Niemand anderes weltweit verfolgt diesen Ansatz?
Feldmann: Der amplitudenbasierte Ansatz ist einzigartig, genauso wie unsere On-Memory-Compute-Architektur. Ergebnis ist ein extrem leistungsfähiger Prozessor, der im Vergleich zu herkömmlichen elektronischen ICs auf weniger Fläche ein Vielfaches an Leistung erzielt, ohne dass die Photonik auf große Dimensionen skaliert werden muss.
Kewada: Insgesamt gibt es im KI-Umfeld mindestens 130 Startups, aber die überwiegende Mehrheit von ihnen versucht, die Leistungsfähigkeit der herkömmlichen elektronischen Chips zu verbessern. Photonische Chips als Beschleuniger – darauf setzen weltweit nur eine Handvoll Startups. Wir sind meines Wissens nach die einzigen in Europa.
Auf welche Märkte zielen sie mit der Kombination aus elektronischem ASIC und photonischem Chip ab?
Kewada: Wir können unsere applikationsspezifischen High-Speed-Chips jetzt für den Einsatz im HPC- und KI-Umfeld für viele vertikale Märkte entwickeln.
An welche Märkte denken Sie dabei genau?
Kewada: Geringe Latenz und hohe Rechenleistungen werden beispielsweise im 5G-Umfeld und in Basisstationen gebraucht. Ein High-Speed-Inferenz-Chip erlaubt es, die spektrale Effizienz zu verbessern, um die zur Verfügung stehenden Kanäle besser nutzen zu können. Aber auch in Datenzentren gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten, genauso wie im Finanzumfeld, etwa bei Banken und Versicherungen. Ein anderes Beispiel wäre der Einsatz in der Bildverarbeitung, etwa in Robotersystemen.
Gibt es bereits Demonstratoren oder Prototypen?
Kewada: Wir haben bereits verschiedene Prototypen entwickelt, um verschiedene unserer Komponenten zu testen. Beispielsweise den Prototypen eines photonischen Chips. Den elektronischen IC haben wir auf Basis eines FPGA realisiert. Wir stehen bereits mit einer Foundry in Kontakt, um die nächsten Test-Chips zu fertigen.
Wann soll der neue Testchip seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen?
Kewada: Das Tape-out ist für die nächsten Monate geplant. Der Prototyp bestehend aus dem elektronischen ASIC, dem photonischen Chip und dem Interposer ist für nächstes Jahr geplant.
Dieser Prototyp wäre dann schon sehr nahe an der Realität?
Kewada: Ja, er versetzt die Anwender in die Lage, unseren Chip realitätsnah auszuprobieren und damit herumzuspielen, um zu testen, wie er sich für ihre speziellen Anwendungen nutzen lässt. Auf diese Weise können sie lernen, wie der Chip im Wesentlichen funktioniert. Es wird sich also um ein Modul handeln, über das sich End-to-End-Systeme aufbauen und ausprobieren lassen.
Was sind die weiteren Ziele für die nächsten zwölf Monate?
Kewada: Auf der wirtschaftlichen Ebene müssen wir die nächste Finanzierungsrunde vorbereiten. Denn die Entwicklungen sind sehr kapitalintensiv. Auf der technischen Ebene müssen wir unseren Software Stack ausbauen, um sicher zu stellen, dass unser Chip nahtlos mit den etablierten Entwicklungsumgebungen wie TensorFlow zusammenarbeiten kann und die Entwickler in der Lage sind, neuronale Netze für ihre Zwecke auf Basis unserer Chips zu entwerfen.
Sie sagten ja schon, dass sich viele KI-Firmen mit Verbesserungen auf rein elektronischer Ebene beschäftigen, wo sich immer noch recht viel erreichen lässt. Gleichzeitig scheint das Quantencomputing enorm an Fahrt aufzunehmen. Sehen Sie die Gefahr, zwischen den beiden Ansätzen zerrieben zu werden?
Kewada: Es gab eine erste Welle von Innovationen, die auf der rein elektronischen Ebene stattfanden. Jetzt beginnen aber viele, nach ganz neuen Technologien Ausschau zu halten, vor allem im Umfeld des Quantencomputing. Das ist eine zweite Welle, allerdings sind Quantencomputer noch relativ weit vom praktischen Einsatz entfernt. Meiner Meinung nach zielen die hybriden photonisch-elektronischen Prozessoren genau auf das Marktsegment ab, das eine um Größenordnungen höhere Rechenleistung benötigt, aber nicht darauf warten kann, bis Quantencomputer in der Realität angekommen sein werden. Wer eine Leistungsfähigkeit benötigt, die um Größenordnungen über der heutiger Prozessoren liegt, sollte sich unseren hybriden Ansatz genau anschauen. Das Beste daran: Wir können ab morgen fertigen!
Salience Labs
Salience Labs wurde 2021 aus der WWU Münster und der University of Oxford ausgegliedert, um einen ultraschnellen Multi-Chip-Prozessor zu entwickeln, der Photonik mit Standardelektronik kombiniert. »Auf der Grundlage unserer Forschungen an den Universitäten Münster und Oxford haben wir einen radikal neuen Ansatz für photonisches Rechnen gewählt und eine neue Multi-Chip-Architektur für photonisches ‚On-Memory-Computing‘ entwickelt«, sagt Johannes Feldmann, CTO und Mitgründer von Salience Labs. Erst kürzlich hatte Salience Labs über eine erste Finanzierungsrunde 11,5 Mio. Dollar erhalten. Angeführt wurde sie von Cambridge Innovation Capital und Oxford Science Enterprises, unter Beteiligung von Oxford Investment Consultants, Jalal Bagherli, Silicon Catalyst, dem Goh Family Office in Singapur und den von Arm unterstützten Deeptech Labs.
Jalal Bagherli war langjähriger CEO von Dialog Semiconductor, bevor Renesas das Unternehmen 2021 für 5,7 Mrd. US-Dollar übernommen hatte. »Die einzigartige ‚On-Memory Compute‘-Architektur ist wegweisend und hat das Potenzial für bahnbrechende Leistungs- und Energieeffizienz, die über das hinausgeht, was etablierte CMOS-Architekturen bieten«, erklärte Jalal Bagherli anlässlich des Abschlusses der Finanzierungsrunde.