In der Automobiltechnik wird intelligentes Laden gemäß der Smart-Charging-Norm ISO 15118 in Zukunft selbstverständlich sein. Die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Ladestationen sowie das Verteilen und Bereitstellen elektrischer Energie gehören dabei zu den zentralen Herausforderungen.
Der Schlüssel zum Erfolg der Elektromobilität besteht darin, dass in jeder Situation ein bequemes und zuverlässiges Laden des Elektrofahrzeugs möglich ist. Das Stichwort Smart Charging charakterisiert treffend die künftige Welt des Ladens: Sobald das Fahrzeug mit der Ladestation verbunden ist, startet die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur. Die Systeme handeln Tarife, Bezahlmodalitäten und Ladeparameter aus und starten automatisch den Energietransfer (Plug & Charge).
Selbstverständlich werden dabei fahrerseitige Vorgaben berücksichtigt, zum Beispiel die Verweildauer bzw. die gewünschte Ladeleistung. Bei einer vorübergehenden Energieknappheit im Stromnetz drosselt sich die Ladeleistung oder das Laden pausiert. Ist der Engpass vorüber, setzen die intelligenten Systeme den Ladeprozess automatisch fort. Künftig werden Elektrofahrzeuge sogar Energie ins Netz zurückspeisen können, um beispielsweise bei einem Stromausfall das Eigenheim zu versorgen oder bei einem Energiemangel das Netz zu stabilisieren.
Noch ist das beschriebene Szenario weitgehend Zukunftsvision, könnte aber bald Wirklichkeit werden, denn die technischen Rahmenbedingungen sind bereits abgesteckt. Die Voraussetzung dafür ist eine umfassende Standardisierung auf Fahrzeug- und Infrastrukturseite. In Europa und Nordamerika hat man sich bislang auf das Combined-Charging-System (CCS) geeinigt, das sowohl AC-Laden (ein- und dreiphasig) als auch DC-Laden mit höheren Leistungen unterstützt und dafür ein und dieselbe Steckverbindung nutzt.
Der von Tesla in den USA vorgeschlagene North-American-Charging-Standard (NACS) unterscheidet sich zwar im Stecker vom CCS1, basiert aber auf denselben Kommunikationsprotokollen DIN SPEC 70121 und ISO 15118. Für die Pflege und Weiterentwicklung von CCS ist die Nutzerorganisation CharIN verantwortlich. Die High-Level-Kommunikation von CCS ist in der ISO 15118 standardisiert, wobei die ISO-Norm auf die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation beschränkt ist.
Im Jahr 2022 haben die zuständigen Gremien den Nachfolger der ISO 15118-2 freigegeben, die ISO 15118-20. Der Standard ergänzt die bestehende Norm um weitere Funktionalitäten, die zukünftig für die Elektromobilität essenzielle Bedeutung haben werden (Tabelle). Dazu gehören Bidirectional Power-Transfer (BPT), welches das erwähnte Rückspeisen von Energie ins Stromnetz möglich macht, Wireless Power-Transfer (WPT) für induktives Laden ohne Kabel sowie Automatic-Connection-Device-Pantograph (ACDP). Die letztgenannte Technik regelt das konduktive Laden mit hohen Leistungen via Pantographen, beispielsweise bei Elektrobussen.
Weitere Neuerungen in der ISO 15118-20 sind die Steuerungsmodi Scheduled und Dynamic sowie eine zwingend erforderliche Verschlüsselung der Kommunikation via TLS 1.3. Da WPT und ACDP nur mit drahtloser Kommunikation sinnvoll realisierbar sind, wurden die Möglichkeiten auf der physikalischen Ebene um WLAN gemäß IEEE 802.11n ergänzt. Für Megawatt-Charging-Systems (MCS) werden gerade die Technologien Differential-HomePlug-GreenPHY und IEEE 802.3cg (10BASE-T1S) als weitere drahtgebundene Optionen für die physikalische Schicht evaluiert und im Arbeitskreis bewertet.
Sind sehr hohe Ladeleistungen gefragt, rückt aktuell MCS ins Blickfeld, welches sich derzeit als Standard etabliert. Insbesondere für den Schwer- und Fernverkehr dient es als Schlüsselfaktor für eine emissionsfreie Transportlogistik. MCS wurde von CharIN ins Leben gerufen und ist zwar technisch mit CCS verwandt, stellt aber ein eigenständiges System mit eigenem Stecker dar. An den Spezifikationen wird aktuell mit Hochdruck gearbeitet: MCS soll das Laden über eine Steckverbindung mit maximal 1.250 V Gleichspannung und Strömen bis 3.000 A ermöglichen und so auch für zukünftige Fahrzeuggenerationen vorbereitet sein (Bild).
Im MCS-Whitepaper, das sich auf der CharIN-Webseite herunterladen lässt, wird den Fahrzeugherstellern empfohlen, den Anschluss auf der rechten Fahrzeugseite ungefähr in Hüfthöhe zu platzieren. Das System soll so ausgelegt werden, dass sich der Steckvorgang automatisieren lässt, zum Beispiel über einen Roboterarm. Wie CCS verwendet auch MCS für die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation Power-Line-Communication (PLC) sowie ISO 15118-20. Anwendungsfälle für das MCS sind neben großen Fahrzeugen auch elektrische Schiffe, Flugzeuge und Minenfahrzeuge.
Lkw-Hersteller wollen ab 2039/2040 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge verkaufen. Bereits 2024 werden in Europa Elektro-Lkw mit Reichweiten von über 400 km auf den Markt kommen, was vor wenigen Jahren noch als undenkbar galt. Mit den von MCS erreichbaren Ladeleistungen bis 3,75 MW lassen sich 40-Tonnen-Lkw in 30 bis 40 Minuten laden, während die Fahrerinnen und Fahrer ihre vorgeschriebene Pause einlegen.
Um ihre Ziele bis 2040 zu erreichen, haben die drei größten europäischen Lkw-Hersteller Daimler Truck, Volvo Truck und Traton im Juli 2022 gemeinsam die Firma Milence gegründet. Das Unternehmen soll eine Infrastruktur für den Fernverkehr aufbauen, betreiben und die Elektrifizierung beschleunigen. Nicht nur MCS-Ladestationen gehören dazu, sondern komplette Lkw-Rastplätze mit Parkplätzen und Ladeparks sowie Einrichtungen für die Verpflegung und Erholung.
Die Ladepausen und Aufenthalte sollen den Fahrenden so angenehm wie möglich gemacht werden, was nicht zuletzt auch dazu dient, den Beruf des Fernfahrers wieder attraktiver zu machen. Denn analog zum Fachkräftemangel gibt es auch einen Mangel an Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern in ganz Europa. Milence will in den ersten fünf Jahren seines Bestehens mindestens 1.700 Ladestationen nach MCS-Standard errichten. An Verkehrsknotenpunkten sind Anlagen mit bis zu 64 Parkplätzen geplant, deren Netzanschlussleistungen im Bereich von 40 MW liegen sollen.