Schon viel erreicht, noch viel zu tun

»Industrie 4.0 rascher in den Mittelstand bringen«

24. Februar 2023, 12:00 Uhr | Andreas Knoll
Schöning Harald
Dr. Harald Schöning, Software AG und Forschungsbeirat Industrie 4.0: »Trotz aller Fortschritte bleibt in Sachen Industrie 4.0 noch viel zu tun, besonders mit Blick auf den vielbeschworenen Mittelstand.«
© Software AG

Viele Industrieunternehmen, vor allem größere, sind bei der digitalen Transformation schon weit vorangekommen, aber im Mittelstand hakt es vielerorts noch. Wie lässt sich dies ändern, und was bleibt in puncto Industrie 4.0 generell zu tun?

Was auf der Hannover Messe 2011 begann, hat inzwischen einen gewissen Reifegrad erreicht: das Projekt Industrie 4.0. »In großen produzierenden Unternehmen ist die Umsetzung oft schon weit fortgeschritten«, erläutert Dr. Harald Schöning, Sprecher der Industrie des Forschungsbeirats Industrie 4.0 und Vice President Research für die öffentlich geförderten Forschungsprojekte der Software AG. »Die grundlegende Infrastruktur mit der dazugehörigen Sensorik und Vernetzung ist geschaffen, und die so verfügbaren Daten werden in vielfältiger Weise genutzt. Kollaborative Roboter unterstützen die Arbeiter in ganz neuer Weise, digitale Assistenzsysteme helfen dem Personal unter Einsatz von Augmented Reality – man spricht hier bereits vom Industrial Metaverse. Es eröffnen sich völlig neue Methoden zur Reduktion von Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck, künstliche Intelligenz hilft bei der effizienten Nutzung von Rohstoffen, neue nachhaltige Geschäftsmodelle werden möglich.«

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Ein Vakuumgreifer von Schmalz an einem siebenachsigen Cobot von Kassow Robots beim »Griff in die Kiste«
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© WEKA Fachmedien

Ganz ungetrübt ist aber das Bild von der Industrie, die auf dem Weg in Richtung Industrie 4.0 unablässig voranschreitet, nicht: »Trotz aller Fortschritte bleibt noch viel zu tun, besonders mit Blick auf den vielbeschworenen Mittelstand«, führt Schöning aus. »Die Anwendungen von Industrie 4.0 müssen in die Breite getragen werden und auch in kleineren Unternehmen zum Einsatz kommen. Hierbei muss der wirtschaftliche Nutzen in Form geringer Kosten und/oder zusätzlicher Umsätze für sie unmittelbar erkennbar sein.«

Dr. Harald Schöning, Software AG und Forschungsbeirat Industrie 4.0
Dr. Harald Schöning, Software AG und Forschungsbeirat Industrie 4.0: »Die Anwendungen von Industrie 4.0 müssen in die Breite getragen werden und auch in kleineren Unternehmen zum Einsatz kommen.«
© Software AG

Inwieweit der breite Mittelstand die Vision Industrie 4.0 in die Tat umsetzt, hängt also hauptsächlich von den dadurch möglichen Geschäftsmodellen, den Business-Cases, ab. »Es gibt in Deutschland viele Kompetenzzentren, die hier beraten und begleiten können. Ergänzend sind aus meiner Sicht Beratungsgutscheine oder die im Koalitionsvertrag angekündigten Superabschreibungen wirkungsvolle Instrumente, um die breite Adaption von Industrie 4.0 voranzutreiben«, merkt Schöning an. »Sicherlich ist aber auch das Beispiel von Vorreitern und Marktbegleitern wichtig. Mit der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit auch für die Unternehmensbewertung ist ein weiterer Anreiz für die Unternehmen gegeben, um Industrie 4.0 einzusetzen und so ihre CO2-Emissionen zu reduzieren.«

Ein kollaborativer Roboter von Techman Robot/Omron beim Polieren – mit einem Greifer von OnRobot
Ein kollaborativer Roboter von Techman Robot / Omron beim Polieren – mit einem Greifer von OnRobot
© WEKA Fachmedien

Auf Basis der gewonnenen Daten lassen sich bei entsprechendem Digitalisierungsstand neue Vertriebs- und Dienstleistungsmodelle etablieren. »Wenn ein Unternehmen jederzeit den Zustand seiner Produkte kennt, die bei Kunden im Einsatz sind, werden neue Servicegarantien möglich«, sagt Schöning. »Servicetechniker können idealerweise schon vor Ort sein, bevor eine Maschine ausfällt, und haben dann alle benötigten Ersatzteile dabei. Es werden aber auch neue Vertriebsmodelle möglich, bei denen Geräte nicht mehr verkauft werden, sondern den Kunden zur Nutzung bereitgestellt und nach tatsächlicher Nutzungshäufigkeit oder auch nach Auslastung oder Lastprofil abgerechnet – Stichwort: Pay per Use.« Diese Option für neue Geschäftsmodelle werde allerdings bei vielen Unternehmen noch nicht genutzt. Schließlich könne ein Produkt gegen Zahlung auch während der Nutzung neue Funktionen bekommen – Feature on Demand –, die sich für Kunden auf Basis ihrer individuellen Nutzung des Produkts anböten.

