»Wir sind überzeugt, dass sich DC-Netze in der Industrie und vielen weiteren Sektoren schnell durchsetzen werden!«, sagen Dr. Hartwig Stammberger und Prof. Holger Borcherding von der ODCA. Im Interview mit Markt&Technik erklären sie die Gründe für ihren Optimismus.
Markt&Technik: Warum ist es so wichtig, dass die DC-Netze jetzt in die industrielle Produktion Einzug halten?
Prof. Holger Borcherding: Weil gerade in der Industrie ein enormer Energiebetrag sowie Ressourcen eingespart werden können. Mit DC-Netzen gelingt das. Es ist für die Elektrifizierung und die Energiewende insgesamt sehr wichtig, dass die Industrie mit gutem Beispiel vorangeht.
Was sie jetzt gerne macht, weil die Vorteile so offen auf der Hand liegen?
Prof. Borcherding: Ein starkes Interesse ist deutlich zu spüren, vor allem, weil die Umsetzung kein Problem mehr darstellt. Es gibt die bekannten ersten Anwendungen, die bei Firmen wie BMW, Mercedes-Benz, Phoenix Contact und Schaltbau bereits in Betrieb sind. Diese Projekte zeigen, wie es geht. Und das sind nur die Projekte, über die gesprochen wird, es geschieht darüber hinaus derzeit sehr viel. Das alles zeigt: DC-Netze für die industrielle Produktion im Niederspannungsbereich können ohne größere Probleme aufgebaut werden – wenn auch nicht immer alles komplett vorliegt. Und auch im planerischen Bereich gibt es immer mehr Firmen, die sich dafür interessieren und sich in das Thema einarbeiten. Dasselbe gilt für elektrotechnische Handwerksbetriebe, die die DC-Netze schlussendlich bauen. Das zeigt sich bei uns auf dem Campus derzeit sehr stark: Firmen aus all den genannten Sektoren engagieren sich und lernen sehr viel dabei.
DC Konferenz - Gleichstromnetze für die Industrie |
---|
Die Markt&Technik veranstaltet am 23. Oktober im Holiday Inn München die »DC-Konferenz: Gleichstromnetze für die Industrie«, powered by ODCA. Die im November 2022 gegründete Open Direct Current Alliance hat sich zum Ziel gesetzt, die DC-Microgrids aufgrund ihrer vielen Vorteile schnell in die industrielle Produktion zu bringen. Auf der DC-Konferenz können sich die Teilnehmenden anhand von Vorträgen aus der Praxis ein Bild davon machen, welche Komponenten für den Aufbau eines Gleichstromnetzes in der Produktion erhältlich sind, wie sich Gleichstromnetze schon heute in der Praxis aufbauen lassen, aber auch, wo gegenwärtig noch Hürden liegen und wie sie überwunden werden können. |
Die großen Unternehmen sind also bereits vollständig überzeugt?
Prof. Borcherding: Es zeigt sich immer wieder, dass die Großen der Industrie das Thema sehr gut verstanden haben und jetzt kräftig in Richtung DC-Netz für die Produktion ziehen. Da müssen wir keine Überzeugungsarbeit mehr leisten. Aber es ist noch immer kein allgemeines Wissen. Wir kämpfen gegen 150 Jahre AC, da ist eine Veranstaltung wie die »DC Konferenz: Gleichstromnetze für die Industrie«, powered by ODCA, wichtig, um zu zeigen, wie sich die Energieeinsparungen durch DC-Netze in der industriellen Produktion realisieren lassen.
Doch was ist mit den typischen Mittelständlern in Deutschland?
Dr. Hartwig Stammberger: Jetzt müssen wir den Mittelstand begeistern. Diese Unternehmen haben aber wenig Zeit und Ressourcen, um sich intensiv damit zu beschäftigen. Es muss ja nicht gleich die ganze Halle über ein DC-Microgrid versorgt werden, zunächst kann DC ja nur in einem Teil der Halle umgesetzt werden. Auch dann werden die Vorteile schnell offenbar.
Grundsätzlich finden die Mittelständler das Thema auch toll und es gibt doch einige, die es schon konkret umsetzen wollen. Mir fällt spontan ein Unternehmen im Bereich der Verpackungstechnik ein, das sich auf die Entwicklung und Fertigung von Tools für das Schneiden von Folien spezialisiert hat. Die Firma wird in ihrer Produktion ein DC-Netz aufbauen.
Die technischen Grundlagen sind also gelegt?
Prof. Borcherding: Ja, wir haben die umfassende technische Beschreibung eines DC-Systems abgeschlossen und sie steht unter dem Titel »Systemkonzept DC-Industrie2« auf der Website der ODCA zur Verfügung. Hier stehen alle Details zum Aufbau von DC-Netzen, ob es nun um Batterien für DC-Microgrids geht, um Kabel und Isolation oder sonstige Komponenten. Jeder kann sich so in das Thema einarbeiten.
