Im vergangenen Jahr wollte Kunbus mit dem Revolution Pi 4 in Serie gehen. Aufgrund der Bauteilknappheit verzögerte sich der Termin jedoch. Aus dem Grund schuf Kunbus eine Zwischenserie – jetzt ist der Starttermin für den RevPi 4 absehbar.
Herr Buchwitz, in unserem Gespräch im vergangenen Jahr haben Sie den Revolution Pi 4 für das zweite oder dritte Quartal 2022 angekündigt. Warum mussten Sie den Release-Termin immer wieder nach hinten verschieben?
Nicolai Buchwitz: Ende 2022 war die Beschaffungssituation für elektronische Bauteile und andere Komponenten weiterhin angespannt. Aus dem Grund haben wir uns zum damaligen Zeitpunkt zu einem Re-Design unseres Produktes entschieden. So konnten wir die Belieferung mit allen Bauteilen für die Serie unter den immer noch schwierigen Verhältnissen gewährleisten. Weiterhin hat das Implementieren der Revolution-Pi(RevPi)-S- und -SE-Serie auf Basis des Compute Modules 4S (CM4S) Ressourcen gebunden. Weil ein schnelles Wiederherstellen der Lieferfähigkeit für unsere Kunden höchste Priorität hat, haben wir das Re-Design priorisiert.
Ist ein Termin jetzt absehbar oder noch immer ungewiss?
Wir werden im zweiten Quartal 2023 mit dem Bemustern von Kunden starten und im dritten Quartal mit der Serienproduktion beginnen. Außerdem sind wir bereits mit OEM-Kunden über potenzielle Erweiterungsmodule im Gespräch. Sie sollen die neue »PiBridge 2.0« nutzen, unsere neue Kommunikationsschnittstelle für die Revolution-Pi-Module.
Basis für die S- und SE-Serie ist das Computer-Module 4S. Wurde es exklusiv für Sie entwickelt oder ist es frei verkäuflich?
Kunbus ist eines der ersten Unternehmen, die das Compute Module in der Industrie erfolgreich eingeführt und massentauglich gemacht hat. Daher pflegen wir eine enge Beziehung zu Raspberry Pi Ltd.
So ist es für uns selbstverständlich, nicht nur Produkte von Raspberry Pi zu beziehen und in unseren Produkten einzusetzen, sondern sie aktiv zu verbessern. So sind unsere Entwickler beispielsweise an verschiedenen Verbesserungen im Bereich des Raspberry Pi Kernels und anderen Softwarekomponenten beteiligt. Open Source ist für uns keine Einbahnstraße, sondern lebt von der aktiven Mitarbeit.
Aus dem Grund zählen wir zu den ersten Kunden, die mit dem neuen Compute Module 4S beliefert wurden. Zum aktuellen Zeitpunkt ist es nicht über die üblichen Vertriebskanäle zu beziehen, sondern wird in der weiterhin bestehenden Allokation von der Raspberry Pi Ltd. ausgesteuert. Erst mit Bereitstellen des CM4S war es uns möglich, in den schwierigen Zeiten unsere Kunden mit Produkten zu beliefern.
Welche Bauteile unterscheiden sich zum Compute Module 4?
Das Compute Module 4S basiert auf derselben Hardware wie das Compute Module 4 (CM4), besitzt jedoch den SODIMM-Formfaktor. Hiermit und aufgrund der Abwärtskompatibilität, stehen nicht alle Schnittstellen zur Verfügung, beispielsweise fehlen PCIe oder Gigabit Ethernet. Außerdem sind derzeit lediglich Module mit 1 GB Arbeitsspeicher erhältlich (analog zum CM3). Gegenüber dem CM3 taktet die CPU jedoch schneller (1,5 GHz), ebenfalls ist der LDDR4-Arbeitsspeicher schneller angebunden. Weiterhin unterstützen die »RevPi-Core«- und »RevPi-Connect«-Variaten mit Compute Module 4S hiermit Auflösungen mit bis zu 4K über die HDMI-Schnittstelle.
