Gerade für automatisierungstechnische Anwendungen sollte man sehr genau wissen, welche Kommunikationslast tatsächlich vorliegt. Nur so kann man sich vor ungewollten Effekten schützen. Generell sollte man beim Einsatz von Ethernet auf das Anforderungsprofil des Automatisierungseinsatzes achten. In IEC 61784-2 werden ganz allgemein Echtzeitklassen (RTC – Realtime Class) anhand der Reaktionszeit definiert (Tabelle). Bei der RTC 3, in erster Linie für hoch synchrone Echtzeitanwendungen, wird darüber hinaus noch ein Jitter von <1 µs gefordert. Aus den vorhergehenden Ausführung wird deutlich, dass dieses mit konventionellem Switched Ethernet nicht möglich ist. Alleine durch die Latenz und das Weiterleiten sind die geforderten Zeiten nicht einzuhalten.
RTC | Einsatz | Reaktionszeit |
---|---|---|
1 | Menschliche Überwachungsfunktionen | 100 ms |
2 | normale Automatisierungsfunktionen | < 10 ms |
3 | Motion-Control-Anwendungen | < 1 ms Jitter < 1 µs |
RTC 2 nach IEC 61784-2 ist mit konventionellem Ethernet möglich.
Echtzeitverhalten in Ethernet-Netzwerken bekommt man folglich nicht geschenkt. Die aus dem Office-Bereich bekannten Techniken reichen bestenfalls für die Echtzeitklassen 1 und 2. Doch selbst für Anwendungen der Klasse 2 müssen zusätzliche Randbedingungen eingehalten werden:
Glücklicherweise steigen aber auch die Echtzeitanforderungen in der IT-Technologie. Durch Echtzeit-Sprach- und -Videodaten sowie andere zeitsensitive Dienste wächst auch hier der Bedarf an synchronisierter und nahezu verzögerungsfreier Kommunikation. Standardtechnologien bieten hier mittlerweile die notwendigen Maßnahmen, wie es in den Kastentexten näher erläutert wird. Der IEEE1588v2-Standard bietet die Möglichkeit einer hochgenauen gemeinsamen Zeitbasis und die IEEE 802.1Q-VLAN-Definition schafft eine querverkehrfreie priorisierte Kommunikation durch konfigurierbare Sternkoppler.
Für die meisten Echtzeit-Anforderungen reicht Standardtechnik
Switched Ethernet wird häufig als Schlüssel für die echtzeittaugliche Kommunikation auch für industrielle Netzwerke angesehen. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Ohne eine detaillierte Kenntnis des Betriebsverhaltens von Sternkopplern oder der tatsächlichen Kommunikationslast ist eine genaue Bestimmung des Kommunikationsverhaltens so gut wie nicht möglich. Durch die inhärenten Latenzzeiten und die Warteschlangen innerhalb von Switches sind durchaus Verzögerungszeiten von einigen 100 µs möglich. Abhilfe schafft nur eine genaue Planung der Kommunikation oder die Nutzung der organisatorischen und technischen Möglichkeiten. Glücklicherweise kann die Automatisierungstechnik von den Protokollerweiterungen der IT-Technologie für Sprach- und Videokommunikation unmittelbar profitieren. Die gute Nachricht bleibt hierbei: Kommunikationsaufgaben im klassischen Feldbusbereich mit Zykluszeiten von etwa 10 Millisekunden kann mit Bordmitteln aus der IT-Welt wie managebaren VLAN-Switches, am besten mit Cut-Through-Technologie, effizient realisiert werden. Die am häufigsten geforderten Echtzeitklassen 1 und 2 der IEC 61784-2 sind damit erfolgreich abgedeckt. Sollen höhere Anforderungen, beispielsweise für Motion-Control-Anwendungen, abgedeckt werden, muss der Griff in die Trickkiste tiefer sein.
Literatur
[1] Metcalfe, R.M.; Boggs, D.R.: Ethernet: Distributed Packet Switching For Local Computer Networks; Communications of the ACM. July 1976, Volume 19, Number 7, p. 395–404.
[2] Gevatter, H.-J.; Grünhaupt, U.: Handbuch der Mess- und Automatisierungstechnik in der Produktion, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 2006.
[3] Wollert, J.: Vorlesung Industrielle Kommunikation, FH Bielefeld
Prof. Dr.-Ing. Jörg Wollert |
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ist Professor für Automatisierungstechnik an der Fachhochschule Bielefeld und als Dozent und Berater in den Themengebieten industrielle Kommunikation und eingebettete Systeme tätig. Seit mehr als 15 Jahren beschäftigt er sich mit industriellem Funk in technischen Anwendungen sowie mit Gateway-Technologien zwischen kabelgebundenen und kabellosen Systemen. |