Belden-Hirschmann hat auf der Hannover Messe 2023 gemeinsam mit Harting einen Demonstrator vorgestellt, der Daten mit 1 Gbit/s per SPE über 90 m überträgt. Cornelia Eitel und Lukas Bechtel von Hirschmann erläutern die Sicht ihres Unternehmens zur Zukunft von SPE und von OPC UA Field eXchange (UAFX).
Markt&Technik: Wie reihen sich die Datenrate von 1 Gbit/s und die Übertragungsdistanz von 90 m in die derzeit üblichen Übertragungsraten und Übertragungsdistanzen von Single Pair Ethernet (SPE) ein?
Cornelia Eitel, Senior System Architect/CTO Office Industrial Automation Solutions bei Hirschmann: Die aktuell spezifizierten Distanzen orientieren sich an den Anforderungen aus Applikationen, die in den Normengremien von den Interessengruppen vertreten wurden und Berücksichtigung fanden. Daher haben wir aktuell vorwiegend Normen mit einigen Metern (15 m) Kabellänge für die automobile Vernetzung und über 1000 m mit 10 Mbit/s für den Ersatz der heutigen Feldbusse wie etwa Profibus in der Prozessindustrie. Die klassischen 100 m, die in bisherigen kupferbasierten Ethernet-Standards üblich sind, gibt es derzeit nicht. Hier schaffen wir Abhilfe. Das Schaubild zeigt, welche Ethernet-Standards es heute gibt. Dies sind 10 Mbit/s bis 1000 m, verschiedene 15-m-Standards und weitere, die in Arbeit sind. Ein Hauptmarkt für die 1 Gbit/s über 90 m könnte als Ersatz für andere Ethernet-Standards die Fabrikautomatisierung sein sowie der Einsatz in Zügen, Trambahnen und Sonderfahrzeugen wie Landmaschinen.
Ist die vorgestellte Übertragung von 1 Gbit/s über 90 m schon marktreif?
Eitel: Hierzu bedarf es sicherlich noch eines Standards in der IEEE 802.3, aber wir konnten gemeinsam mit Harting zeigen, dass mit aktuell verfügbaren Komponenten deutlich längere Reichweiten realisierbar sind. Außerdem zeigen erste theoretische Voruntersuchungen, dass 100 m machbar sein werden. Wir wollen dieses Thema gerne voranbringen und die Interessengruppen darauf aufmerksam machen, dass mehr möglich ist. Aktuell wird die Integration der Sensoren und Aktoren in das Ethernet-Netzwerk priorisiert, der Ersatz von MPE (Multi-Pair-Ethernet) durch SPE steht derzeit nur in einigen Spezialanwendungen im Fokus. Und gerade hier zeigt sich, dass die für Gigabit-SPE spezifizierten 40 m nicht ausreichen.
Derzeit ist bereits eine IEEE-Technologiespezifikation für Übertragungsdistanzen bis 500 m in Vorbereitung. Wann wird diese Spezifikation voraussichtlich endgültig beschlossen?
Eitel: Der aktuelle Zeitplan in der IEEE sieht eine Fertigstellung des 100BASE-T1L-Standards mit 100 Mbit/s Datenrate über 500 m bis Mitte 2024 vor. Leider zeichnet sich derzeit ab, dass dieser neue 100BASE-T1L-Standard nicht mit dem bereits vorhandenen 100BASE-T1-Protokoll rückwärtskompatibel sein wird.
Wann wird dieser Standard dann voraussichtlich marktreif sein, und welche maximalen Übertragungsdistanzen via SPE kann Belden derzeit erreichen?
Eitel: Die Marke Hirschmann arbeitet gerade daran, wie Sensoren in Brown- und Greenfield-Applikationen integriert werden können. Wir haben auch Applikationen mit höheren Datenraten im Blick, die aber sicherlich keine 500 m Kabellänge erreichen werden. Es wird sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis entsprechende ICs auf dem Markt verfügbar sind, die diesen neuen Standard unterstützen werden.
