Unsichtbare Helfer

Wie KI-Agenten die Automobilproduktion optimieren

9. Mai 2025, 12:30 Uhr | Autor: Dr. Felix Böhmer, Redaktion: Irina Hübner
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In der Autoindustrie ist KI längst Realität. Von der Entwicklung neuer Materialien über die Optimierung von Lieferketten bis hin zur Verbesserung des Kundenerlebnisses – KI-Technologien werden in nahezu überall eingesetzt. Doch mit KI-Agenten steht bereits die nächste Revolution ins Haus.

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Die deutsche Automobilindustrie steht vor gewaltigen Herausforderungen. Elektromobilität, autonomes Fahren, steigende regulatorische Anforderungen und zunehmender globaler Wettbewerb setzen die Hersteller unter Druck. In den Schlagzeilen dominieren software-definierte Fahrzeuge und der Wettlauf um das autonome Fahren. Doch abseits dieser medialen Aufmerksamkeit liegt ein zentraler Hebel für die Zukunftsfähigkeit der Branche in einem Bereich, der oft übersehen wird: der intelligenten Optimierung von Produktions- und Querschnittsprozessen. Mit KI-Agenten eröffnet sich der Autoindustrie die Möglichkeit, sowohl ihre Effizienz als auch ihre Innovationsfähigkeit beträchtlich zu erhöhen.

Mehr als nur Algorithmen

Was sind KI-Agenten? Eine aus Sicht des IT-Dienstleisters Iteratec hilfreiche Definition ist: Sie übernehmen eine spezialisierte Aufgabe, nutzen das Prinzip der Arbeitsteilung und treffen autonom Entscheidungen. Diese Entscheidungen erfolgen datengetrieben durch Methoden der künstlichen Intelligenz. Während konventionelle Algorithmen regelbasiert arbeiten – und damit auf die Logik ihrer Programmierung eingeschränkt sind –, reagieren KI-Agenten dynamisch auf Veränderungen und passen sich an neue Situationen an. Gleichzeitig sind sie dem Wesen nach weiterhin Softwaresysteme, mit allen Möglichkeiten der Automatisierung und Skalierung, die sich daraus ergeben.

Large-Language-Models und KI-Agenten

Im Zusammenhang mit KI-Agenten fällt heute fast immer auch der Begriff Large Language Models (LLMs). Das liegt nicht daran, dass es eine ursprüngliche Nähe der beiden Technologien gibt: KI-Agentensysteme existierten schon lange bevor generative KI die Bühne betrat. Es ist vielmehr ihre Kombination, die der Idee der KI-Agenten neues Leben einhaucht – und sie auf ein völlig neues Niveau hebt.

In modernen KI-Agenten spielen LLMs nämlich eine zentrale Rolle: Sie verleihen dem System von Haus aus die Fähigkeit, über natürliche Sprache mit ihrer Umgebung und textueller Information umzugehen. Diese Fähigkeit macht KI-Agenten besonders anschlussfähig an die »weichen Informationen« in Unternehmen – an Menschen, Kommunikation, Prozesse. Darüber hinaus tragen LLMs maßgeblich zur Entscheidungslogik des Agenten bei. Über sogenannte Reasoning-Ansätze unterstützen sie die Planung, das Interaktionsverhalten sowie die Fähigkeit, gezielt Rückfragen zu stellen. So entstehen Systeme, die nicht nur sprachlich kommunizieren, sondern auch komplexe Aufgaben strukturieren, kontextbezogen handeln und eigenständig Lösungen entwickeln – eine Kompetenz, die in dynamischen, informationsgetriebenen Umgebungen zunehmend an Relevanz gewinnt.

Man kann sich solche Systeme wie ein Netzwerk mehrerer selbstständig agierender ChatGPTs vorstellen, die jeweils konkrete Zuständigkeiten bzw. Fähigkeiten aufweisen. Ein Agent kann etwa als Orchestrator Aufgaben an nachgelagerte spezialisierte Agenten weiterleiten, die dann – jeweils mit eigenen Werkzeugen – gemeinsam das Problem lösen. KI-Agenten gehen damit weit über die Fähigkeiten alleinstehender LLMs wie ChatGPT hinaus. Es entstehen Systeme, die sich über unterschiedliche Kanäle Informationen beschaffen können, beispielsweise Systeme, Prozesse, Menschen oder Sensorik, die auf dieser Basis agieren und Entscheidungen treffen können.

