Single-Pair-Ethernet (SPE), mit Spannung erwartet, kommt bisher nicht so recht aus den Startlöchern. Denn es gibt mehrere konkurrierende Steckgesichter, die nötigen IEEE-Standards sind noch in Arbeit, und die Anwendungsprofile lassen auf sich warten. Experten von Belden geben nähere Informationen.
Markt&Technik: Wie wichtig ist eine IEEE-Standardisierung des Physical Layer und der Profilebene von SPE für die Implementierung von SPE in Anwendungen und die Durchsetzung von SPE am Markt?
Uwe Widmann, Chief Engineer R&D Technology: Die IEEE-802.3-Spezifikationen für SPE-Applikationen sind Grundlage für die internationalen Standardisierungen und Spezifikationen für Geräte und passive Komponenten. Sie sind somit essenziell für eine erfolgreiche Markteinführung von SPE. IEC-Standards wie die ISO/IEC 11801-1 und -3 zur generischen Verkabelung und die IEC 61918 zur Installation von Kommunikationsnetzen in Industrieanlagen sind Basis für die Systemspezifikationen in den Nutzerorganisationen. Sobald die SPE-Spezifikationen in den Nutzerorganisationen abgeschlossen sind, werden sie über die Profile der Normenreihe IEC 61784 für industrielle Kommunikationsnetze in die internationale Standardisierung aufgenommen.
Wie wichtig ist demgegenüber die Vereinheitlichung der Steckgesichter?
Dr. Michael Hilgner, Senior Technology Architect: Für Systemhersteller wie Belden, deren Produkte weltweit zum Einsatz kommen, ist ein international normiertes Geräte-Interface für eine kostengünstige Produktion der Komponenten und Geräte sowie eine durchgehende Logistik wichtig. Ein einheitliches Steckgesicht wird der Preissensibilität in den Märkten Fabrik- und Gebäudeautomation gerecht. Darüber hinaus dient es zur Begrenzung der Produktvielfalt, um für unsere Kunden eine zukunftssichere Komponentenauswahl zu gewährleisten, den Bezug der richtigen Produktinformation sicherzustellen und eine einfache Logistik und Lagerhaltung zu ermöglichen.
Wie weit ist die IEEE-Standardisierung bisher fortgeschritten, was ist die Roadmap und welche Datenübertragungsraten bei welchen Kabellängen sind das Ziel?
Cornelia Eitel, Senior Systems Architect: IEEE 802.3cg zu 10BASE-T1 mit 10 Mbit/s wurde bereits 2019 veröffentlicht und bietet den Kunden mit 1000 m (10BASE-T1L) eine deutlich größere Übertragungsstrecke sowie die Möglichkeit einer Leistungsübertragung über das Datenpaar. Damit lassen sich in der Prozess-, Fabrik- und Gebäudeautomation auch weit entfernte Feldgeräte einbinden, die bisher infolge der geringeren Systemreichweiten von kupferbasiertem Ethernet nicht erreichbar waren. In diesem Kontext ist Ethernet-APL für die Prozessautomatisierung schon weit fortgeschritten.
Für die Industrie wird sicherlich die IEEE 802.3dg mit 100 Mbit/s und einer Übertragungsstrecke von bis zu 500 m interessant; sie wird voraussichtlich im Jahr 2025 von IEEE veröffentlicht. Darüber hinaus könnte ein weiteres IEEE-Projekt für eine Bandbreite von 1 Gbit/s über 100 m zusätzlichen Bedarf der Industrie adressieren. Die künftigen IEEE-Spezifikationen werden die Nutzungsmöglichkeiten von SPE um weitere Anwendungsfälle ergänzen. Während 10BASE-T1L die Digitalisierung durch eine durchgängige Anbindung von Feldgeräten mit Ethernet unterstützt, werden die breitbandigeren SPE-Standards 100BASE-T1L und 1000BASE-T1L Alternativen zu bestehenden Ethernet-Übertragungsschichten darstellen. Die Grafik gibt einen Überblick über die Bandbreiten und Übertragungslängen gemäß den IEEE-Standards.
