In Zeiten knapper Bauteile wird der Ruf nach dem Design-in von sogenannten Second Sources laut. Doch inwieweit eine solche Alternative zum Einsatz kommen kann, hängt auch vom Innovationsgrad der Anwendung ab. Beim interdisziplinären Roundtable »Supply Chain« wurde das Thema vielschichtig diskutiert.
Wenn das passende Bauteil auf Monate nicht lieferbar ist, ließe sich der Engpass mit einem Redesign auf eine andere Komponente relativ einfach beseitigen – so die oft vorherrschende Meinung. Das ist aber in vielen Fällen mitnichten so, stellen die Diskussionsteilnehmer beim Markt&Technik-Roundtable fest. Die Liste der Knackpunkte ist lang: Marc Eichhorn, Product Marketing Manager Batteries von Avnet Abacus, bringt als Erstes den Kostenfaktor zur Sprache: »Arbeite ich mit mehren Bauteilen, arbeite bzw. zertifiziere ich mehrere Bauteile für eine Applikation, dann kommen jeweils noch weitere Kosten obendrauf auf die Preissteigerungen, die wir sowieso schon haben.«
Helge Puhlmann, European President von Yamaichi Electronics, unterstreicht, »dass die ganzen großen Projekte, die wir haben, meist Single Source sind«. Und das hat auch einen Grund: Es wird zwar oft nach einer Second Source gefragt, aber es gibt meist sehr spezielle Produkt-Anforderungen, die letztlich mit einer Second Source nicht zu 100 Prozent abgedeckt würden.
Nach den Worten von Andreas Mangler, Director Strategic Marketing von Rutronik, ist der Zusammenhang zwischen Single Source und Innovation entscheidend: »Je innovativer das Produkt des Kunden ist, je mehr ist es unique und einzigartig und deshalb auch Single Source.« Anders gelagert sei die Situation beispielsweise, wenn Lithium-Ionen-Batterien knapp sind und man das eindesignte Produkt vom Lieferanten auf absehbare Zeit nicht mehr erhält. »Da müssen wir logischerweise ein oder zwei neue Produkte qualifizieren«, erklärt Mangler.
Herrmann Püthe, geschäftsführender Gesellschafter von inpotron, pflichtet dem im Wesentlichen bei: »Second Source ist immer ein Kompromiss. Single Source ist notwendig, wenn ich das beste Produkt auf den Markt bringen möchte. Das heißt nicht, dass ich mir keine Gedanken zu Alternativen machen kann. Aber das bedingt immer einen Qualifizierungsprozess für mein Endprodukt, sonst wird es nicht funktionieren.«
Hermann Reiter, Geschäftsführer von Digi-Key Deutschland, verdeutlicht, dass Second Source auch im Hinblick auf die Produktion von Komponenten zum Tragen kommen kann und dies vom Markt auch gefordert werde: »EMS und OEMs wollen, dass das Produkt wenigstens in zwei Fabriken produziert wird, um das Risiko zu verteilen. Im Steckverbinder-Bereich etwa sehen wir diese Forderung sehr häufig. Dabei geht es darum, dass der Kunde z. B. bei einer Naturkatastrophe wie einem Erdbeben trotzdem noch eine Versorgungssicherheit hat.« Darüber hinaus plädiert Reiter auch für eine Lagerhaltung von Wafern, um entsprechend die Verfügbarkeit bei Halbleitern zu erhöhen. »Dual Production Site und Wafer Storage sind Themen, die in der Supply Chain kommen müssen, um mehr Vertrauen aufzubauen.«
Andere Teilnehmer der Runde argumentieren, dass es Wafer-Lagerung und Nachfertigungen von Halbleitern ja bereits gebe. Carsten Ellermeier etwa, CEO von Prettl Electronics, sieht auch ein Problem im mangelnden Wettbewerb bei der Langzeitlagerung, denn die Anbieterzahl für diesen Bereich ist noch sehr überschaubar.
Ultra High Level, Good Enough und Mee too
Nach Ansicht von Karsten Bier, CEO von Recom, hat die Second Source in der weltweiten Marktbetrachtung in jedem Fall ihre Berechtigung. »Einfach nur eine Second Source wegen der Verfügbarkeit einzusetzen ist die eine Sache und eine Notlage, aber eine Second Source zu definieren, weil sich der weltweite Markt verändert, ist etwas anderes.« Werde ein Produkt also beispielsweise in China eingesetzt, würden bevorzugt chinesische Komponenten verbaut, so Bier. Und damit sind die Kunden dort auch zufrieden. Insofern ist der Einsatz von Second Sources differenziert zu betrachten, je nachdem für welche Zielmärkte weltweit eine Applikation entwickelt wird. »Das Hauptthema der Innovation ist das Risk Management. Ich muss sicherstellen, dass ich Alternativen habe, wenn ich Kunden in Europa, Südostasien oder USA bedienen will«, so Karsten Bier.
»Es gibt drei Stufen an Komponenten, Ultra-High-Level-, Good-Enough- und Mee-too-Produkte, und das muss man granular unterscheiden je nach Märkten«, unterstreicht Mangler. »Der Begriff Good-Enough-Produkte etwa existiert in China. Ein solches Produkt kommt etwa auf 85 Prozent der Features und funktioniert grundsätzlich auch. In der Medizintechnik, aber auch in Europa gibt es die Good-Enough-Kunden jedoch nicht.
Dem pflichtet auch Helge Puhlmann bei: »Mee-Too-Produkte oder Ähnliches werden in China akzeptiert, teils auch in den USA, aber meine Kunden in Europa wollen innovative Spitzenprodukte.«
Die vielschichtige Diskussion zeigt, dass der Ruf nach einer Second Source zwar in einigen Fällen berechtigt und sinnvoll ist, aber nicht in jedem Fall ein Allheilmittel ist, um die angespannte Situation in der Lieferkette zu entzerren. Dem stehen hohe Kosten für Zweit-Qualifizierungen und vor allem Akzeptanzgrenzen gegenüber. Mehr zum Thema »Innovation« in der Lieferkette und weitere Aspekte der Supply Chain lesen Sie im Thema der Woche ab Seite 28.