Als Erfolg werten Veranstalter und Industrieverbände die erste Präsenz-Hannover-Messe seit Beginn der Corona-Pandemie. Thematisch gewannen Nachhaltigkeit und Kampf gegen den Klimawandel an Bedeutung, während Industrie 4.0 und IoT als Dauerbrenner ihre Aktualität behielten.
»Das Comeback der Hannover Messe kam genau zur richtigen Zeit«, sagt Dr. Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Messe AG. »Angesichts von unterbrochenen Lieferketten, steigenden Energiepreisen, Inflation und Klimawandel war es umso wichtiger, sich nach zwei Jahren Pandemie wieder persönlich in den Messehallen zu treffen, Technologietrends zu erleben und den Blick nach vorn zu richten. Nach vier Messetagen senden Industrie, Politik und Wissenschaft ein deutliches Signal aus Hannover: Pandemie und Krieg dürfen und werden die industrielle Transformation nicht einbremsen – im Gegenteil, wir brauchen noch mehr Tempo bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit.«
Dr. Gunther Kegel, ZVEI-Präsident und Vorsitzender des Ausstellerbeirats, fügt hinzu: »Der Neustart der Hannover Messe ist geglückt und genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgt. Sie ist für den Dialog zwischen Politik und Industrie unersetzbar, gerade auch in politischen und gesellschaftlichen ‚Zeitenwenden‘. Die Unternehmen der Elektro- und Digitalindustrie haben mit ihren Innovationen gezeigt, dass auf sie Verlass ist beim Umbau zu einer klimaneutralen Industriegesellschaft.«
Nicht von ungefähr rückte das Leitmotiv „Industrial Transformation“ neben der Digitalisierung auch die Nachhaltigkeit in den Fokus. Viele Unternehmen präsentierten dementsprechend ihre Technologien als Lösungen für die drängenden globalen Probleme: die weltweiten Lieferketten durch Digitalisierung in den Griff bekommen, Nachhaltigkeit durch Energieeffizienz und erneuerbare Energien erreichen. Cedrik Neike zufolge, Vorstandsmitglied und CEO Digital Industries von Siemens, wirken die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie Erschütterungen wie die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die durch beides bedingten Lieferkettenprobleme als Beschleuniger für die Durchsetzung neuer Technologien: »Wir haben die richtigen Technologien, aber wir müssen sie schneller einsetzen«, betont er. »Wir müssen Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette transparent nutzen und als Industrie generell transparenter und offener für Zusammenarbeit werden.«
Angesichts dessen initiiert Siemens derzeit zusammen mit weiteren Mitgliedern das offene, unternehmensübergreifende Kooperationsnetzwerk „Estainium Network“ für den vertrauensvollen Austausch klimarelevanter Daten. Als Gründungsmitglieder dabei sind: Merck Group, NTT Data, Weidmüller, WTS Global, ATS Automation Tooling Systems, TÜV Süd, Bison Forest, CircularTree, Ecobrain, Faber-Castell, Ferdinand-Steinbeis-Institut, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Sustainaccount und die University of Technology Sydney. Estainium ist laut Siemens das erste Ecosystem, das den Austausch tatsächlicher PCF-Daten in großem Umfang ermöglicht, statt auf Durchschnittsdaten zurückzugreifen. Der dezentralisierte Vertrauensansatz mit kryptografisch verschlüsselten und verifizierbaren Zertifikaten soll die Vertrauenswürdigkeit der Daten und die Vertraulichkeit der Lieferkette sicherstellen.
Außerdem gründen die Partner einen gleichnamigen Verein, um dem Bedürfnis nach Standardisierung und Sicherheit in der Abrechnung von CO2-Fußabdrücken Rechnung zu tragen. Die „Estainium Association“ fußt auf drei Säulen: „Technologie und Infrastruktur“, „Standards und Normen“ sowie „Kohlenstoffabscheidung, -nutzung, -speicherung und -kompensation“. Sie nutzt die disruptiven Möglichkeiten der Digitalisierung, um wirtschaftlich relevante Fehlallokationen und den unbefriedigenden oder unvollständigen Informationsstand über die Quantität und Qualität der Emissionen und eingesetzten Ressourcen entlang der gesamten Lieferkette zu beseitigen. »Wir können als Industrie nur klimaneutral werden, wenn wir wissen, wo die Emissionen herkommen«, kommentiert Cedrik Neike. »Mit Estainium bringen wir Transparenz in die Lieferketten, wir arbeiten in einem offenen Ecosystem, und wir nutzen die Kraft der Daten.«
Wie wichtig Kooperation in der digitalisierten Industrie ist, betont auch Arnab Bhattacharya, Territory Technical Senior Manager Simulia bei Dassault Systèmes: »Wir bringen alle zusammen, die beispielsweise ein Brennstoffzellenauto entwickeln und technische Systemkomponenten dafür liefern, und stellen die entsprechenden Modellierungen und Tools zur Verfügung. Der rote Faden, den wir dabei beachten, ist Nachhaltigkeit, und zwar während des gesamten Produktlebenszyklus und in der gesamten Wertschöpfungskette.«
Der Automatisierer Schneider Electric bietet jetzt ebenfalls ein Alliance Partner Program an, das einen qualifizierten Querschnitt von Experten aus der Industrieautomatisierung zusammenbringen soll, nämlich Systemintegratoren, Maschinenintegratoren und Distributoren, um gemeinsame Innovationen zu fördern und den Kunden einen größeren Mehrwert zu bieten. »In der softwarebasierten Automatisierung ist Offenheit der Schlüssel«, sagt Barbara Frei-Spreiter, Executive Vice President Industrial Automation von Schneider Electric.
Als Bestandteil der digitalen Transformation in Richtung Industrie 4.0 erfreut sich auch der digitale Zwilling mittlerweile regen Interesses: »Auf Wunsch liefern wir auch noch Hardware, aber die meiste Zeit beschäftigen wir uns im Schaltschrankbau mit dem digitalen Modell, bevor ein Schaltschrank überhaupt in Produktion gehen kann«, erläutert Uwe Scharf, Geschäftsführer Business Units und Marketing von Rittal. Ablegen lasse sich der digitale Zwilling jetzt in der „Rittal ePocket“, der „digitalen Schaltplantasche“. Über einen QR-Code am Schaltschrank können Anwender während der gesamten Lebensdauer auf die komplette Maschinen- und Anlagendokumentation einschließlich dem jederzeit aktuellen digitalen Zwilling in der Eplan Cloud zugreifen. Mitarbeiter in Service und Instandhaltung können so direkt an der Anlage per Smartphone oder Tablet die Schaltpläne abrufen.
Den Hermes Award 2022 gewonnen hat Sumitomo Cyclo Drive Germany mit dem Produkt „Tuaka“, einem komplett integrierten Antrieb für Roboteranwendungen und Automatisierungstechnik. Neu sind das Getriebe, der Motor sowie der Driver mit Sicherheitsfunktionen. Wegen der Sensorik und des Thermomanagements eignet sich das Produkt für präzise, sensitive Anwendungen in der Service-Robotik sowie für die Interaktion mit Menschen. Das modulare Konzept und die Baukastensysteme ermöglichen eine anwendungsspezifische Konfiguration der nötigen Hardware.
Die nächste Hannover Messe findet vom 17. bis 21. April 2023 statt.