Welche Modelle sind als S- und SE-Serie erhältlich und wie sieht es mit der Nachfrage aus?
Sowohl der RevPi Core als auch der RevPi Connect stehen als S- und SE-Serie zum Verkauf. RevPi Core und Connect S unterstützen alle bekannten Erweiterungsmodule und Gateways. Bei RevPi Core SE und Connect SE wurde hingegen auf die Gateway-Funktion verzichtet.
Ganz allgemein gefragt: Welche Trends sehen Sie für die Automatisierungsbranche im Jahr 2023 und wie unterstützt Kunbus diese?
Wir verfolgen gerade mit Spannung die Entwicklung rund um die Mesh-Protokolle Matter und Thread. Die von einem großen Konsortium vorangetriebene Standardisierung birgt in unseren Augen ein großes Potenzial. Erste Kunden haben bereits Interesse an einer Integration signalisiert, da sich mögliche Anwendungsfelder weit über den Smart-Home-Sektor hinaus erstrecken. Zudem werden Themen wie Smart Metering und hiermit verbundene Technologien in den kommenden Jahren eine prägende Rolle spielen. Sie werden hoffentlich dazu beitragen, die Herausforderungen der Energiewende zu meistern.
Der Open-Source-Trend ist ungebrochen. Woran liegt das in Ihren Augen?
Open Source ist mehr als kostenlose Software – dieses Mindset kommt in immer mehr Konzernen an. Für Kunbus galt Open Source schon immer als ein nahezu unerschöpflicher Pool an Ideen und Technologien, die das eigene Portfolio bereichern und in vielen Teilen sogar erst ermöglichen. So wäre der Revolution Pi ohne Open-Source-Projekte nicht denkbar. Die Eigenentwicklung der kompletten Wertschöpfungskette ist für Unternehmen an der Stelle schlichtweg nicht wirtschaftlich und schränkt unnötig ein. Unternehmen wie Kunbus profitieren von einem starken Ökosystem mit verschiedenen Möglichkeiten, die sich ohne großen Aufwand auf die eigenen Systeme portieren lassen.
Mehr Hintergründe zum Revolution Pi erfahren Sie im folgenden Auszug aus dem Interview aus dem Jahr 2022:
Herr Buchwitz, mit dem »Revolution Pi« haben Sie Module für die Automation auf Basis des Raspberry Pi geschaffen. Wie entstand die Idee?
Nicolai Buchwitz: Kunbus startete mit dem Entwickeln von Gateways und Feldbus-Geräten für die Automation. Zu der Zeit brachte die Raspberry Pi Foundation ihren ersten Pi-Rechner auf den Markt. Er sprach eine breite Masse an, jedoch war er eher für Hobby und Studium gedacht. Mit Einführung des Compute Modules (CM) im Jahr 2014 änderte sich das – es enthält lediglich die Kernkomponenten des Raspberry Pi wie CPU und Speicher und ist in der Industrie einsetzbar. Auf Basis des Moduls und angelehnt an unsere Gateways entwickelten wir den Revolution Pi (RevPi). Angefangen vom CM 1 auf unserem »RevPi Core« über die Compute Modules 3 und 3+ im »RevPi Core 3/3+« mit Quad-Core-Prozessor und bis zu 32 GB eMMC-Speicher. 2022* kommt der Revolution Pi 4 auf den Markt, basierend auf dem CM 4 der Raspberry Pi Foundation. (* Stand März 2022).
Welche technischen Neuheiten bietet der RevPi 4 – im Vergleich zum RevPi 3?
Wichtigste Neuheit sind die leistungsstärkere CPU und der größere Arbeitsspeicher – das ist gerade für Edge-Computing-Applikationen interessant. Der RevPi 4 wird in verschiedenen Versionen mit bis zu 8 GB RAM- Speicher erhältlich sein. Außerdem bieten wir die Option auf natives WLAN an, zudem eine Gigabit Ethernet (GbE)-Schnittstelle. Unsere »Pi-Bridge«, die Verbindungsschnittstelle zwischen all unseren Modulen, skalieren wir auf die neue Generation 2 hoch. Bisher kommuniziert die Schnittstelle mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Mbit/s, mit dem RevPi 4 ist Gigabit-Geschwindigkeit möglich.