Dr. Michael Hilgner: Die Grafik zeigt darüber hinaus SPE-Systeme mit der sogenannten Multidrop-Technologie, die eine Anbindung mehrerer Sensoren und Aktoren wie mit einem Bussystem ermöglicht. Die grundlegenden Anforderungen wurden mit IEEE 802.3cg festgelegt. Notwendige Ergänzungen wie etwa Leistungsfernspeisung werden im aktuellen IEEE-802.3da-Projekt durchgeführt. Mit Abschluss dieses Projekts wird es möglich sein, bis zu 16 Endgeräte in Linientopologie mit einer Datenrate von 10 Mbit/s anzuschließen. Diese Geräte teilen sich einen Kabelstrang und somit die verfügbare Bandbreite.
Welche Datenübertragungsraten bei welchen Kabellängen sind derzeit technisch möglich?
Uwe Widmann: Derzeit sind von IEEE für industrielle Applikationen IEEE 802.3cg mit 10 Mbit/s über bis zu 1000 m und IEEE 802.3bp mit 1000 Mbit/s über 40 m mit geschirmten SPE-Leitungen spezifiziert und technisch validiert. Belden bietet SPE-Leitungen entsprechend den bereits veröffentlichten Standards der Normungsreihe IEC 61156-11, -12 und -13 für die genannten Bandbreiten an.
Cornelia Eitel: Verschiedene Unternehmen haben zwischenzeitlich demonstriert, dass die aktuell verfügbaren Transceiver-Chips Datenübertragungen über die in der IEEE 802.3 spezifizierten Längen hinaus ermöglichen. So haben wir gemeinsam mit der Firma Harting auf der Hannover-Messe 2023 eine Übertragung von Gigabit-SPE mit einer Länge von 90 m gezeigt.
Inwieweit bremst das Problem der noch ausstehenden Standardisierung der Profilebene von SPE die Verbreitung von SPE am Markt aus?
Uwe Widmann: Die fehlenden Kommunikationsprofile in der Fabrikautomatisierung, bedingt durch die noch ausstehenden Spezifikationen der Nutzerorganisationen, sorgen verständlicherweise für eine verzögerte Übernahme am Markt. Die Nutzerorganisationen arbeiten intensiv an entsprechenden Spezifikationen. Die Firma Belden unterstützt diese Arbeiten durch aktive Mitarbeit in unterschiedlichen internationalen Arbeitsgruppen.
Dr. Michael Hilgner: Das Ethernet-APL-Konsortium hat entsprechende Festlegungen für die Prozessautomatisierung veröffentlicht, sodass wir dort Projekte in Produktionsstätten realisiert sehen. Auch in anderen Bereichen, etwa bei Landmaschinen mit dem High-Speed-Isobus, ist der Einsatz von SPE klar definiert.
Sollten Anwender, die SPE in ihren Produktionsstätten implementieren wollen, lieber warten, bis die IEEE-Standardisierung erfolgt ist, oder sollten sie jetzt schon loslegen?
Uwe Widmann: Wir empfehlen Anwendern, bei Neuinstallationen ihre Anwendungsfälle hinsichtlich Anforderungen an Bandbreite, Leistungsübertragung und Reichweite zu analysieren. So lässt sich SPE in die Planung einbeziehen, und es können entsprechende Leitungen mit den für ihre Applikationen erforderlichen Übertragungslängen und Bandbreiten ausgewählt werden.
Cornelia Eitel: Als Mitglied im SPE Industrial Partner Network leiten wir die Arbeitsgruppe Use Cases und laden alle interessierten Unternehmen in unser Netzwerk ein, um das SPE-Ecosystem mitzugestalten. In diesem Arbeitskreis zeigen wir exemplarisch, wie eine Integration der SPE-Technologie in heutige Systeme erfolgen und praktisch umgesetzt werden kann, um einen Mehrwert bei Endkunden zu generieren.