Weiterbilden statt entlassen

Vom Verbrenner- zum Elektroauto-Experten

18. Juli 2023, 8:49 Uhr | Corinne Schindlbeck
Der Wandel vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb verändert Tätigkeitsfelder und Berufsbilder. Die Digitalisierung verlangt neue Kompetenzen und lässt bisherige Tätigkeiten verschwinden. All das geschieht in zentralen Bereichen wie der Metallverarbeitung, dem Vertrieb, der KFZ- und Automatisierungstechnik oder der technischen Forschung und Entwicklung. Was droht, sind Entlassungen und Beschäftigungsverlust.
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Entlassungen vermeiden, gleichzeitig den Fachkräftemangel lindern: fünf besonders gefährdete Berufsfelder der Automobil- und Zuliefererindustrie hat die Bertelsmann Stiftung untersucht und einen Weiterbildungsfahrplan skizziert. Auch wie Unternehmen dazu beitragen, dass die Übergänge gelingen.

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In Baden-Württemberg ist die Automobilindustrie Arbeitgeber für 250.000 Beschäftigte. Und unter massivem Veränderungsdruck. Die E-Mobilität verändert die Anforderungen an die Beschäftigten. So droht einerseits ein spürbarer Arbeitsplatzabbau, andererseits fehlen im Jahr 2030 u.a. durch den demographischen Wandel der Branche voraussichtlich 40.000 Fachkräfte. 

Die Bertelsmann Stiftung hat aus diesem Grund eine Studie in Auftrag gegeben, die »verlässliche Übergangspfade« für fünf besonders gefährdete Berufsfelder der Automobil- und Zuliefererindustrie aus bedrohten in zukunftsfähige Jobs eruieren sollte. 

Betroffen sind alle Qualifizierungsniveaus: ungelernte Hilfskräfte, Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung, aber auch Spezialisten mit Meister-, Techniker und Bachelor-Niveau. Auch Hochschulgebildete wie Master-Absolventen sind betroffen und müssen sich neu orientieren, etwa aus der technischen Forschung und Entwicklung wie Produktingenieure Fahrzeug- und Kraftfahrzeugtechnik. Aber auch Maschinentechniker, Karosserie- und Fahrzeugbaumeister oder Kfz-Schlossermeister sowie Fachkräfte im Vertrieb. 

Gelinge es, möglichst viele von ihnen für zukunftsträchtige Berufe zu qualifizieren, ließen sich Entlassungen vermeiden und Fachkräftebedarfe besser decken, so Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung. Die Voraussetzungen dafür seien gut. 

Das Forschungsinstitut WifOR hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine Branchenanalyse anhand von 370.000 Online-Stellenanzeigen in den Jahren 2014 bis 2021 durchgeführt und die Wechselmöglichkeiten für gefährdete Berufe hin zu passenden Zukunftsberufen untersucht. Dabei sollten die Wechsel keinen Abstieg bedeuten und andererseits die Arbeitskräfte nicht überfordern. Die Analyse ergab logisch: je ähnlicher die Anforderungen an die Kompetenzen zwischen altem und neuem Einsatzgebiet, umso erfolgversprechender. 

Die Übergangspfade, die die Studie auflistet, zeigen die Kompetenzen, die Betroffene noch zusätzlich erwerben müssen, um Anforderungslücken zu schließen. Dabei muss der Übergang nicht notwendigerweise in demselben Unternehmen erfolgen, nicht einmal in derselben Branche. 

So können laut Studie Fachkräfte im Vertrieb auf demselben Anforderungsniveau relativ leicht in Berufe der kaufmännischen und technischen Betriebswirtschaft wechseln, Spezialisten der Automatisierungstechnik auch im Bereich der Maschinenbau- und Betriebstechnik unterkommen. Metallbearbeiter auf Helferniveau verbessern ihre Chancen auf einen gelingenden Übergang deutlich, wenn sie einen Berufsabschluss erlangen. 
Entscheidend ist es, neue Kompetenzen bei Professional Skills, Software-Skills und Soft Skills zu erlangen - je nach Zielberuf in unterschiedlicher Gewichtung. 

Spezialisten in der Automatisierungstechnik, die in die Elektrotechnik wechseln, müssen etwa zusätzliche Kenntnisse in Lichttechnik und Optik erwerben. Ein Übergang in die Maschinenbau- und Betriebstechnik erfordert dagegen u. a. zusätzliche Kompetenzen in Konstruktion und Qualitätsplanung. Bei den Software-Skills ist neben grundlegenden Kenntnissen wie MS Office häufig auch der sichere Umfang mit Konstruktionssoftware wie CAD und CATIA besonders wichtig. 

Soft Skills werden laut Bertelsmann Stiftung häufig unterschätzt: »Den Unterschied zwischen Spezialisten und Expertinnen und Experten machen nicht zuletzt Eigenschaften wie Organisationsfähigkeit, kreatives Denken oder Führungsfähigkeit aus«, so Thode. »Soft Skills wie ausgeprägtes Selbstbewusstsein, Verhandlungsgeschick oder Lernbereitschaft erleichtern schließlich auch den Berufswechsel selbst.«

Unternehmen können einiges dazu beitragen, dass Übergänge gelingen

Dazu zählt die Bertelsmann Stiftung etwa eine gelebte Lern- und Veränderungskultur im Betrieb, eine vorausschauende Personalstrategie und transparente Informationsangebote. Beschäftigte wüssten oft nicht, welche Kompetenzen in Zukunft von ihnen gefordert werden, Unternehmen haben nur selten einen Überblick über die Vielfalt der vorhandenen Kompetenzen. Auch deshalb täten sich viele Beschäftigte schwer, sich weiterzubilden. Die Teilnahme lasse sich aber steigern durch eine offene Kommunikation darüber, welche Kompetenzen im Unternehmen gefordert sind, und durch verlässliche Aussichten auf berufliche Entwicklung für Beschäftigte, die bereit sind, sich weiterzubilden.

Weiterbildungsträger seien aufgefordert, Formate für diverse Lerntypen und -umfelder anzubieten, die präzise auf die nötigen Professional Skills, Software-Skills und Soft Skills ausgerichtet seien. 
Wichtige Orientierung könne dabei der Jobmonitor der Bertelsmann Stiftung liefern, der bis auf Kreisebene zeigt, welche Berufe, aber auch welche Soft Skills oder Teilqualifikationen gefragt sind.
 


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