Der Transistor feiert dieses Jahr seinen 75. Geburtstag – zumindest, wenn man die erste Demonstration von John Bardeen und Walter Brattain im Jahr 1947 in den Bell Labs als Geburtsstunde zählt. Die Entwicklungen begannen schon viel früher.
Beim »Computer History Museum« (CHM) heißt es beispielsweise: »In den 1920er-Jahren schlugen Wissenschaftler vor, Verstärker aus Halbleitern zu bauen. Aber sie verstanden die Materialien nicht gut genug, um sie tatsächlich einzusetzen. Im Jahr 1939 griff William Shockley in den Bell Labs von AT&T die Idee wieder auf, um Vakuumröhren zu ersetzen. Unter Shockleys Leitung stellten John Bardeen und Walter Brattain 1947 den ersten Halbleiterverstärker vor.«
Darüber hinaus gab es bereits zuvor viele Entwicklungen und Forschungsaktivitäten im Bereich Halbleiter. Der VDE verweist in seiner Chronik der Elektrotechnik zum Beispiel auf Stephen Gray, er hatte bereits 1729 den Unterschied zwischen elektrischen Leitern und Nichtleitern entdeckt. Dort wird aber auch das Jahr 1874 genannt, als Ferdinand Braun zwischen 1874 und 1883 Untersuchungen bezüglich der Stromleitung durch Schwefelmetalle durchgeführt hat und feststellte, dass Kontaktstellen und Kontaktmaterialien (impliziter Hinweis auf die spätere Randschichttheorie von W. Schottky) durchaus Einfluss darauf haben. Wikipedia schreibt: »Der Nobelpreisträger Ferdinand Braun entdeckte den Gleichrichtereffekt der Halbleiter 1874. Er schrieb: ›Bei einer grossen Anzahl natürlicher und künstlicher Schwefelmetalle […] habe ich gefunden, dass der Widerstand derselben verschieden war mit Richtung, Intensität und Dauer des Stromes. Die Unterschiede betragen bis zu 30 pCt. des ganzen Werthes.‹ Er beschrieb damit erstmals, dass der Widerstand veränderlich sein kann.« Die VDE-Chronik weist auch darauf hin, dass der Begriff »Halbleiter« von Johann Königsberger und Josef Weiss 1911 in die elektrophysikalische Begriffswelt eingeführt wurde. Auch dass Jan Czochralski 1918 ein Verfahren zum Ziehen von Einkristallen aus der Schmelze entwickelt hat, ist in der Chronik zu finden. Dort wird zudem darauf hingewiesen, dass Julius Edgar Lilienfeld 1926 (andere Quellen nennen 1925) ein US-Patent zur Steuerung des Ladungsträgerflusses in einem Halbleiter durch elektrostatische Influenz (Prinzip des Feldeffekttransistors) eingereicht hat. Bei Wikipedia heißt es dazu: »Lilienfeld beschreibt in seiner Arbeit ein elektronisches Bauelement, das Eigenschaften einer Elektronenröhre aufweist und im weitesten Sinne mit dem heute als Feldeffekttransistor (FET) bezeichneten Bauelement vergleichbar ist. Zu dieser Zeit war es technisch noch nicht möglich, Feldeffekttransistoren praktisch zu realisieren.«
Die Liste wichtiger Entdeckungen und Entwicklungen einschließlich entscheidender Patente für die heutige Halbleiterindustrie lässt sich fortführen, am Ende haben aber Walter Brattain, John Bardeen und William Shockley 1956 den Nobelpreis für Physik für die Entwicklung des Germanium-Transistors erhalten, und zwar für den Spitzen- und den Flächentransistor. Die Bezeichnung »Spitzentransistor« (oder Punktkontakttransistor) geht auf Brattain und Bardeen zurück, denn die beiden hatten auf einer Germaniumoberfläche zwei feine Metallspitzen in sehr geringem Abstand voneinander platziert. Wikipedia führt zum Flächentransistor aus: »Flächentransistor ist eine frühe Konstruktionsform eines Bipolartransistors, der im Englischen als junction transistor bezeichnet wird. Im Gegensatz zum ersten praktisch realisierten Spitzentransistor (Punktkontakt-Transistor) werden die Emitter- und Kollektorgebiete nicht durch Aufsetzen zweier Metallspitzen kontaktiert und formiert, sondern weisen flächenhafte Kontaktflächen für die drei Halbleiterzonen (Basis, Emitter und Kollektor) auf.« Als der Nobelpreis damals vergeben wurde, hieß es in der New York Times: »Dies ist ein kleiner und hocheffizienter Ersatz für Vakuumröhren in der Elektronik.«
