Innovation, Wettbewerb, Fachkräfte

Deutschland muss zulegen!

31. Juli 2023, 11:39 Uhr | Corinne Schindlbeck
Christophe Zwaenepoel, Mitglied der Geschäftsleitung beim Personaldienstleister SThree. »Nicht nur die Ressource Arbeitskraft, sondern auch die Innovationsfähigkeit Deutschland gerät zunehmend in Gefahr.«
© SThree

Deutschlands Herausforderungen sind riesig, aber die Entwicklung stockt an vielen Stellen. Dazu fehlt an allen Ecken und Enden Personal. Grundlegende Entwicklungsfortschritte fehlen bisher. Was muss passieren? Meinung von Christophe Zwaenepoel, Geschäftsleiter der Personaldienstleistung SThree.

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Problem Nummer Eins:

Deutschland hat zu wenig MINT-Fachkräfte. Das gibt weiterhin und zunehmend Anlass zur Sorge. Die jüngste Erhebung des VDI weist 170.300 offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieurinnen und Ingenieure aus. Damit hat sich die Lücke gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Fünftel vergrößert. Besonders prekär ist die Lage in der Energie- und Elektrotechnik, nur wenig besser sieht es im Bauwesen und in der Informatik aus. Besonders im Hinblick darauf, dass aktuelle Herausforderungen wie die parallele digitale und ökologische Transformation nur mithilfe von Technologien und den entsprechenden Expert:innen zu stemmen sind, eine fatale Entwicklung.

Und auch mit Blick auf die nachfolgenden Generationen sieht die Lage nicht besser aus: Besonders im Bereich Elektro- und Informationstechnik zeigt sich in Sachen Nachwuchs ein beunruhigender Trend, denn hier sinkt die Anzahl der Studienabgänger – Männer wie Frauen - bereits seit Jahren. Waren es 2019/2020 noch rund 81.000 Absolventen, lag die Zahl 2021/2022 nur noch bei 78.000. Klar ist, dass die nachrückende Generation den großen Mangel an Ingenieuren aber ohnehin bei weitem nicht abdecken kann, zumal die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer sich sukzessive in die Rente verabschieden.

Potenzial für Fachkräfte liegt, wie in allen MINT-Bereichen, bei den Frauen. Ihr Anteil an den Absolventen der Elektro- und Informationstechnologie beträgt gerade einmal 15 Prozent. Hier braucht es neben Initiativen der Unternehmen auch weibliche Vorbilder, die andere Frauen inspirieren und Lust darauf vermitteln, eine (Führungs-)Karriere im MINT-Bereich einzuschlagen. 
Doch das allein wird den weiterhin steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften nicht decken und so richtet sich der Blick vieler Unternehmen ins Ausland. Um die Zuwanderung zu erleichtern, hat die Bundesregierung im Juli ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen – denn rund 400.000 Fachkräfte müssten jährlich ins Land kommen, um die Lücke zu schließen. Doch werden gesetzliche Regelungen allein das Problem lösen? 

Einwanderung von Fachkräften: Neues Gesetz soll Hürden abbauen

Deutsche Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sich hoch qualifizierte und international vernetzte Menschen nicht gerade darum reißen, nach Deutschland kommen zu dürfen. Junge Spitzenkräfte aus Asien, Afrika oder Lateinamerika zieht es eher in die USA oder Kanada. Dies liegt zum einen an der Sprache, denn in den meisten Unternehmen hat sich Englisch als Unternehmenssprache bisher nicht durchgesetzt. So scheitert die Anwerbung häufig schon an der Sprachbarriere. Zudem gilt Deutschland in der Welt nicht gerade als Erfinder der Willkommenskultur – allein die bürokratischen Hürden und das komplizierte Steuerrecht schrecken potenziell Einwanderungswillige eher ab. Und der Status Quo ist ernüchternd: Laut aktuellen Studien schafft es der Standort nicht mal mehr in die Top Ten der attraktivsten Einwanderungsländer. Länder wie Neuseeland, Norwegen oder die Schweiz haben hier deutlich die Nase vorn. Kurzum: Um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und sich zukunftssicher aufzustellen, muss Deutschland attraktiver werden für Fachkräfte, vor allem auch aus Nicht-EU-Staaten. 

