Single Pair Ethernet (SPE) ist inzwischen marktreif – doch wie ist der aktuelle Stand bei der technischen Umsetzung und der Normierung von Datenübertragungsraten und Leitungslängen? Und in welchem Verhältnis stehen SPE und IO-Link? Cornelia Eitel und Rohitkumar Khatri von Belden informieren.
Belden/Hirschmann hat auf der Hannover Messe 2023 am Stand von Harting einen Demonstrator vorgestellt, der 1 Gbit/s per SPE über 90 m überträgt. Welche SPE-Datenübertragungsraten (speziell 100 Mbit/s und 1 Gbit/s) über welche Entfernungen sind momentan im Versuchsstadium oder schon marktreif?
Cornelia Eitel, Senior System Architect bei Industrial Automation Solutions, CTO Office, Belden: Das Schaubild 1 veranschaulicht die derzeit existierenden Standards und die aktuellen Arbeitsgruppen mitsamt Bandbreiten und Kabelreichweiten. In der IEEE 802.3bp wurden für 1 Gbit/s zwei Linksegmente über 15 m und 40 m spezifiziert. Das 40-m-Linksegment sollte auch erste industrielle Applikationen abdecken. Die Erfahrung zeigt, dass mit den aktuell verfügbaren elektronischen Komponenten die Reichweite des Standards übertroffen werden kann. Dies wurde nicht nur mit dem von uns vorgestellten Demonstrator mit 1 Gbit/s auf Basis der IEEE 802.3bp über 90 m gezeigt.
Leider findet sich bis heute auf dem Markt kein serienreifes Silizium, welches das Linksegment B über 40 m spezifiziert. Daher haben wir gemeinsam mit der Firma Harting auf der Hannover Messe 2023 ausgestellt, um auf ein technisch mögliches Linksegment über 100 m Kabellänge und 1 Gbit/s Bandbreite aufmerksam zu machen.
Es sind uns einige industrielle und mobile Anwendungen für 100 Mbit/s oder 1 Gbit/s bekannt, die von den Vorteilen der SPE-Technologie profitieren und größere Reichweiten benötigen würden. Beispiele dafür sind Landmaschinen und Passagierinformationssysteme in Zügen. Für die IEEE 802.3dg wurde bereits die Normung eines Linksegments von 1 Gbit/s über 100 m Kabellänge diskutiert, jedoch haben die an der Arbeitsgruppe beteiligten Unternehmen beschlossen, sich zunächst auf ein Linksegment von 100 Mbit/s über 500 m Reichweite zu konzentrieren. Im Fokus steht der Bedarf der APL-Feldswitches mit 100 Mbit/s, um Bandbreitenengpässe in die Steuerungs- und Prozessleitebene zu vermeiden.
In welchem Verhältnis stehen SPE und IO-Link zueinander?
Cornelia Eitel: Beide Standards spezifizieren eine Daten- und Stromversorgung für die untere Feldebene, besonders die Sensorik und Aktorik. IO-Link bietet dabei eine sehr kostengünstige Lösung zur Integration in Feldgeräte, ist jedoch in der Reichweite der Verkabelung und der Bandbreite stark eingeschränkt.
Heute wird eine große Vielzahl spezialisierter Kommunikationsprotokolle in industriellen Anlagen verwendet. Diese meist auf spezifische Anwendungen zugeschnittene Protokolle müssen konfiguriert, gewartet und oft auch zertifiziert werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob in Zeiten des Fachkräftemangels und im Rahmen einer Gesamtkostenbewertung diese Diversität künftig der richtige Weg sein kann. Hinzu kommt, dass viele dieser Protokolle künftige Anforderungen an eine industrielle Kommunikation nicht oder noch nicht erfüllen.
Eine dieser Anforderungen ist eine höhere Bandbreite. Wir erwarten, dass künftig mehr Zustands-/Vital- und Betriebsdaten gesammelt und mittels künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet werden. Die Unternehmen erhoffen sich davon weitere Effizienzsteigerungen durch Prozessoptimierungen sowie eine Reduzierung von Stillstandszeiten durch vorausschauende Instandhaltung. Ein weiteres Thema sind die Anforderungen an die Datensicherheit.#
Dagegen steht mit SPE und speziell mit IEEE 802.3cg der physische Übertragungsstandard 10Base-T1L, der in seiner Kombination von Eigenschaften zusammen mit IEEE 802.3bu Power-over-Data-Line (PoDL) für die Feldebene ein »Alleskönner« ist. Sehr übersichtlich lässt sich eine vorteilhafte Kombination von Eigenschaften in einem Spinnennetzdiagramm darstellen, wie im Schaubild 2. Sie muss aber sicherlich für jede Applikation neu bewertet werden.
Mit einer Bandbreite von 10 Mbit/s über bis zu 1 km spezifizierter Kabelreichweite, der Leistungsfernspeisung über PoDL sowie der nahtlosen Kommunikationstechnik vom Sensor bis in die Prozessleitebene und der damit einhergehenden Eliminierung von Gateways hat SPE hier ein Alleinstellungsmerkmal. Hinzu kommt, dass alle bereits in den höheren Layern spezifizierten Ethernet-Funktionen genutzt werden können und nicht neu spezifiziert werden müssen. Mit der Initiative zu OPC UA FX (Field eXchange) für die Controller-to-Device-Kommunikation (C2D) und den darin standardisierten Datenmodellen für Endgeräte wird die Parametrisierung, die Konfiguration und der Tausch von Endgeräten deutlich vereinfacht.
Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass dieser »Alleskönner« mit höheren Gerätekosten, bedingt durch steigende Anforderungen an die Hardware - etwa an Rechenleistung und Speicher - einhergehen kann.
Inwieweit sind Bemühungen, die beiden Techniken per Standardisierung zu kombinieren (Stichworte: IO-Link+, »IO-Link over SPE-Physik«), momentan fortgeschritten? Welche Ergebnisse sind dabei nach dem jetzigen Stand zu erwarten?
Cornelia Eitel: Wir sind selbst nicht mehr in dieser Arbeitsgruppe vertreten, daher können wir hierzu nur unseren Eindruck aus der Beobachterperspektive wiedergeben: Aktuell scheint diese Initiative nicht aktiv weiterverfolgt zu werden, weil die Integration der SPE-Physik höhere Anforderungen an die Verkabelung und damit höhere Kosten mit sich bringen würde. Damit würde der mögliche Vorteil von IO-Link+ gegenüber einer Lösung auf Ethernet-Basis schwinden.
In welchen Anwendungen sehen Sie künftig eher IO-Link, in welchen SPE?
Cornelia Eitel: Sehr einfache Sensoren mit einem einzigen Ausgabewert - etwa Druck und Temperatur - profitieren nur bedingt von einer Migration zu Ethernet. Hier reduziert sich der Vorteil auf die Homogenität der Kommunikationstechnik und der Datensicherheit. Eine höhere Bandbreite wird für diese Sensoren sicherlich nicht zwingend notwendig werden, während intelligente und komplexe Sensoren mit mehreren Variablen von der erhöhten Bandbreite von SPE profitieren. Wir sehen IO-Link als eine Technologie, die intelligente Sensoren mit geringem Bandbreitenbedarf bedient, die in naheliegenden Bereichen installiert werden und auf die im Regelfall – außer beispielsweise zu Konfigurationszwecken – nicht individuell zugegriffen werden muss. Solche Sensoren finden sich in der diskreten Fertigung nicht selten, und insofern bleibt IO-Link eine relevante Technologie. IO-Link-Hubs, über die die Signale von einfachen digitalen (DI-)Sensoren gesammelt werden können, sind ein weiterer interessanter Anwendungsfall.
Belden/Hirschmann hat auf der SPS 2023 die Konzeptstudie eines IO-Link-Masters mit SPE-Uplink für 10Base-T1L vorgestellt, der als Signalkonverter fungiert, also ein IO-Link-Signal in ein SPE-Signal bzw. eine SPE-Message übersetzt. Wie ist der derzeitige Stand der Dinge bei dem Produkt?
Rohitkumar Khatri, Product Owner Field Switches bei Platform Communication & Control Networks, Belden: Der LioN-H ist ein 2-Port-IO-Link-Master mit SPE-Anbindung in die Steuerungsebene. Das Ziel dieser Konzeptstudie ist es, eine Lösung für die Integration von SPE und IO-Link in bestehenden Anlagen aufzuzeigen, bei der SPE die Reichweitenlimitierung von IO-Link eliminiert. Dies ist ein Beispiel für den zukünftigen Mischbetrieb beider Technologien, den wir erwarten. Anhand der Rückmeldungen aus dem Markt werden wir die weiteren Schritte für ein Produkt auf Basis des LioN-H planen.
Inwieweit soll das Produkt weiterentwickelt bzw. soll es zur Serienreife entwickelt werden?
Rohitkumar Khatri: Mit der Durchführung technischer Voruntersuchungen und der Integration in praxisnahe Applikationen sind wir bereit, ein marktfähiges Produkt zu entwickeln. Aktuell warten wir auf die Komplettierung der Anforderungen für die SPE-Integration durch die Nutzerorganisationen in ihren Standards. Entsprechende Arbeitsgruppen sind in der ODVA (Open DeviceNet Vendor Association) und der PI (Profibus & Profinet International) tätig. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Nutzung der SPE-Technologie in der Prozess- und Fabrikautomatisierung.
Welche Aufgaben und Funktionen erfüllt das Produkt?
Rohitkumar Khatri: Der LioN-H ist ein 2-Port-IO-Link-Class-A-Master. Er bildet Prozessdaten von IO-Link-Ports auf EtherNet/IP-Prozessdaten ab. Darüber hinaus unterstützt er REST-APIs und verschiedene Konfigurationen via Webserver, etwa für IODD (IO Device Description), Portkonfiguration und ISDU-Anfragen (Index Service Data Unit).
Werden sich Ihres Erachtens bestimmte IEC-63171-Standards durchsetzen oder werden die derzeit bestehenden koexistieren?
Rohitkumar Khatri: Die Abstimmung des Steckverbinders wird sicherlich ein wichtiger Meilenstein für den Erfolg der Technologie und ihre Umsetzung in Produkte sein. Diverse internationale Normen, unter anderem ISO/IEC 11801-3 und IEC 61918, definieren bereits den »Industrial-Style«-Stecker nach IEC 63171-6 für industrielle Anwendungen, den auch wir als Mitglied des SPE Industrial Partner Network - neben dem hybriden IEC 63171-7 - unterstützen.
Auch Unternehmen außerhalb des SPE Industrial Partner Network unterstützen die IEC 63171-7, und PI hat Hybridschnittstellen nach dieser Norm sowie die hybride M8-Schnittstelle gemäß IEC 63171-6 als Profinet-Schnittstellen in die neueste Ausgabe der Verkabelungsrichtlinie aufgenommen. Somit besteht zumindest bezüglich der hybriden Steckverbinder Klarheit.
Die Fragen stellte Andreas Knoll.