Es gibt aber noch eine weitere Entwicklung, die unbedingt erwähnt werden muss: die erste integrierte Schaltung, die auf Jack Kilby von Texas Instruments zurückgeht, bestehend aus einem Transistor, einem Kondensator, dreier Widerstände und das alles auf Basis von Germanium. Beim VDE heißt es: »1958: Aufbau eines Flip-Flops aus diskreten, nur aus Silizium bestehenden Bauelementen. Entwicklung von Vorstellungen zur Realisierung einer Schaltung (Transistoren, Widerstände und Kondensatoren) aus einem Stück Halbleitermaterial (Germanium) durch J. Kilby (Texas Instruments). 1959 Patentanmeldung unter dem Titel ›Miniaturized electronic circuits‹, erteilt 1964.« Auch diese Entwicklung hat 2000 den Nobelpreis errungen.
Bei Ericsson ist zu lesen: »Viele Erfindungen werden von mehreren Personen gleichzeitig gemacht, weil die Zeit ›reif‹ ist, d.h. eine technische und wissenschaftliche Grundlage vorhanden ist und eine Nachfrage und ein Geschäftspotenzial für die Erfindung besteht. Der Transistor ist jedoch eine Erfindung, die lange vor dem richtigen Zeitpunkt erdacht wurde. Er wurde 1947 erfunden, und selbst einige Jahre später wurde er auf einer wissenschaftlichen Konferenz als eine so merkwürdige Errungenschaft betrachtet, dass er nicht in die Dokumentation aufgenommen wurde. Die Erfinder selbst glaubten, dass der Transistor in einigen speziellen Instrumenten und möglicherweise in militärischen Funkgeräten eingesetzt werden könnte.«
Allerdings hat es wirklich seine Zeit gedauert, bis die Stunde des Transistors schlug. 1956 war endlich die erste Anwendung für den Transistor gefunden: ein kleines tragbares Radio – Texas Instruments brachte mit dem »Regency TR-1« als erstes Unternehmen ein entsprechendes Gerät auf den Markt. Sony war laut Ericsson das zweite Unternehmen, das in diesen Markt einstieg.
Wie sich die Transistorgeschichte über die Jahre entwickelt hat, lässt sich anhand der Entwicklung der IEDM (International Electron Devices Meeting) gut darstellen. Die erste IEDM – damals hieß sie noch »Electron Devices Meeting« (EDM) fand im Oktober 1955 statt. Damals gab es 54 Vorträge, 39 Vorträge davon über Elektronenröhren; die restlichen 15 Vorträge behandelten diskrete Halbleiter, im Wesentlichen Flächendioden und Germaniumtransistoren. Damals haben vier Institutionen bzw. Unternehmen fast zwei Drittel der Vorträge gestemmt: Bell Labs – hier wurde der Transistor sieben Jahre zuvor »geboren« – (elf Vorträge, sieben über Halbleiter), RCA (Radio Corporation of America, zehn Vorträge, nur drei über Halbleiter), Hughes Aircraft und Sylvania Electric Products (sieben bzw. sechs Vorträge, die meisten über Elektronenröhren).
Die fünfte EDM 1959 wiederum markierte den Beginn der Ära der integrierten Schaltkreise; in diesem Jahr tauchten die ersten IC-Vorträge bei der EDM auf. Schon damals hielt es RCA in einem Vortrag für wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Abmessungen in ICs verringert werden müssten. Und auch wenn 1959 auf der EDM die ersten IC-Vorträge auftauchten, war damals die Skepsis groß, denn viele bezweifelten, dass integrierte Schaltungen jemals wirklich praktikabel sein würden, weil die kombinierte Ausbeute in den integrierten Elementen so gering wäre, dass ihre Herstellung mit unerschwinglichen Kosten verbunden wäre.