Wo liegen die größten Potenziale?

Durch die enorme Anwendungsbreite, die sich für moderne Agentensysteme allein über den Zugang zu natürlicher Sprache erschließt, gibt es nicht »den einen« oder »die zentralen« Anwendungsfälle. Vielmehr lohnt es sich, sich offen mit einigen zentralen Fragen auseinanderzusetzen:

  • Wo entstehen im Unternehmen noch hochgradig manuelle Aufwände rund um die Verarbeitung von textueller/sprachlicher Information?
  • Welche (teil-)automatisierten Anwendungsfälle profitieren durch den Anschluss an »unstrukturierte Information« besonders?
  • Wo kann man sich vorstellen, Automatisierung auch in Entscheidungssituationen im Unternehmen zuzulassen?

Die folgenden Beispiele können Inspiration liefern:

○ Recherche und Informationsbeschaffung:

Markt- und Trendanalysen oder die Auseinandersetzung mit juristischen und regulatorischen Vorgaben sind Aufgaben, die häufig mit enormen manuellen Aufwänden verbunden sind. KI-Agenten skalieren diese Recherche beliebig und können entweder auf Knopfdruck konsolidierte und komprimierte Ergebnisse liefern oder – eingebunden in operative Prozesse – einen Abgleich mit aktuellen Rahmenbedingungen schaffen.

Auch in Bereichen, die in der Breite bereits durch KI-Methoden unterstützt werden, lassen sich mit KI-Agenten neue Mehrwerte schaffen:

○ Qualitätskontrolle

Sind klassische KI-Methoden, wie Computer Vision, Mustererkennung oder Klassifizierung bereits im Einsatz, können Agentensysteme zudem in der darüber gelagerten Steuerungsebene wirken. Sie erkennen Fehler frühzeitig und schlagen Korrekturmaßnahmen vor, bevor es zu größeren Problemen kommt. Das bedeutet: weniger Ausschuss, weniger Nacharbeit und weniger Kosten.

○ Predictive Maintenance:

Das ist ein Klassiker unter den Anwendungsfällen quantitativer KI-Methoden. Aus der Auswertung von Maschinendaten wird der Wartungsbedarf prognostiziert, bevor es zu Ausfällen kommt. Eine vorausschauende Wartung reduziert die Ausfallzeiten und senkt die Wartungskosten. KI-Agenten können die Informationsquellen erweitern, indem beispielsweise Log-Dateien beteiligter Systeme auf Anomalien geprüft werden, sie Menschen miteinbeziehen und Entscheidungen treffen.

○ Prozessoptimierung:

Produktions- und generell Unternehmensprozesse interagieren mit einer Vielzahl von menschlichen Akteuren und technischen Systemen. Diese Ebene »zwischen den Systemen« wird nach Auffassung von Iteratec eines der wichtigsten Einsatzgebiete von KI-Agenten werden. Agentensysteme können Prozesse überwachen, selbstständig mit menschlichen Akteuren kommunizieren, Entscheidungen vorschlagen oder sie selbst treffen und damit eine digitale Wertschöpfung ermöglichen, die heute ausschließlich Menschen vorbehalten ist.

○ Supply Chain Management:

KI-Agenten können Lieferketten überwachen. Sie sind über aktuelle Nachrichten und Marktdynamiken informiert, erkennen Engpässe und finden alternative Lieferanten, um die Produktion sicherzustellen.

KI-Agenten sind ein entscheidender Hebel für die Realisierung der smarten Fabrik. In diesem Konzept kommunizieren Maschinen, Anlagen und Systeme miteinander und agieren autonom. Sie vernetzen die verschiedenen Bereiche der Produktion und ermöglichen eine Echtzeit-Optimierung.

Besondere Herausforderungen: Was ist zu beachten?

KI-Agenten bieten zweifelsohne sehr großes Potenzial. Außerdem bringen sie eine Menge Fähigkeiten frei Haus mit und senken in vielen Anwendungsfällen schon auf den ersten Metern signifikant die Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen. Aber natürlich gilt auch beim Einsatz von KI-Agenten: Wer großes Potenzial heben will, muss vieles richtig machen. Und es ist ganz wesentlich zu verstehen: Nur tiefenintegrierte Systeme können auch entsprechend fundamental wirksam werden. Eine ausgereifte Softwarearchitektur rund um die Lösung ist Pflicht.

