ist.

Elektronik automotive: In Ihren Laboren unterstützen Sie die Automobilhersteller bei der Entwicklung. Haben die Herausforderungen, die CASE mit sich bringt, Ihre Zusammenarbeit mit den Kunden verändert?

Dr. Reinhard Weigl: Aktuell unterhalten wir Labore in 13 verschiedenen Regionen, in den Hotspots der Automobilindustrie, wo wir in zahlreichen Projekten gemeinsam mit unseren Kunden Innovationen vorantreiben. Die Labore sind ein wichtiger Beweis für unsere Selbstverpflichtung, eng mit den Kunden zusammenzuarbeiten.

Deshalb unterhalten wir Kooperationen und Projekte mit der gesamten Branche, angefangen bei den zehn größten OEMs bis hin zu aufstrebenden innovativen Start-ups. Micron profitiert durch die Zusammenarbeit von einem besseren Verständnis der Kundenanforderungen. Diese Kundenanforderungen lassen wir dann direkt in die Produktanforderungen einfließen. Unsere Kunden profitieren durch die Kooperation von einem größeren Know-how, wie sie basierend auf der Speicherinfrastruktur Innovationen hervorbringen können.

Das ist entscheidend, denn ein bedeutender Wandel bei der Speichernutzung im Automotive-Bereich besteht darin, dass heute modernste, leistungsfähigste Speichertechnologien verlangt werden, während in der Vergangenheit ausgereiftere Produkte zum Einsatz kamen. Dieser Wandel erfordert ein anderes Modell der Zusammenarbeit mit dem Kunden. Eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Speicheranbieter und Tier1 oder OEM wird bereits vor der Erstellung eines Leiterplattendesigns erforderlich, um zu gewährleisten, dass beim Design von Anfang an die richtige Entwicklungsrichtung eingeschlagen wird.

In vielen Fällen erfordern die Leistungsanforderungen an den Speicher die bestmöglichen Designtechniken, PCB-Materialien und weitere darüber hinausgehende Überlegungen. Früher hingegen waren bei der Verwendung ausgereifter Speichertechnologien viele der unterstützenden Technologien und die damit verbundene Komponenten und Eigenschaften wie PCB-Materialien usw. gut erprobt. Dieser grundlegende Wandel hat zu einer noch größeren Bedeutung unserer Labore und der von uns angebotenen Dienstleistung, Unterstützung oder Zusammenarbeit geführt.

Elektronik automotive: Welche neuen Architekturen sind als Ergebnis von CASE im Fahrzeug zu erwarten? Welche Auswirkungen wird das auf den Speicher haben? Wie wird also der Speicher der Zukunft aussehen?

Dr. Reinhard Weigl: Traditionell wurde der Ansatz verfolgt, Memory und Storage an all denjenigen Orten im Fahrzeug unterzubringen, an denen Berechnungen stattfanden – also verschiedene Speicher für Infotainment, ADAS, Rückfahrkamera usw. Inzwischen ist ein rascher Übergang zu einer zentralisierten Architektur festzustellen, von domänenbasierten Architekturen zu zonenbasierten Architekturen. Dieser Wandel führt auch zu einem Paradigmenwechsel hin zu zentralisierter Datenverarbeitung und -speicherung.

Der Schlüssel zu zentralisierten Speicherarchitekturen ist die Fähigkeit zur Unterstützung der Virtualisierung in der Hardware sowie einer hardwarebasierten Isolierung zwischen virtuellen Funktionen. Storage-Lösungen, die auf Single-Root-I/O-Virtualisierung basieren, werden an Bedeutung gewinnen, da die ADAS-Funktionalität von der IVI-Funktionalität isoliert werden muss. Die Benutzer müssen darüber hinaus gleichzeitig Anwendungen und Medien herunterladen können, die vollständig voneinander isoliert sind. Entscheidend ist außerdem, dass die Leistung des zentralisierten Speichers durch die gemeinsame Nutzung mehrerer physikalischer Funktionen nicht beeinträchtigt wird. Zwar erleben softwarebasierte Hypervisoren, die Virtualisierung implementieren, einen Aufschwung aufgrund des Anstiegs der Multicore-Verarbeitung, doch der Wechsel zu zentralisierten Architekturen kann diese bisherigen Ansätze in Frage stellen.

Unabhängig von der Architektur sind jedoch ein paar allgemeine Punkte sicher. Erstens: Durch CASE vorangetriebene Automotive-Entwicklungen werden immer größere Memory- und Storage-Ressourcen im Fahrzeug erfordern. Zweitens: Die Erwartungen an die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit der Automotive-Speicherinfrastruktur werden im Vergleich zu anderen Computing-Anwendungen steigen – jedoch können dabei keine Kompromisse in Bezug auf Leistungsfähigkeit oder Energieeffizienz eingegangen werden. Und last but not least: Die Zusammenarbeit zwischen Speicheranbietern und Kunden wird weiterhin stark zunehmen, denn nur so lassen sich Fortschritte erzielen, die unser aller Leben ein Stück verbessern.

 

Der Autor

Dr. Reinhard Weigl

ist Senior Director der Embedded Business Unit von Micron und verantwortlich für das Marketing im Automotive-Segment, die Systemarchitektur, die Geschäftsentwicklung und die Kundenlabore in Tokio, Shanghai, Shenzhen, München, Novi (Detroit) und San Jose. Als Geschäftsführer leitet er Micron Semiconductor Deutschland von München aus

 


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