Oliver Winzenried, Wibu-Systems
Oliver Winzenried, Wibu-Systems: »Als Alternative zum Kauf können Hersteller ihren Kunden die Nutzung ihrer Geräte und Maschinen zeit- und funktionsabhängig zu günstigen Preisen anbieten.«
© Wibu-Systems

Voraussetzung dafür sind geeignete Techniken zur Lizenzierung von Software. Auch sie sind bereits erhältlich: »Als Alternative zum Kauf und zur damit verbundenen hohen Einmalinvestition können Hersteller ihren Kunden die Nutzung ihrer Geräte und Maschinen zeit- und funktionsabhängig zu günstigen Preisen anbieten«, betont Oliver Winzenried, Vorstand von Wibu-Systems. »Weitere Nutzungszeiten oder zusätzliche Gerätefunktionen lassen sich nachkaufen.« Sein Unternehmen ist Anbieter der Software-Schutz- und -Lizenzierungstechnik »CodeMeter«, die es sowohl den klassischen Softwareherstellern als auch den Herstellern von Geräten und Maschinen ermöglicht, Abomodelle und weitere Vertriebsmodelle aufzubauen.

Kollaborativer Roboter aus Deutschland: »Production 3« von Franka Emika
Kollaborativer Roboter aus Deutschland: »Production 3« von Franka Emika
© WEKA Fachmedien

Vorhanden sind also nicht nur die nötigen Softwaretechniken zur Einführung neuer Geschäftsmodelle auf Datenbasis. Generell sind die nötigen Techniken für Industrie 4.0 und IIoT allesamt verfügbar, von drahtgebundener und drahtloser Kommunikation über Cloud und Edge-Computing bis hin zum KI-Algorithmus. Die Messe embedded world vom 14. bis 16. März in Nürnberg wird zeigen, wozu Embedded-Techniken, als Basis der digitalen Transformation integriert in Geräte und Systeme aller Art, mittlerweile in der Lage sind. Die Hannover Messe wird vom 17. bis 21. April wichtige Impulse in Sachen Digitalisierung und Nachhaltigkeit setzen. Und die Automatica wird vom 27. bis 30. Juni in München das Angebot an Produkten und Dienstleistungen für die Robotik einschließlich fahrerloser Transportfahrzeuge in Szene setzen. Insofern müssten Industrieunternehmen eigentlich nur noch loslegen – und sich dafür geeignete Kooperationspartner suchen.

Der Verwaltungsschale-vernetzt-Demonstrator stellte auf der Hannover-Messe 2022 dar, wie mithilfe von Verwaltungsschalen smarte Fabriken und Maschinen Teil zukünftiger digitaler Industrie-4.0-Ecosystems werden.
Der Verwaltungsschale-vernetzt-Demonstrator stellte auf der Hannover-Messe 2022 dar, wie mithilfe von Verwaltungsschalen smarte Fabriken und Maschinen Teil zukünftiger digitaler Industrie-4.0-Ecosystems werden.
© Plattform Industrie 4.0/Reitz

Entsprechende Wertschöpfungsnetzwerke sind in mehreren Branchen entstanden und werden auch von der Politik gefördert. Beispiele sind Catena-X in der Automobilwirtschaft oder Manufacturing-X in der verarbeitenden Industrie. »Mit einer solchen Vernetzung eröffnen sich neue Möglichkeiten auch zur Steigerung der Nachhaltigkeit, vor allem für die Kreislaufwirtschaft«, merkt Schöning an. »Es bedarf genau solcher Praxisbeispiele in möglichst vielen Branchen, um den Mehrwert einer gemeinsamen Dateninfrastruktur zu zeigen.« Inspirierend dafür habe die europäische Initiative Gaia-X gewirkt, die darauf abziele, den vertrauensvollen Datenaustausch vor allem zwischen Unternehmen auf eine standardisierte Basis zu stellen und eine Infrastruktur dafür zu errichten. »Sicherlich haben sich nicht alle Erwartungen an die Geschwindigkeit der Umsetzung von Gaia-X erfüllt«, resümiert Schöning, »aber es entstehen immer mehr Bausteine, die auch im praktischen Einsatz tauglich sind, wie beispielsweise im deutsch-österreichischen Gaia-X-Leuchtturmprojekt EuProGigant gezeigt wird, im dem sich Maschinenbauer aus beiden Ländern vernetzen.«


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