Kommentar

Macht Tesla tabula rasa?

9. März 2020, 11:23 Uhr | Heinz Arnold
Heinz Arnold, Editor-at-Large, HArnold@markt-technik.de
© Markt&Technik

Ist Tesla auf dem Gebiet der Elektronik den etablierten Automobilherstellern tatsächlich um sechs Jahre voraus?

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Das hatten jedenfalls japanische Analysten im Rahmen einer Studie zum Tesla Model 3 ermittelt. Ein wichtiges Argument der Analysten war die Architektur: Tesla setzt auf einen zentralen Computer. Dagegen sind die Autos der etablierten Hersteller heute (noch) mit vielen verteilten ECUs ausgestattet. Das heißt nicht, dass der Trend zu zentraleren Systemen nicht absehbar wäre. Aller Voraussicht nach wird dies aber ein evolutionärer Prozess werden, innerhalb dessen es auch zu organisatorischen Umstellungen kommen muss.

Doch bedeutet dies einen Rückstand? Sind die etablierten Hersteller von ihren Lieferketten gefesselt, wie die Analysten meinen? Haben deshalb die neuen Mitspieler, allen voran Tesla, einen entscheidenden Vorsprung?

Eine Tatsache sollte nicht übersehen werden: Die etablierten Unternehmen fertigen mit Abstand mehr Autos als die Newcomer. Sie haben reichhaltige Erfahrung darin, wie sich hohe Qualität in hohe Stückzahlen bringen lässt. Dabei sind sie auf Zulieferer angewiesen, die ihnen ihrerseits verlässliche Roadmaps zur Verfügung stellen, um die verschiedenen Versionen für verschiedene Modelle kompatibel und in den entsprechenden Stückzahlen liefern zu können. Alles muss zusammenpassen, und zwar auf viele Jahre.

Komponenten, die in normalen Umgebungen funktionieren, fallen im Auto schnell aus. Tesla hat dies schon mehrere Male erfahren müssen. Weil dieses Problem aber relativ wenige Autos betrifft, kann schnell ausgetauscht werden. Außerdem stört dies Kunden eher weniger, die sich als Pioniere fühlen. Ein großer OEM wäre davon weit mehr betroffen.

Der Einbau der neusten Prozessoren und KI-ICs, an denen die Analysten außerdem den Vorsprung Teslas festgemacht haben, birgt ebenfalls nicht zu unterschätzende Risiken. Denn gerade die neusten Prozesstechniken, in denen diese für den Einsatz in Server-Zentren entwickelten ICs gefertigt werden, reagieren außerordentlich empfindlich auf die Bedingungen im Auto. Was bei Konsumgütern noch hinnehmbare Leistungsverluste sind, ist im Auto schlicht nicht akzeptabel.

Ist Tesla also wirklich sechs Jahre voraus? Auf den ersten Blick mag dies zutreffen. Doch es lohnt sich, die komplexen Zusammenhänge genau zu betrachten. Dann relativiert sich diese Aussage. Oder hat Tesla tatsächlich den gordischen Komplexitätsknoten zerschlagen? Werden die Etablierten unweigerlich hinweggefegt? Die Börse scheint im Moment genau dieser Überzeugung zu sein, sonst würde Tesla nicht so hoch bewertet. Doch es wäre nicht das erst Mal, dass die Börse irrt.


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