Mit dem Critical Raw Materials Act will die EU die Abhängigkeit vom Import seltener Erden reduzieren. Was jetzt getan werden kann, darüber sprach Markt&Technik mit Jürgen Gassmann vom Fraunhofer IWKS.
Markt&Technik: Im Moment scheint der Handelskrieg zwischen den USA und China zu eskalieren. China erhebt jetzt kräftig Zölle auf seltene Erden. Wird auch Europa Schwierigkeiten haben, an die begehrten Materialien zu kommen?
Jürgen Gassmann, Abteilungsleiter Magnetwerkstoffe der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS: Tatsache ist, dass es derzeit kaum erschlossene Vorkommen an seltenen Erden und keine kommerziellen Abbauaktivitäten in Europa gibt. Deshalb bemüht sich die EU schon länger, die Abhängigkeit zu verringern, insbesondere von China.
Schon in der Einleitung zum Critical Raw Materials Act der EU (CRMA) ist aufgeführt, dass sich der Bedarf an seltenen Erden innerhalb der EU bis 2030 versechsfachen wird, bis 2050 versiebenfachen. Der CRMA gibt als Ziel vor, dass bis 2030 mindestens 10 Prozent der Rohstoffe in der EU gefördert werden sollen, 40 Prozent sollen in Europa prozessiert werden, 25 Prozent recycelt, und nicht mehr als 65 Prozent des jährlichen Verbrauchs sollen aus einem Drittstaat kommen. Alles in allem ein ambitioniertes Ziel!
Da kam die Nachricht vor zwei Jahren gerade recht, dass in Kiruna in Schweden ein Vorkommen entdeckt wurde, das rund 1 Million Tonnen Seltenerd-Erze umfassen soll…
…was wirklich eine gute Nachricht ist. Das Vorkommen wurde dort entdeckt, wo die schwedische Minenfirma LKAB bereits ein Bergwerk unter Tage für Eisenerz betreibt. Allerdings müssen erst noch umfangreich weitere Stollen gegraben werden, um bis zu den seltenen Erden vorzudringen. 2023 hatte LKAB selbst davon gesprochen, dass der Weg bis zu einer voll funktionstüchtigen Mine lang sei. Das Unternehmen rechnet mit einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren bis zur vollen Produktion.
Wenn dann die Erze an die Oberfläche gebracht worden sind, müssen sich weitere wichtige Schritte anschließen, bis die seltenen Erden in einer Form vorliegen, dass aus ihnen Magnete für Elektromotoren gebaut werden können – der wichtigste Verwendungszweck für die seltenen Erden…
…ja, danach müssen die Erze erst einmal separiert werden. Dann liegen die verschiedenen Seltenerdoxide vor. Sie werden über ein Schmelzflusselektrolyseverfahren in die Metalle verwandelt. Erst nach dieser Metallisierung können sie dazu verwendet werden, starke Permanentmagnete herzustellen. Auch diese Prozesse können nicht ohne weiteres in Europa durchgeführt werden. Sicherlich wird es Unternehmen geben, die dies bei Bedarf tun können, aber es ist kein trivialer Prozess, und das Know-how ist in Europa nicht mehr sehr stark vorhanden.
Gibt es einen speziellen Flaschenhals?
Den Flaschenhals bildet die Metallisierung, denn dafür ist ähnlich wie bei der Aluminiumherstellung sehr viel elektrische Energie erforderlich, der Schritt ist also sehr teuer, gerade hierzulande. Aber das ist auch ein grundsätzliches Problem, das sich quer durch alle Schritte der Wertschöpfungskette zieht. Die Kunden sind die Preisstruktur gewöhnt, wie sie zu Zeiten herrschte, als die Versorgung über China funktioniert hat, und sich kaum jemand Sorgen darüber machte, dass 90 Prozent der seltenerdhaltigen Permanentmagnete aus China kommen. 2011 war das kurzfristig anders, als China ankündigte, die Exporte für seltene Erden zu beschränken. Damals wurde hektisch versucht, neue Vorkommen zu finden und zu erschließen. Aber im Bergbau funktioniert das nicht von heute auf morgen, und als die Preise wieder fielen, verliefen die Projekte im Sande. Jetzt hat sich die Situation wieder deutlich geändert, wie auch der CRMA zeigt. Jetzt sollen wieder Lagerstätten in Europa erschlossen werden, und auch die Separation, die Metallisierung und die Produktion der Magnete sollen hier stattfinden.
Auf der anderen Seite muss man sich auch klar darüber sein, dass die seltenen Erden im Vergleich zu anderen Metallen wie Aluminium, Eisen oder Kupfer ein winziger, jedoch strategisch wichtiger Markt sind. Viele Unternehmen verdienen ihr Geld vor allem mit den Rohstoffen, die in großen Mengen benötigt werden – und sind nicht in erster Linie daran interessiert, die Seltenerdmaterialien zu fördern. Die übrige Aufbereitung bis zum Magneten muss auch noch dazu kommen und bezahlt werden. Der Weg zur Unabhängigkeit ist eben nicht so einfach.
Gibt es überhaupt noch weitere Lagestätten in Europa außer in Kiruna?
