Doch wie erstellt man ein Robot-Vision-System, das Greifprozesse mit menschenähnlicher Intelligenz durchführen kann? Für »smartes Greifen« müssen die einzelnen Disziplinen optimal zusammenarbeiten. Dazu ist es aber nicht notwendig, das Rad neu zu erfinden. Für erste Systemtests muss nur der richtige Partner mit passenden Produkten ausgesucht werden, die bereits Teilaufgaben lösen können. Aus der interdisziplinären Zusammenarbeit dieser Komponenten entsteht dann ein neues System mit den nötigen Fähigkeiten.
So kann beispielsweise ein Cobot, ausgestattet mit KI- und 3D-Kameras, Artikel aus einer Kiste entnehmen und ein Warenregal befüllen. Natürlich funktioniert das auch andersherum, der Roboter entnimmt Gegenstände aus dem Regal und kommissioniert ein Paket für den Versand. Während die Ensenso-3D-Kamera Position, Lage und damit auch Greifposition der Objekte für den Roboter bestimmt sowie freie Regalplätze orten kann, klassifiziert die KI-Kamera IDS NXT die Produkte mithilfe ihres vorab trainierten neuronalen Netzes.
Vorgehen
Neben den Fragen, was, wo und wie gegriffen werden soll und welche Systeme dafür geeignet sind, sollte auch geklärt werden, wie die Einzelkomponenten zusammenarbeiten, also welche Daten erzeugt und über welche Schnittstellen sie weitergereicht werden. Die KI-Kameras der Serie IDS NXT können Inferenzergebnisse neben dem Webservice REST mittels des Datenaustausch-Standards OPC UA kommunizieren, der auch in Robotersteuerungen weit verbreitet ist. Dadurch kann auf eine PC-Hardware und die damit verbundene Infrastruktur verzichtet werden, was die Anschaffungs- und Instandhaltungskosten einer Anlage senkt.
Dennoch erfordert KI-Vision ein gewisses Verständnis dafür, wie geeignetes Bildmaterial für ein effektives Training eines neuronalen Netzes aussehen muss. Das ist die Voraussetzung dafür, dass später zuverlässige Schlussfolgerungen entstehen, die nachprüfbar zu bewerten sind. KI- und Bildverarbeitungstechniken einzusetzen könnte kleine und mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen stellen, wenn ihnen dafür die Experten fehlen.
Deshalb sind intuitivere Benutzeroberflächen sowie No-Code-Tools und -Plattformen gefragt, die es Mitarbeitern ermöglichen, diese Techniken ohne KI- oder Programmierkenntnisse zu nutzen. Dies ermöglicht kleinen und mittleren Unternehmen, KI-Systeme an ihre spezifischen Bedürfnisse und Anwendungsfälle anzupassen. Die Herausforderung besteht darin, das richtige Gleichgewicht zwischen Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität zu finden.
Wichtig ist dabei, erfahrene Partner im Boot zu haben, die nicht nur ein geeignetes KI-System anbieten, sondern den ganzen Workflow einer Qualitätssicherung auf Machine-Learning-Basis betrachten und betreuen können. Ein vollumfänglicher Support aus einer Hand ist auch bei KI-Vision eine nicht zu unterschätzende Erfolgskomponente. Der Einsatz von KI-Vision ist also vielleicht nicht ganz so einfach, wie oft der Eindruck erweckt wird, aber mit Sicherheit einfacher als oft angenommen.
Waren-Handling neu gedacht
Durch die Kombination von KI-Vision und 3D-Kameratechnik sind Roboter in der Lage, mit großen Variationen auf Paletten umzugehen, indem sie jedes beliebige Objekt erkennen und zuverlässig greifen – von Kisten bis zu verformbaren Gegenständen, von eng gestapelten oder überlappenden Objekten bis zu beschädigten Gegenständen. Und das auch in unübersichtlichen Szenarien. Zudem wird eine detailliertere Inspektion von Objekten möglich, was zur Fehler-Früherkennung beim Waren-Handling beiträgt.
In der Automatisierung mit intelligenten Robot-Vision-Systemen liegt daher auch die Chance, flexibler auf schwierigere Marktbedingungen zu reagieren und dabei eine gleichbleibend hohe Produktions- und Warenqualität zu gewährleisten.
Schlüsseltechniken wie KI-Vision können auch in Betrieben, für die der Sprung zur durchgängigen Digitalisierung und Automatisierung noch zu groß ist, wichtige Fortschritte für den Produktionsprozess aufzeigen.
Der Autor:
Dipl.-Ing. Heiko Seitz ist Technischer Autor bei IDS Imaging Development Systems.