Dann wurde 1962 ein weiterer Meilenstein erreicht, die ersten brauchbaren MOSFETs wurden auf der EDM vorgesellt: RCA hielt einen Vortrag über IGVETs (Insulated-Gate Field-Effect Transistor).
Die EDM, eine bis dahin nordamerikanische Veranstaltung, mauserte sich währenddessen zum internationalen Event: 1965 wurde aus der EDM die International EDM, also die IEDM, die wir heute kennen. In diesem Jahr kamenen fünf Vorträge aus Europa und fünf aus Japan, 108 Vorträge hielten allerdings immer noch Amerikaner. Zum Vergleich: 1994 kamen 39 Vorträge aus Europa, 69 aus Japan und 94 aus Nordamerika. Ebenfalls in diesem Jahr, 1965, erlebten die Bipolartransistoren ihren zweiten Durchbruch, nachdem sie bereits 1958 zum ersten Mal beschrieben worden waren. 1965 konnten sich die Besucher über zwei weitere bahnbrechende Innovationen freuen: Das erste Mal fand die Ionenimplantation als Fertigungstechnik Erwähnung. Und IBM hat in einem Vortrag den ersten Speicher-IC beschrieben (»Sixteen Bit Monolithic Memory Array«). Es bestand aus 80 Transistoren und 64 Widerständen, die Zugriffszeit betrug 8 ns.
1971 hat Intel seinen legendären »4004« vorgestellt, der als erster in Serie gefertigter Ein-Chip-Mikroprozessor der Welt gilt. Die 4-bit-MPU wurde auf 2-Zoll-Wafern hergestellt, umfasste 2300 Transistoren, lief mit einer Taktfrequenz von 750 kHz und basierte auf einem Prozess mit 10-µm-Strukturen. 1975 hielt Gordon Moore von Intel eine der drei Keynotes, der Titel lautete »Fortschritte in der digitalen integrierten Electronik«. In diesem Paper beschrieb er die bis dahin festgestellte Erhöhung der Chip-Komplexität und kam grob auf eine Verdoppelung der Transistoranzahl pro Jahr – »Moore’s Law« war geboren.
Auch wenn viel darüber geschrieben bzw. diskutiert wird, ob Moore’s Law noch »lebt«, sicherlich wird keiner bestreiten, dass die Komplexität weiterhin zunimmt, es kommen neben dem reinen Shrinken von Prozessstrukturen nur zusätzlich noch andere Mittel zum Einsatz, um die Komplexität zu erhöhen.
Nicht jede Vorhersage, die auf der IEDM getätigt wurde, hatte sich als so erfolgreich wie Moore´s Law erwiesen. Viele stellten sich als schlicht falsch heraus. Zum Beispiel wurde der »erste Tod« von Moore´s Law bereits 1961 prognostiziert, und zwar wegen limitierender Faktoren in Hinblick auf Strukturgröße und Gehäusedichte: Die Industrie sei schon sehr nahe an den theoretischen Grenzen angekommen – und das zu einer Zeit, als die Strukturgrößen gerade mal bei 25 µm lagen! Ein Schema, das sich in schöner Regelmäßigkeit bis heute fortsetzen sollte. Auch der Dauerbrenner »Ende der optischen Lithografie« wurde auf der IEDM immer wieder prognostiziert. Auch dass nach dem Silizium-Zeitalter in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die GaAs-Ära ihren Anfang nehmen würde, stellte sich im Nachhinein als Irrtum heraus.
Doch auch wenn viele Prognosen auf der IEDM nicht ganz in Erfüllung gehen sollten, eines stimmt immer noch: Die Komplexität nimmt zu. Der von Apple dieses Jahr vorgestellte »M1 Ultra«-Prozessor kommt auf 114 Mrd. Transistoren, der Ponte Vecchio von Intel kommt insgesamt auch auf über 100 Mrd. Transistoren. Wenn die monolithische Integration nach Moore´s Law wirklich an ihr Ende kommen sollte, so tun sich heute interessante neue Möglichkeiten auf, dem berühmten Gesetz weiter Geltung zu verschaffen, beispielsweise Chiplets und Advanced Packaging. Das Ende der Transistorgeschichte ist also sicherlich noch nicht geschrieben.