Der Klassiker aller Warnungen beim Einsatz von KI gilt weiterhin: Schlechte Daten – schlechte Ergebnisse. Jedoch senken LLMs und ihr inhärentes Sprachverständnis die formellen Anforderungen, insbesondere bei textuellen Daten. Weitere alte Bekannte sind ebenfalls geblieben: Datenschutz und Security. Beim Datenschutz drehen sich die wenigen neuen Herausforderungen um die Nutzung öffentlicher KI-Modelle »as-a-service«. Beim Thema Security kommen tatsächlich neue Angriffsvektoren dazu.

Neu hinzugekommen ist beim Einsatz generativer KI die nötige Sicherstellung der Ergebnisqualität. Denn man spricht von Systemen, deren Ergebnisse »by design« Unschärfe enthalten und auf deren fachliche Richtigkeit ohne weiteres Zutun nicht immer Verlass ist. Hierbei existieren zwar bereits etablierte Praktiken im technischen Sinne, aber eine enge(re) Zusammenarbeit mit Fachexpertinnen und -experten bei der Entwicklung, Einführung und beim Betrieb von KI-Agenten ist unerlässlich. Wichtig ist aber auch eine Portion pragmatischer Realismus: Die Entscheidung der KI muss nicht perfekt sein – sie muss nur mindestens so gut sein wie die Entscheidung eines Menschen.

Fertige Agenten oder individuelle Lösungen?

Standardisierte Agenten sind eine gute Wahl, wenn schnelle Implementierung, Kosteneffizienz und die Abdeckung allgemeiner Aufgaben im Vordergrund stehen, wie etwa im Kundensupport oder bei einfachen Automatisierungen. Maßgeschneiderte Agenten sind dagegen die bessere Wahl, wenn komplexe, branchenspezifische Anforderungen erfüllt werden müssen, eine tiefe Integration in bestehende Systeme erforderlich ist oder besondere Anforderungen an Datenschutz und Governance bestehen. Die Entscheidung hängt letztlich davon ab, wie spezifisch der Use-Case ist und welche langfristigen Ziele verfolgt werden.

Doch wo anfangen in der Praxis?

Nicht jeder Prozess eignet sich für den Einsatz von KI-Agenten. Es ist wichtig, die Aufgaben zu identifizieren, die viel Zeit kosten und sich wiederholen. Sind im Unternehmen die Potenziale erkannt, stellt sich die Frage nach der Umsetzung. Hier empfiehlt es sich, zunächst Vorbereitungen zu treffen (Daten sichten, sortieren, clustern) und die Umsetzbarkeit zu prüfen. Sind die entsprechenden Systeme offen für Schnittstellen? Wer übernimmt die Verantwortung für den jeweiligen Agenten? Ist das entsprechende Know-how intern vorhanden oder ist eine externe Beratung notwendig? Es braucht eine sorgfältige Analyse der internen IT-Infrastruktur und der bestehenden Geschäftsprozesse, um festzustellen, ob und wie KI-Agenten sinnvoll integriert werden können.

Der Einsatz von KI-Agenten wird unerlässlich

KI-Agenten bieten der Automobilindustrie die Chance, ihre Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und innovative Produkte zu entwickeln. So weit, so banal.

Die wirkliche Disruption ist: Mit KI-Agentensystemen werden erstmals digitale Systeme auf einer Ebene wirksam, die bisher nur uns Menschen vorbehalten war. Sie sind damit für eine Branche, die aktuell um ihren Anspruch des global leaderships mehr kämpfen muss denn je, eine riesige Chance, an entscheidenden Punkten wieder Vorsprung zu gewinnen. Ihr Einsatz erfordert neben überschaubaren technischen Hausaufgaben vor allem den Mut und die Entschlossenheit, Gewissheiten in Frage zu stellen, Prozesse und Strukturen umzukrempeln und Dinge neu zu denken.

 

 

Felix Böhmer, Iteratec.
Felix Böhmer, Iteratec.
© Iteratec

Der Autor

Dr. Felix Böhmer

ist Director AI & Data Analytics bei Iteratec. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Data Science sowie künstliche Intelligenz und unterstützt Unternehmen branchenübergreifend bei der Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen.


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