Welche Ziele lassen sich mittels Industrie-4.0-/IIoT-Retrofit von Maschinen und Anlagen erreichen? Inwieweit gehören Ihres Erachtens Condition-Monitoring und Predictive Maintenance, Optimierung des Produktionssystems oder der Wertschöpfungskette sowie Schaffung einer autonom (re)agierenden Systemarchitektur dazu?
Dr. Oliver Kleineberg: Der Wert von Predictive Maintenance lässt sich statistisch bereits in Zahlen wiedergeben. Spätestens dann, wenn eine Wirtschaftlichkeitsrechnung aufgestellt werden kann, ist eine Technologie im Massenmarkt angekommen. Dies ist besonders bei Predictive Maintenance der Fall. Hier geht es in Zukunft vor allem darum, die Sicherheit der Vorhersage zu erhöhen. Dies kann neben längerer Laufzeit einer so ausgestatteten Maschine auch über komplexere Algorithmen und mehr Sensoren geschehen, was auch in Retrofit-Anlagen möglich ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt, besonders bei der Wartung komplexer Anlagen, ist das Thema Echtzeitunterstützung vor Ort mit Augmented Reality. Auch hier kann schon heute sehr konkret berechnet werden – es fehlt nur noch an einer wirklich industrietauglichen Datenbrille. Bis diese im Massenmarkt ankommt, ist es lediglich eine Frage der Zeit.
Michael Volz: Wichtigstes Ziel ist der wirtschaftliche Erfolg der durchgeführten Maßnahmen; die technische Umsetzung ist zweitrangig. Der wirtschaftliche Erfolg lässt sich bei Retrofit-Projekten meist sehr schnell erzielen, denn oft sind die Maschinen bereits abgeschrieben und jede Steigerung von Produktivität und Qualität wirkt sich sofort positiv auf das Betriebsergebnis aus. Die konkreten Ziele hängen natürlich stark vom aktuellen Automatisierungsgrad der Bestandsanlage ab. Condition-Monitoring und die darauf aufbauenden Maßnahmen zur besseren Planung von Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten erhöhen meist schnell die Maschinenverfügbarkeit und Qualität. Die Schaffung einer autonom agierenden Systemarchitektur ist meiner Meinung nach ein sehr hoch gestecktes Ziel, das beim Retrofit einer Bestandsanlage mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nur selten erreichbar ist.
Wolfgang Wanner: Die Ziele eines Retrofits können sehr vielfältig sein. Einerseits kann man zu einem Innovationsträger werden und dadurch das Image des Unternehmens aufbauen oder positiv beeinflussen. Andererseits kann ein Ziel sein, mehr Umsatz zu generieren und dafür neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Aber auch eine Effizienzsteigerung ist möglich, wenn sich durch den Retrofit Kosten einsparen lassen. Viele Unternehmen wollen außerdem neue Märkte betreten und neue Kunden erreichen.
Condition-Monitoring und Predictive Maintenance sind aus unserer Sicht natürlich Möglichkeiten, um diese Ziele mit einer modernisierten Anwendung zu erreichen. Allerdings muss das nicht bei jedem Unternehmen das Mittel zum Zweck sein. Die Notwendigkeit und der Erfolg der einen oder anderen Anwendung kommen immer auf den jeweiligen Einzelfall an, den man betrachtet.
Uwe Naaris: Die Optimierung der Produktionsprozesse ist natürlich stets ein Thema. Einheitliche Standards und Protokolle sind hier elementar, vor allem um eine vorausschauende Wartung umzusetzen. Um aber wirklich vorausschauend sein zu können, fehlen allerdings (noch) geeignete Modelle. Gefragt sind Ansätze, mit denen sich aus nur wenigen Datensätzen effektive Vorhersagen ableiten lassen. Denn Anwender können sich keine Vielzahl an „Trainingsdaten“, sprich Ausfälle, leisten, die den Fehlerfall repräsentieren. Das Überwachen von Zuständen und das Ausführen entsprechender Aktionen, abhängig von den jeweiligen Zuständen, ist der erste Schritt dorthin. Dabei ist der Systemgedanke von entscheidender Bedeutung, und die Platzierung einzelner Komponenten muss in den Hintergrund treten. Ziel sollte immer eine Optimierung über Wertschöpfungsnetzwerke hinweg sein.
Klaus-Dieter Walter: Ich denke, die Ziele wer-den in den meisten Fällen mit den bereits angesprochenen Produktivitätssteigerungen zu tun haben. Industrie-4.0-/IIoT-Retrofit-Lösungen ermöglichen Predictive Analytics im Umfeld von Maschinen und Anlagen. Diese Vorhersagen anhand von Daten entstehen mit Hilfe von Datenanalysen. Damit haben Sie beispielsweise folgende Optimierungsmöglichkeiten:
Predictive Maintenance: Ein Daten- und Informationsgewinnungsprozess soll helfen, ungeplante Maschinenstillstände zu vermeiden. Mit Hilfe von Data-Science-Methoden erhalten Sie Aussagen wie »Der Antrieb A in Maschine B wird mit einer Wahrscheinlichkeit von x Prozent innerhalb von y Tagen ausfallen«. Damit können Sie proaktiv reagieren.
Predictive Quality: In jeder Maschine gibt es Werkzeuge, deren aktueller Zustand maßgeblich Einfluss auf die Qualität des Endprodukts hat. In einer Anlage sieht es etwa bei wichtigen Hilfsstoffen ähnlich aus. Ein Daten-Retrofit über zusätzliche Sensoren mit nachfolgender Datenanalyse ermöglicht Vorhersagen zur Qualität der fertigen Produkte. Mit Predictive Analytics lässt sich in diesem Fall beispielsweise der Zeitpunkt vorhersagen, ab wann eine Maschine Ausschuss produzieren wird.
Predictive Efficiency: Ein Verbund aus vielen Maschinen in einer Fabrik erzeugt hin und wieder Strombezugsspitzen, die zu hohen Stromkosten führen können. Intelligente Algorithmen, die über eine Industrie-4.0-/IIoT-Retrofit-Sensorik mit Daten versorgt werden und darüber hinaus mittels Aktoren die Leistungsaufnahme einiger Maschinen drosseln können, helfen dabei, Energie effizienter zu nutzen.
Predictive Service mit Hilfe einer automatisierten Anomalie-Erkennung: Die Status- und Fehlermeldungen eines bestimmten Maschinentyps werden in der Cloud oder auf einem zentralen Server gespeichert. Mit einem an die Daten angepassten Preprocessing und der anschließenden Analyse erfolgt die Auswertung und Informationsgewinnung.
Zoltan Berkessy: Ein Industrie-4.0-/IIoT-Retrofit von Altanlagen eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten, die Produktivität zu steigern und zugleich Kosten einzusparen. Schlagwörter wie vorausschauende Maschinenwartung, Energieoptimierung, Fernwartung oder Einbindung in eine vollautomatische Produktionssteuerung, um nur einige zu nennen, stehen sowohl für Kostenoptimierung als auch für die Steigerung der Produktivität. Die Realisierung eines autonom agierenden und reagierenden Systems sollte man beim Retrofit als Fernziel betrachten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Weg von einer Insellösung zu einer voll in der Fertigungssteuerung integrierten Einheit einige Zeit in Anspruch nimmt, vor allem wenn sicherheitsrelevante Aspekte der Fernkommunikation gründlich betrachtet und umgesetzt werden.