Punkt-zu-Punkt-HGÜs sind kurzsichtig

»Overlay-Netze müssen kommen!«

17. Januar 2017, 12:12 Uhr | Heinz Arnold
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Fortsetzung des Artikels von Teil 3

HGÜ-Steuerung: kein Nachteil, sondern riesiger Vorteil

Blick auf eine Konverterstation.
Blick auf eine Konverterstation. Bei der abgehenden Leitung (Freileitungsmast) handelt sich um die “Baltic Cable”, eine HGÜ-Verbindung zwischen Schweden und Deutschland.
© 50Hertz

Grundsätzlich haben aber die Fortschritte in der Halbleiter-Leistungselektronik dazu geführt, dass sämtliche Probleme lösbar wären?

Ja, allerdings müssen leistungselektronische Betriebsmittel aktiv angesteuert werden, besonders eben der Übergang vom HGÜ-Netz in das Drehstromnetz, also die Umrichter. Herkömmliche Betriebsmittel wie Leitungen im Drehstromverbundnetz oder Transformatoren beteiligen sich automatisch an sich ändernden Leistungsflüssen, da braucht es keine besonderen Systemführungsmethoden für deren Einsatz. Das fällt in der HGÜ natürlich weg, wir müssen dem Umrichter genau sagen, was er tun soll. Das eröffnet aber auch ganz neue Möglichkeiten. Wir müssen die erforderliche HGÜ-Steuerung als Vorteil und nicht als Nachteil sehen.

Womit wir beim Kern Ihrer Dissertation angelangt wären?

Ja, ich habe in der Dissertation Systemführungsmethoden entwickelt, die beschreiben, wie ein vermaschtes HGÜ-Netz, das parallel zu einem bestehenden Drehstromnetz verläuft, betrieben werden kann. Es gibt zwei grundlegende Probleme: Wie hat der Einsatz einer HGÜ unter Berücksichtigung des AC-Netzes planmäßig zu erfolgen? Und zweitens: Wie kann durch das HGÜ-Netz auf unerwartete Ereignisse reagiert werden? Ein Beispiel wäre etwa: Wie wirkt es sich auf das Drehstromnetz aus, wenn plötzlich die Anbindung eines großen Windparks ausfällt? Dann ändern sich die Leistungsflüsse im Drehstromnetz sehr stark und das HGÜ-Netz kann kurzfristig eine Lösung bereitstellen.

Die HGÜ muss folglich so gesteuert werden, dass sie die veränderten Leistungsflussbedingungen erkennt und sich anpasst. Die HGÜ-Umrichter müssen außerdem sicherstellen, dass nicht mehr Leistung aus dem HGÜ-Netz entnommen wird wie eingespeist wird. Weil die Zeitkonstanten im HGÜ-Netz viel kleiner als im Drehstromnetz sind, muss alles innerhalb von Milisekunden geschehen. Die dafür erforderlichen Regelungen müssen also vor Ort installiert sein, um sehr schnell reagieren zu können. In der Dissertation habe ich Lösungen für alle drei Zeitbereiche erarbeitet, die für den Betrieb eines HGÜ-Netz parallel zu einem Drehstromnetz erforderlich sind.

Welche Methoden haben Sie in der Dissertation vorgeschlagen?

Sie schlägt eine dreistufige Betriebsführung vor: Auf der Ebene der Tertiärregelung werden die Umrichter untereinander in Abstimmung mit den Erfordernissen des Drehstromnetzes im Rahmen einer Betriebsplanung koordiniert. Die Umrichtersollwerte müssen dabei alle 15 bis 60 Minuten vorgegeben werden. Sind mehrere Übertragungsnetzbetreiber betroffen, etwa im Fall von ganz Europa, müssen deren Zielsetzungen mit einfließen. Das kann im Rahmen eines speziell dafür entwickelten Aushandlungsprozesses geschehen oder durch eine Instanz, welche neutral die Belange aller Beteiligten berücksichtigt und in eine gesamtheitliche Optimierung einfließen lässt. Eine solche Instanz könnten die so genannten Regional Security Coordination Initiatives wie TSC sein.
Die Sekundärregelung passt die von der Tertiärregelung vorgegebenen Umrichtersollwerte innerhalb des 15-Minuten oder 60-Minuten-Betriebsintervalls vor allem bei Störungen an. Bei unplanmäßigen Leistungsflüssen zwischen HGÜ-Netz und Drehstromnetz teilt die Steuerung diese Leistungsflüsse so auf, dass das Drehstromnetz entlastet wird. Das schützt vor Überlastung der Betriebsmittel und verhindert, dass das Netz instabil wird.  
Und wie gesagt, zum Dritten sorgt die Primärregelung für das Gleichgewicht zwischen eingespeister Wirkleistung in und aus dem HGÜ-Overlay-Netz. Die Methode, die für HGÜ-Punkt-zu-Punkt-Verbindungen heute eingesetzt wird, ist nämlich auf vermaschte HGÜ-Netze nicht übertragbar.

Von welchen technischen Voraussetzungen sind Sie ausgegangen?

Grundlage bildeten die selbstgeführten Umrichter, die es seit den 90ern gibt. Im Unterschied zu den fremdgeführten Konvertern, die schon seit den 50er Jahren üblich waren, können die selbstgeführten Umrichter Blindleistung erzeugen, also spannungsstützend wirken und sie sind robuster.

Alles ist mit der existierenden Technik kompatibel

Auf dieser Grundlage haben Sie dann die Simulationen durchgeführt?

Ja, es versteht sich von selbst, dass das HGÜ-Overlay-Netz mit der heutigen Technik kompatibel sein muss. Diese Voraussetzung ist unabdingbar.

Dabei ist unerheblich, ob es sich über Freileitungen oder Erdverkabelung handelt?

Für die Methoden der Netzführung ist das eher von untergeordneter Bedeutung. Die Methoden lassen sich teilweise sogar auf Mittel- und Niederspannungsnetze anwenden oder man kann sie auf neue Problemstellungen adaptieren.


  1. »Overlay-Netze müssen kommen!«
  2. Multi-Terminal-HGÜ – erster Schritt zur HGÜ-Vermaschung
  3. Die Schutztechnik – eine Hürde?
  4. HGÜ-Steuerung: kein Nachteil, sondern riesiger Vorteil
  5. So geht es einfach zum vermaschten HGÜ-Netz

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