Das norwegische Unternehmen Rare Earths Norway gab Mitte 2024 bekannt, dass im »Fen Carbonatite Complex«, der rund 100 km südwestlich von Oslo liegt, die größten Vorräte an seltenen Erden in Europa entdeckt worden seien. Insgesamt 8,8 Millionen Tonnen sollen dort in Tiefen von 450 bis 1000 m unter Meeresspiegel lagern. Der Anteil der seltenen Erden, die für die Herstellung von Dauermagneten genutzt werden können, liegt bei 1,5 Millionen Tonnen. Bis 2030 soll im Einklang mit dem CRMA die erste Erschließungsphase beendet sein, zu der auch ein Pilotprojekt zur Aufbereitung der geförderten Erze gehört. Das Werk soll in Nome gebaut werden, ganz in der Nähe des »Fen Carbonatite Complex«. 2030 könnte Rare Earths Norway bereits 10 Prozent des europäischen Bedarfs decken, so der Plan. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfungskette vom Seltenerdmineralien bis zum Magneten und dem Recycling abzubilden.
Auch in Sokli/Finnland wurden Vorkommen von seltenen Erden in Konzentrationen entdeckt, die hoch genug sind, um den Abbau lohnenswert zu machen, darunter Neodym und Praseodym für die Herstellung von Magneten. Derzeit laufen die Untersuchungen noch. Die Ergebnisse sind bisher so vielversprechend, dass 2026 die nächste Phase der Machbarkeitsstudie starten soll. Neben seltenen Erden und Niob sollen dort auch Phosphat, Eisen, Magnesium, Vermiculite (Aluminium-Eisen-Magnesium-Silikate), Uran und Kupfer abgebaut werden.
Die amerikanische Regiering hatte die Ukraine ins Spiel gebracht. Auch hier sollen seltene Erden lagern. Ist darüber etwas bekannt?
Nach Angaben des Instituts für Geologie der Ukraine gibt es dort Vorkommen von seltenen Erden wie Lanthan und Cer, die in Fernsehern und Beleuchtungsanlagen verwendet werden, Neodym und Praseodym, die in Permanentmagneten für Windturbinen und Elektrofahrzeugen zum Einsatz kommen, sowie Erbium und Yttrium, deren Einsatz von der Kernkraft bis zu Lasern reichen. Allerdings liegt nach Angaben der ukrainischen Regierung die Hälfte der Vorkommen an seltenen Erden in von Russland besetzten Teilen der Ukraine. Derzeit gibt es dort keine aktiven Minen zur Förderung von seltenen Erden.
Eine Möglichkeit für Länder wie Deutschland, die über keine wirtschaftlich rentablen Vorkommen verfügen, besteht darin, über Recycling an die seltenen Erden zu gelangen. Sehen Sie dies als einen gangbaren Weg an?
Recycling ist sicherlich ein wichtiges Element und wird auch im CRMA hervorgehoben. Der große Vorteil ist, dass die seltenen Erden in den zu recycelten Produkten als Legierung vorliegen, was den Bedarf am Abbau aus der Erde senkt. Das wiederum reduziert den CO2-Fußabdruck insgesamt und trägt zum Aufbau einer Kreislaufwirtschaft bei. Ein wichtiges Ziel der EU besteht darin, eine nachhaltige Wertschöpfungskette zu etablieren, und dabei spielt das Recycling eine wichtige Rolle. Allerdings lassen sich damit im besten Fall 10 Prozent des Bedarfs abdecken.
Deutschland hatte schon vor sechs Jahren versucht, eine Partnerschaft mit brasilianischen Unternehmen aufzubauen, immerhin liegt Brasilien, was die Größe der Lagerstätten angeht, hinter China auf Platz zwei in der Welt. Was ist daraus geworden?
Das Fraunhofer IWKS war am Forschungsprojekt REGINA beteiligt, in dessen Rahmen in Brasilien eine kleine Pilot-Magnetfabrik aufgebaut wurde. Generelles Ziel des Projekts mit Partnern aus Deutschland und Brasilien war der Aufbau einer brasilianischen Wertschöpfungskette für die Herstellung von Permanentmagneten. Allerdings hatte das beteiligte Unternehmen, das die seltenen Erden als Nebenprodukt in der Niobproduktion abbaut, kein Interesse, den notwendigen Invest zu tätigen, um die Seltenerdproduktion aus ihren vorliegenden Erzen auszubauen, so dass das Projekt nicht weiterverfolgt wurde.
Was wären aus ihrer Sicht die wichtigen Schritte, die jetzt eingeleitet werden müssten, um in Europa auf dem Weg aus der Abhängigkeit etwas weiter zu kommen?
Es wäre ein gemeinschaftlicher Ansatz erforderlich, um eine durgehende Wertschöpfungskette aufzubauen. Dazu müssten sich große europäische Unternehmen zusammentun, die auf seltene Erden angewiesen sind, ein Einzelnes könnte es nicht schaffen. Das müsste dann so angelegt sein, dass alle Beteiligten einen Vorteil davon haben. Das Ziel wäre es, vom Bergbau über die Trennung und Metallisierung bis zur Produktion der Magnete und zum Recycling die gesamte Supply Chain in Europa zu etablieren. Das würde zu einer nachhaltigen Produktion und zu einer höheren Versorgungssicherheit führen. Auch Partnerschaften über die Grenzen Europas hinaus wären eine Möglichkeit.
An was denken Sie dabei konkret?
Beispielsweise an Japan. Dort haben japanische Konzerne in australische Bergbauunternehmen investiert, um sich den Zugang zu den seltenen Erden zu sichern. Auch Unternehmen in den USA gehen diesen Weg. In der EU und Europa ist dies vielleicht etwas schwieriger, weil es eben viele Länder mit teilweise unterschiedlich gelagerten Interessen gibt. Aber Japan und die USA zeigen, dass es funktionieren kann.