SPE ist zwar prinzipiell protokollunabhängig bzw. protokollneutral, aber inwieweit war die Datenübertragung via SPE bisher – und ist aktuell noch – auf Standard-Ethernet-TCP/IP festgelegt?
Eitel: SPE ist ein IEEE-Standard, der Ethernet-Kommunikation erlaubt und dadurch auch TCP/IP. Um in der Industrie die Interoperabilität und die Anforderungen an die Verfügbarkeit sicherzustellen, haben sich die Nutzerorganisationen auf eine Auswahl von verfügbaren Standards limitiert. Die Nutzerorganisationen PNO und ODVA müssen den SPE-Physical-Layer erst in ihre Spezifikationen aufnehmen. Bis dahin kann in einem zertifizierten industriellen Netzwerk SPE keine Anwendung finden. Bei der Erweiterung der Spezifikation ist auch die Auswahl des SPE-Steckverbinders ein großes Thema. In beiden Organisationen wird daran gearbeitet, eine abgestimmte Entscheidung zu treffen. Wir befürworten diese Vorgehensweise, die jedoch zusätzliche Zeit erfordern wird.
Die Abstimmung des Steckverbinders wird sicherlich für den Erfolg der Technologie und deren Umsetzung in Produkte einen wichtigen Meilenstein darstellen. Es gibt in der IEC unterschiedliche Sub-Standards wie die ISO/IEC 11801-3 und die IEC 61918, die sich bereits auf den »Industrial-Style«-Steckverbinder nach IEC 63171-6 für die industriellen Anwendungsfälle festgelegt haben. Wir unterstützen wie die Mitglieder des SPE Industrial Partner Network den Steckverbinder nach IEC 63171-6, und es wird sicherlich noch den hybriden Typ nach IEC 63171-7 geben.
Auf ihn konnten sich schon mehrere Unternehmen einigen, und die PNO wird diese hybriden Schnittstellen wie auch den M8 Hybrid nach IEC 63171-6 in der neuesten Ausgabe der Verkabelungsrichtlinie als Profinet-Schnittstellen aufnehmen. Die Abstimmung auf ein SPE-Steckgesicht wird jedoch keine einfache Entscheidung werden, weil bereits unterschiedliche Lösungen auf dem Markt verfügbar sind.
Was sollten Ihrer Meinung nach die Industrial-Ethernet-Nutzerorganisationen tun, um eine Datenübertragung via SPE mit ihren Protokollen zu ermöglichen, und was haben sie diesbezüglich bereits getan?
Eitel: Die ODVA hat in der EtherNet/IP-Spezifikation Anpassungen für sogenannte Constraint-Devices umgesetzt. Generell gibt es einige Arbeitsgruppen in den Nutzerorganisationen, die sich mit den Use-Cases rund um SPE beschäftigen. Ein erster Schwerpunkt war und ist hier Ethernet-APL für die Prozessindustrie, aber auch die diskrete Fabrikautomatisierung und die Integration intelligenter Sensoren in das Ethernet-Netzwerk sind in Arbeit. Der aktuelle Fokus liegt dabei jedoch auf 10 Mbit/s.
Interessant finde ich dabei auch, den Ansatz von Profinet over SPE für intelligente Sensoren zu nutzen, versus dem kostengünstigen IO-Link, um einen SPE-Physical-Layer zu erweitern. IO-Link in der Bandbreite zu erweitern und die Reichweite zu erhöhen eröffnet einige neue Anwendungsfelder für diese Technologie. Beide Technologien sind konkurrierende Ansätze, die mit den Endanwendern diskutiert werden sollten. IO-Link hat einige funktionale Einschränkungen, es erlaubt keine Zeitsynchronisation und bietet keine Datensicherheit. Im Ethernet-Standard gibt es die Möglichkeit, auf dem Physical Layer Verschlüsselung sowie Authentifizierung und Autorisierung auszuführen. Diese Mechanismen gibt es per se in IO-Link nicht.