Die Wende bringen soll hier nun unter anderem das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Zentrales Element der Fachkräfteeinwanderung wird die in Deutschland seit 2012 etablierte „Blaue Karte EU“ (EU Blue Card) bleiben. Sie ist eine Aufenthaltsgenehmigung für Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland, die ein Hochschulstudium absolviert haben. Hier werden die bisher geltenden Gehaltsschwellen zur Aufnahme einer Arbeit in Deutschland spürbar abgesenkt. Wer eine „Blaue Karte“ hat, dem soll zudem der Arbeitgeberwechsel, der Familiennachzug und die Erlaubnis zum dauerhaften Aufenthaltsrecht in der EU erleichtert werden. Speziell für die besonders begehrten IT-Spezialisten ist darüber hinaus vorgesehen, dass sie eine „Blaue Karte EU“ auch ohne Hochschulabschluss erhalten, wenn sie andere Qualifikationen nachweisen können. 

Gekommen, um zu bleiben? Warum es eine neue Willkommenskultur braucht

Neben Hürden wie Bürokratie oder der Sprache wird von ausländischen Fachkräften auch häufig der Punkt genannt, sie würden sich wenig willkommen fühlen. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden. Klar ist, dass die deutsche Wirtschaft ohne qualifizierte Einwanderung in eine ernsthafte Schieflage geraten würde und ausländische Fachkräfte einen wesentlichen Beitrag zu Wohlstand und Wachstum beitragen. Nicht Deutschland gewährt Zugang zum Arbeitsmarkt – der deutsche Arbeitsmarkt braucht dringend Zuwanderung. 

Uneinigkeit, vor allem in der Bevölkerung, besteht auch beim Thema Einbürgerung – 59 Prozent der Befragten lehnen eine schnellere Einbürgerung ab. Gleichzeitig ist das ein zentraler Punkt, um ausländische Fachkräfte nicht nur für sich zu gewinnen, sondern auch langfristig zu binden. Doch ein neues Mindset gegenüber dem Thema Einwanderung wird nicht reichen, hier ist auch der Gesetzgeber gefragt und sollte gemeinsam mit den Unternehmen Anti-Diskriminierungsrichtlinien erarbeiten. 

Innovationskraft sichern 

Nicht nur die Ressource Arbeitskraft, sondern auch die Innovationsfähigkeit Deutschland gerät zunehmend in Gefahr. Während in den USA der KI-Hype bereits voll durchgeschlagen hat und Wagniskapitalgeber massiv in Gründerinnen und Gründer investieren, fehlt es in Europa sowohl an Start-ups bzw. an ambitionierten und mutigen Gründern wie auch am nötigen Kleingeld. Sind europäische KI-Firmen erfolgreich, droht der Verkauf ins Ausland. Und auch wenn es generell um Innovationen geht, zeichnet eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung ein düsteres Bild. Demnach ist die Innovationsleistung deutscher Unternehmen seit 2019 um 15 Prozent gesunken. Dies unterstreichen auch die Daten des Europäischen Patentamtes: Obwohl dieses 2022 eine Rekordzahl an Patentanmeldungen verzeichnete, sank die Zahl derjenigen aus Deutschland um 5 Prozent im Vorjahresvergleich – auf den tiefsten Stand seit über zehn Jahren. Vor allem im digitalen Bereich haben China und die USA die Nase um Längen vorn. 

Ein Grund mehr, die Zuwanderung von Expertinnen und Experten aus aller Welt voranzutreiben – denn mit ihnen kommt nicht nur neue Arbeitskraft ins Land, sondern auch frische Ideen, mehr Mut zu Innovationen und wertvolle Learnings und Erfahrungen aus den jeweiligen Heimatländern der Bewerber. Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge gehen schon heute 12 Prozent der Patentanmeldungen in Deutschland auf Ideengeber mit ausländischen Wurzeln zurück. Dies zeigt, wie wichtig es gerade für MINT-Unternehmen ist, beim Recruiting über den Tellerrand zu blicken. Neben Personalzuwachs profitieren sie so auch von der Bekanntheit über Ländergrenzen hinweg und positionieren sich als weltoffener Arbeitgeber – was wiederum neue Talente anzieht. 

 


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