Das Ethernet feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag – und seine technologischen Potenziale sind noch längst nicht ausgeschöpft. Wie wurde es zu dem, was es jetzt ist, welche Entwicklungen zeigen sich aktuell, und welche sind in absehbarer Zukunft zu erwarten?
Zunächst die aktuellen Entwicklungen in Kürze: Single-Pair-Ethernet steht in den Startlöchern für industrielle Anwendungen, die SPE-Technologie Ethernet-APL gilt als der zukünftige Datenkommunikationsstandard für die Prozessautomatisierung schlechthin, und bei OPC UA over TSN bleibt Industrial Ethernet die Basis. Jetzt aber der Reihe nach ...
Nachdem Robert Metcalfe das Ethernet 1973 am Xerox Palo Alto Research Center (PARC) »erfunden« hatte, setzte es sich im Laufe der 1980er-Jahre zur Vernetzung von Computern gegen Technologien wie Token-Ring und Token-Bus durch und entwickelte sich später zur Basis des World Wide Web. Ende der 90er-Jahre folgte ein großer Schritt über die Computervernetzung hinaus: Im Rahmen ihrer »JetWeb«-Technologie propagierte die Jetter AG Ethernet auch für die industrielle Vernetzung und gab damit den Anstoß für Industrial Ethernet, wie ihr Gründer und damaliger Vorstand Martin Jetter im Interview ab Seite 23 dieser Ausgabe resümiert. Die anderen großen Automatisierer sahen sich bald gezwungen, auf den Zug aufzuspringen; nach und nach kamen konkurrierende Systeme wie Profinet, EtherCAT, EtherNet/IP, Powerlink, Modbus TCP, Sercos III, CC-Link IE und Varan auf den Markt.
Einen Ausweg aus der für viele Beteiligte nachteiligen Wettbewerbssituation sollte ab 2016 der einheitliche, offene Industrial-Ethernet-Standard Time-Sensitive Networking (TSN) weisen, auch in Kombination mit der Datenaustausch-Technologie OPC UA, die dadurch echtzeitfähig wurde. Doch wie sind seine Zukunftsaussichten? »Nach unserer Einschätzung werden TSN, OPC UA over TSN und OPC UA Field eXchange die Industrial-Ethernet-Standards in naher Zukunft nicht ablösen, sondern ergänzen«, prognostiziert Thilo Döring, Geschäftsführer der deutschen Niederlassung von HMS Networks in Karlsruhe. »Großes Potenzial sehen wir bei TSN, das sich als Standard für deterministische Kommunikation in unterschiedlichsten Anwendungen etablieren könnte.« Momentan seien TSN-fähige Automatisierungsgeräte allerdings noch Mangelware, und ähnlich wie bei 5G werde es sehr lange dauern, bis es eine große Marktdurchdringung geben werde.
Industrial-Ethernet-Nutzerorganisationen wie PNO/PI haben inzwischen die TSN-Funktionalität in die von ihnen betreuten Spezifikationen integriert – im Falle von PNO/PI als »Profinet over TSN«: »Zusammen mit vielen anderen Organisationen hat PI eine Auswahl der Detailfunktionen und Integration von TSN vorangetrieben, sodass diese Technologie zu den heute bewährten Methoden zusätzlich möglich ist«, erläutert PNO-Vorstandsvorsitzender Xaver Schmidt. TSN ziele darauf ab, die konvergente und robuste Nutzung eines gemeinsamen Ethernet-Netzwerks für IT- und OT-Anwendungen zu ermöglichen.
Ein anderer, besonders vielversprechender Entwicklungsstrang des drahtgebundenen Ethernet ist Ethernet mit nur einem Adernpaar, genannt Single-Pair-Ethernet (SPE). In der Prozessautomatisierung etabliert sich SPE derzeit als Ethernet-APL, aber auch in der Fabrikautomatisierung und anderen Anwendungen werden SPE große Potenziale zugesprochen. »SPE vereinfacht die digitale Transformation bis hinunter zur Sensor-Aktor-Ebene enorm«, betont Verena Neuhaus, Product Manager Data Connectors in der Business Unit Field Device Connectors von Phoenix Contact. »Viele Anwendungen, die bislang wegen der erforderlichen Datenraten, Reichweiten und nahtlosen Kommunikation an die Grenzen der technischen oder wirtschaftlichen Umsetzbarkeit stießen, können nun dank SPE Realität werden.«
Frank Schewe, Post Merger Integration Manager bei Phoenix Contact Electronics, bestätigt dies: »Mit Single-Pair-Ethernet dringt Ethernet als kostengünstige Alternative in den Bereich der einfachen Feldgeräte vor.« Als Hemmnis betrachtet wird jedoch von vielen Marktteilnehmern die Vielfalt der Steckverbinder, wie sie in den Normen IEC 63171-1 bis -7 standardisiert und von zwei verschiedenen Organisationen, SPE System Alliance und SPE Industrial Partner Network, vertreten werden. Andererseits: Jede Steckverbinder-Art dürfte sich ihre bevorzugte Anwendung erschließen.
Auch im Zeitalter von Industrie 4.0 bleibt Industrial Ethernet also das Rückgrat der industriellen Vernetzung.
Mehr noch: »Ethernet hat sich als einer der wichtigsten Enabler von Industrie 4.0 und Industrial IoT etabliert«, sagt Sebastian Stelzer, Group Leader Product Management bei Weidmüller. »Mit der Einführung von SPE wird Ethernet künftig noch in weitere Applikationen Einzug finden.«
Umfassende Informationen zur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft von Ethernet finden Sie im Special »50 Jahre Ethernet« ab Seite 15 im E-Paper der Ausgabe 29/30-2023..