Der Raspberry Pi wurde ursprünglich für Hobbyanwender und Universitäten entwickelt. Wie haben Sie es geschafft, die industriellen Standardseinzuhalten?
Kunbus hatte bereits sehr viel Erfahrung im Entwickeln industrieller Geräte, somit sind wir mit Industrienormen gut vertraut. Zudem kommt lediglich das CM zum Einsatz und nicht der komplette Pi-Rechner. So verfügen die CMs beispielsweise bereits über einen erweiterten Temperaturbereich. Die restliche Hardware wie die Basisplatine, auf die das Compute Module eingesteckt wird, sowie alle Erweiterungsmodule entwickeln, fertigen und zertifizieren wir nach den üblichen Industrienormen, beispielsweise nach EN61131-2.
Welche Vorteile entstehen Anwendern mit dem Revolution Pi?
Zum einen kann der RevPi sehr flexibel in vielen verschiedenen Anwendungsfällen zum Einsatz kommen. Zum anderen liefern wir viele Erweiterungsmodule wie analoge und digitale I/O-Module sowie Feldbus-Gateways. Außerdem profitiert der Nutzer von der Offenheit des Systems, beispielsweise kann er das mitgelieferte Betriebssystem (BS) nutzen oder sein eigenes System entwickeln und aufspielen – es ist jedes BS installierbar, das auf Arm- oder Pi-Basis läuft. Das mitgelieferte BS basiert auf dem der Raspberry Pi Foundation. Wir unterstützen Kunden außerdem dabei, ihre eigenen Applikationen auf dem RevPi in Betrieb zu nehmen. So können Anwender, die Rapid Prototyping auf einem klassischen Raspberry gemacht haben, ihre Projekte sehr gut auf den RevPi und somit in die Industrie portieren.
Selbst die Schaltpläne unserer Module finden Anwender frei zugänglich auf unserer Homepage. Wir versuchen außerdem, bereits bei Zusammenstellen des Betriebssystems wichtige Patches zu integrieren. Weiterhin gibt es unser Community-Forum, auf dem sowohl unsere Entwickler als auch unser Support mitlesen und den Kunden unterstützen, seine eigene Applikation zu entwickeln. Großen Kunden mit hohen Stückzahlen bieten wir an, ein individuelles Software Image bereits während der Produktion aufzuspielen. Mit Codesys als Software sind unsere RevPi-Modelle sogar als SPS einsetzbar.
Gibt es eine bestimmte Zielgruppe, die Sie mit dem RevPi ansprechen?
Unsere Zielgruppe reicht vom klassischen Unternehmen der Automation, das mit Codesys eine Steuerung implementieren möchte, bis hin zu Applikationsentwicklern, die zum Beispiel einen Wasserstofftank oder Elektroladesäulen aufbauen. Hinzu kommen immer häufiger klassische IT-Unternehmen, die ihre Software mit physikalischen Systemen verbinden müssen.
Stichwort Nachhaltigkeit: Inwieweit achten Sie beim Entwickeln auf nachhaltige Bauteile und Prozesse?
Wir verbauen grundsätzlich RoHS-konforme Bauteile (Restriction of Certain Hazardous Substances), zudem versuchen wir, unsere Produkte möglichst langlebig auszulegen. Das ist sowohl aus ökologischer Sicht sinnvoll als auch wichtig für die Betriebssicherheit in der Industrie. Unsere ersten RevPi-Geräte lassen sich immer noch mit der aktuellen Software ausstatten. Mit unserer Modularität lassen sich zudem einzelne Bauelemente erneuern: Beispielsweise bei unseren Basisgeräten, dem Revolution Pi Core oder dem Connect, die Basisplatinen. Ebenso sind unsere I/Os modular aufgebaut und lassen sich bei Bedarf tauschen, im Einzelfall einzelne Bauteile. Außerdem entwickeln und fertigen wir komplett in Deutschland.
Herr Buchwitz, vielen Dank für das Gespräch.