Kupferleitungen sparen, Flexibilität erhöhen

Wie der Prozessbus Kosteneffizienz ins Netz bringt

28. August 2014, 9:56 Uhr | Heinz Arnold
Holger Heine, Siemens: »Wir gehen davon aus, dass die Netzbetreiber erst einmal den Prozessbus parallel zur existierenden Anlgenverdrahtung einführen und Erfahrungen damit sammeln. Wenn die Infrastruktur steht und sich bewährt hat, können sie die nichtkonventionellen Techniken einführen und noch einmal deutlich Kosten sparen.«
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Zuverlässig und interoperabel: Dass der Prozessbus diesen Anforderungen jetzt gerecht wird, demonstriert Siemens auf der diesjährigen Cigre. Damit erfüllt er alle Voraussetzungen, um im Hoch- und Mittelspannungsnetz nicht nur die Kosten für Schutzeinrichtungen zu senken, sondern künftig den Einsatz neuer kosteneffektiver Primärtechnik zu erlauben.

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»Der Prozessbus ist einer der ganz großen Fortschritte in der Energieautomatisierung, der ganz neue Perspektiven eröffnet«, sagt Holger Heine, Product Manager Lifecycle Management Protection/Substation Automation in der Siemens-Division Smart Grid, Nürnberg. Denn erstens bietet der Prozessbus den Netzbetreibern handfeste Vorteile, wenn sie ihn im Zusammenspiel mit konventionellen Wandlern einsetzen. Zweitens eröffnet er für die Zukunft eine interessante Perspektive: Auf Basis des Prozessbusses können in der Hochspannungsübertragung kleinere Wandler als bisher Einsatz finden, was zu deutlichen Kosteneinsparungen führt. Der Einsatz dieser neuen Wandler erlaubt ebenfalls eine exaktere Messung als bisher.

Dazu ein kurzer Blick auf die Funktionsweise. Bisher werden die Wandler direkt mit Kupferkabeln an die Schutzgeräte angeschlossen. Im Schutzgerät ist eine Analog-Eingangskarte eingebaut, die aus Eingangskreis, A/D-Wandler und Busanschluss an die CPU besteht. Alle diese Anschlüsse müssen also an die Geräte der jeweiligen Hersteller angeschlossen werden.  

Das hat folgende Nachteile: Die Schutzgeräte werden wegen der EMV-Problematik in Kiosken (kleine Häuschen bei Freiluftanlagen) installiert. Die Verbindung (ca. 500 m) zwischen Wandler und Schutzgerät erfolgt über geschirmte Leitungen.
Die Messsignale zwischen Wandler und Schutzgeräte laufen über Kupferkabel, die diese Entfernung überbrücken müssen. Weil für drei Phasen drei Wandler und damit sechs Kupferkabel für die Übertragung der Signale erforderlich sind, ist das eine aufwändige und teure Angelegenheit.

Die Idee, die die Ingenieure mit Prozessbus umgesetzt haben, besteht nun darin, den Eingangskreis und den A/D-Wandler der Analogeingangskarte vom Schutzgerät zu trennen und in einer abgesetzten Einheit, Merging Unit genannt, unterzubringen. Im Schutzgerät verbleibt nur noch der Prozesseingang, eine standardisierte Busschnittstelle (IEC 61850-9-2), die bisher spezifisch ausgelegte Analogkarte entfällt dort. Weil die Geräte über Lichtwellenleiter auf Ethernet-Basis kommunizieren, spielt die Entfernung zum Schutzgerät keine große Rolle mehr, sie kann 2 km und mehr betragen.

Dafür sitzt die Merging-Unit – anders als bisher das Schutzgerät – sehr nah am Wandler. Dadurch entfällt ein Großteil der teuren Kupferkabel, von denen ja immerhin sechs Stück über eine längere Strecke erforderlich waren. Zudem reduziert sich der Aufwand für die Installation und Wartung deutlich und das gesamte System gewinnt an Flexibilität: Es lassen sich beispielsweise weitere Schutzgeräte ohne großen Aufwand anschließen, die dafür erforderlichen LWL-Ethernet-Schnittstellen an den Geräten sind vorhanden. Schutzgeräte, die gewartet werden müssen, lassen sich leicht ausbauen und durch Ersatzgeräte austauschen, bis die überprüfte Einheit wieder eingebaut wird. Dazu muss der Wandler nicht immer wieder aufwendig verkabelt werden. Und schließlich entfallen auch sämtliche Einschränkungen hinsichtlich der EMV. Die Netzbetreiber bekommen mit dem Prozessbus also die Möglichkeit, Geld zu sparen, und zwar nicht nur im Bereich von ein paar Prozent, sondern in einer Höhe, in der sich Investitionen relativ schnell bezahlt machen.

Allerdings stellen sich noch einige Fragen. Eine der Wichtigsten: Was geschieht, wenn eine LWL-Leitung beschädigt wird oder aus einem anderen Grund ausfällt? »Genau diese Problem haben wir jetzt durch Redundanz-Protokolle gelöst, wie wir auf der Cigre demonstriert haben«, sagt Holger Heine. Das war gar nicht so einfach, denn Ethernet erlaubt an sich keine Redundanzen. Seit 2012 gibt es dafür mit IEC 62439 einen Standard, der die redundante Kommunikation ermöglicht. »Hier haben wir mit führenden Relaisherstellern, mit Energieversorgungsunternehmen und Universitäten zusammen gearbeitet.«

Beim Stichwort Standard taucht sofort die zweite Frage auf: Ist die Interoperabilität zwischen Schutzgeräten verschiedener Hersteller sichergestellt? Denn die Netzbetreiber verfolgen die Strategie, zwei Schutzgeräte verschiedener Hersteller für ein Objekt der Primärtechnik einzusetzen, um systematische Fehler ausschließen zu können. Ohne Interoperabilität hätte der Prozessbus also wenig Chancen, sich in der Realität durchsetzen zu können. »Hier hat sich nun ebenfalls mit der IEC 61850-9-2 ein Standard etabliert, der die Interoperabilität der Geräte verschiedener Hersteller gewährleistet, wie wir ebenfalls auf der Cigre demonstriert haben«, erklärt Holger Heine.

Zwar gibt er zu, dass der Teufel mitunter im Detail steckt, aber auch Detailprobleme seien ohne weiteres lösbar. So liefert das Ethernet nicht deterministische Übertragungszeiten, was den bisher üblichen und problemlosen Differentialschutz schwierig macht. Denn wenn die Zeit nicht exakt synchronisiert ist, werden Differenzen gemessen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. »Diese Probleme lassen sich aber alle lösen, sie sind nicht grundsätzlicher Natur«, sagt Holger Heine. »Vieles hängt auch davon ab, wie der Betreiber seine Anlagen aufbaut und welche Anforderungen sie künftig erfüllen sollen.«


  1. Wie der Prozessbus Kosteneffizienz ins Netz bringt
  2. Prozessbus parallel zur existierenden Primärtechnik aufbauen

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