Forschungstransfer

Seltene Erden aus Elektroschrott

9. Juli 2024, 11:52 Uhr | Corinne Schindlbeck
In der linken Hand der Rohstoff «Leuchtstofflampe», in der rechten das gelbe Reagenz, das Seltene Erden trennen kann: ETH-Doktorandin Marie Perrin präsentiert den neuen Recycling-Ansatz.
© Fabio Masero / ETH Zürich

Forschende der ETH Zürich haben ein Verfahren entwickelt, um Seltene Erden aus Elektronikschrott zu gewinnen. Die Technologie ist bereits patentiert, nun soll eine Startup-Gründung erfolgen, um sie zu vermarkten.

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Im Mittelpunkt des Verfahrens steht ein kleines Molekül, das natürlich in Enzymen als Bindungsstelle für Metalle dient. Damit gelingt es, bestimmte Seltenerdmetalle voneinander zu trennen. In einem Machbarkeitsnachweis hat das Team Europium direkt aus Leuchtstoffpulver von verbrauchten Energiesparlampen geschürft, und zwar in viel höherer Menge als durch bestehende Methoden. 

Seltene Erden umfasst 17 Metalle, die als essenzielle Rohstoffe fast vollständig aus China importiert werden müssen. Sie gelten daher als »kritisch«, auch wegen ihrer mühsamen Gewinnung. In natürlichen Erzen kommen sie stets gemischt vor – doch da sich diese Elemente chemisch sehr ähnlich sind, lassen sie sich nur schwer voneinander trennen. Traditionelle Trennverfahren sind daher sehr chemikalien- und energieintensiv und erfordern etliche Extraktionsschritte. Das macht die Förderung und Reinigung der Metalle teuer, aufwändig und für die Umwelt enorm schädlich.

»Trotzdem werden Seltene Erden in Europa noch kaum wiederverwertet«, sagt Victor Mougel, Professor am Laboratorium für Anorganische Chemie der ETH Zürich.  Elektronikschrott stellt eine wichtige, aber bislang wenig genutzte Quelle für Seltenerdmetalle dar. Die Idee: Seltene Metalle am Lebensende von Produkten wie Leuchtstofflampen zurückzugewinnen und im Kreis zu führen. Bislang liegt die Rückgewinnungsrate von Seltenerdelementen in der EU unter ein Prozent.

Ein Team von Forschenden unter Mougels Leitung will das ändern. »Es braucht dringend nachhaltige und unkomplizierte Methoden zur Trennung und Rückgewinnung dieser strategischen Rohstoffe aus unterschiedlichen Quellen«, fordert der Chemiker.
Ihre Methode, mit der sich das Seltenerdmetall Europium effizient aus komplexen Gemischen von anderen Seltenen Erden abtrennen und wiederverwerten lässt, ist überraschend einfach. Marie Perrin, Doktorandin in Mougels Gruppe und Erstautorin der Studie: »Bestehende Trennverfahren beruhen auf Hunderten von sogenannten Flüssig-Flüssig-Extraktionsschritten und sind ineffizient, und das Recycling von Europium war bislang wenig praktikabel.« In ihrer Studie zeigten sie nun, dass ein einfaches anorganisches Reagenz diese Trennung erheblich verbessern kann. »Damit gewinnen wir Europium in wenigen einfachen Schritten – und das in Mengen, die mindestens 50-mal höher sind als mit bisherigen Trennmethoden«, so Perrin.

Im Mittelpunkt stehen kleine anorganische Molekülen mit vier Schwefelatomen, die um ein Wolfram- oder Molybdänatom herum angeordnet sind: Tetrathiometallate. Sie kommen oft als Bindungsstelle für Metalle in natürlichen Enzymen vor und dienen als Wirkstoff gegen Krebs und Störungen des Kupferstoffwechsels. Nun werden sie erstmals auch als Liganden für die Trennung von Seltenerdmetallen eingesetzt. 

Dabei kommen seine einzigartigen Redox-Eigenschaften zum Tragen, die Europium in seinen ungewöhnlichen zweiwertigen Zustand reduzieren und so die Trennung von den anderen dreiwertigen Seltenerdmetallen vereinfachen.
«Das Prinzip ist dabei so effizient und robust, dass wir es direkt auf verbrauchte Leuchtstofflampen anwenden können, ohne dass die sonst üblichen Vorbehandlungsschritte erforderlich sind», so Mougel. Lampenabfälle könnten als urbane Minen für Europium dienen und somit unabhängiger von Importen machen.

In der Vergangenheit wurde Europium hauptsächlich als Leuchtstoff in Leuchtstofflampen und Flachbildschirmen verwendet, was zu hohen Marktpreisen führte. Da Leuchtstofflampen nun sukzessive aus dem Verkehr gezogen werden, ist die Nachfrage gesunken, so dass die bisherigen Recyclingmethoden für Europium wirtschaftlich nicht mehr rentabel sind. Effizientere Trennstrategien sind dennoch wünschenswert und könnten helfen, die Unmengen an günstigen Leuchtstofflampenabfällen zu verwerten, deren Gehalt an Seltenerdmetallen etwa 17-mal höher ist als in natürlichen Erzen.

»Unser Recycling-Ansatz ist deutlich umweltfreundlicher als alle herkömmlichen Methoden zur Gewinnung von Seltenerdmetallen aus Mineralerzen«, sagt Mougel.
Das Forscherteam hat seine Technologie patentiert und ist gerade dabei, ein Start-up namens Reecover zu gründen, um sie künftig zu vermarkten. Derzeit arbeiten sie daran, das Trennverfahren für weitere Seltenerdmetalle wie etwa Neodym und Dysprosium, die in Magneten vorkommen, anzupassen. 
 


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