Dr. Stammberger: Die Beschreibung des industriellen DC Microgrids steht in Kürze auch als Spezifikation des VDE frei zur Verfügung (VDE SPEC 90037), praktisch als »Vornorm«. Damit haben Planer und Betreiber Sicherheit. Wir sind bereits Normalität, wir sind kein Sonderfall mehr. Davon können sich die Besucher auf der »DC Konferenz: Gleichstromnetze für die Industrie«, powered by ODCA, überzeugen – und dabei lernen, dass DC-Netze in der Auslegung und im Betrieb viel einfacher als AC-Netze sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Durch DC-Microgrids wird die Spitzenleistung, die vom Netzbetreiber bezogen wird, deutlich reduziert. Und damit der Preis für jede kWh Energie. Wer DC-Netze einführt, spart also für sich selbst Geld – und tut gleichzeitig Gutes für alle.
Herrscht nicht im planerischen Bereich noch einiger Nachholbedarf?
Prof. Borcherding: Es gibt bereits einige Planungsfirmen, die sich damit beschäftigen. Auch die Zahl der Handwerksbetriebe wächst, die in die DC-Technik einsteigen und an den Projekten mitarbeiten wollen und können. Derzeit reicht die Anzahl der Planer aus, um anstehende Projekte zu bewältigen – und ständig kommen mehr hinzu, die sich mit dem DC-Thema beschäftigen.
Wie sieht es im weiteren DC-Umfeld für die Elektroinfrastruktur aus?
Prof. Borcherding: Auf der Ebene der Gutachter und Sachverständigen, die für die Abnahme der DC-Netze zuständig sind, gibt es ebenfalls sehr starkes Interesse dafür, sich jetzt schulen zu lassen. Uns erreichen viele Anfragen, was ebenfalls ein Beweis dafür ist, dass im Moment sehr viel passiert.
Dr. Stammberger: Was ebenfalls sehr wichtig ist: Alle Unternehmen, die DC-Netze bisher in ihren industriellen Produktionen umgesetzt haben, stehen dazu und zeigen, wie weitere Unternehmen in den Genuss der daraus resultierenden Vorteile kommen können.
Nach anfänglicher Euphorie und scheinbar ernsthaften Interessensbekundungen von Seiten der potenziellen Anwender kommt es doch sehr häufig vor, dass neue Techniken das berühmte »Tal der Tränen« durchschreiten müssen. Über das vergangene Jahr hatten viele den Eindruck, dass es den DC- Netzen für die Produktion in der Industrie ähnlich geht. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Prof. Borcherding: Wir sind am Ende des Tals der Ernüchterung angekommen, jetzt geht es immer steiler bergauf. Andererseits geht es bei diesem Thema um langfristige Investitionen, schließlich handelt es sich um den Aufbau von Netzen, da tut sich nichts innerhalb von drei Monaten. Wir sind also erst am Anfang. Aber in fünf Jahren werden wir das Ergebnis sehen. Und da bin ich sehr froh gestimmt. Ich wette auf einen Marktanteil von 25 Prozent noch vor meiner Pensionierung!
Leider kommt nun noch die aktuelle konjunkturelle Situation hinzu…
Dr. Stammberger: …selbstverständlich sieht es derzeit nicht rosig aus, es wird zurückgefahren. Der Aufschwung aber wird kommen, dann geht es wieder nach oben und es überlagern sich gleich zwei Wellen – und plötzlich wird wieder investiert. Es ist also absolut wichtig, sich jetzt intensiv mit DC-Netzen zu beschäftigen, die veraltete AC-Technik sollte gar nicht mehr diskutiert werden. Aber wie bereits gesagt, es geht auf dieser Ebene im Moment auch sehr gut voran.
Die ODCA muss also niemanden mehr davon überzeugen, dass wer jetzt noch AC-Netze ausbaut, aufs falsche Pferd setzt?
Dr. Stammberger: Es geht nicht mehr darum, dass die DC-Netze eingeführt werden, sondern nur noch darum, wie und wann dies umgesetzt wird.
Prof. Borcherding: Etwas provokativ gesagt: AC ist definitiv am Ende! Denn es ist schwierig und auch teuer, die zukünftigen Anforderungen mit AC zu erfüllen.
Worin zeigt sich derzeit, dass von der Seite der Industrie ein großes Interesse besteht, die Technik jetzt einzusetzen?
Dr. Stammberger: Im Bereich der Standardisierung tut sich enorm viel. Das unterstreicht deutlich, dass die Unternehmen diese Fragen sehr ernst nehmen, sie lassen ihre Experten in den Standardisierungsgremien mitarbeiten und investieren Geld. Es ist wirklich erfreulich zu sehen, an wie vielen Themen mit hoher Intensität gearbeitet wird. Also gehen die Firmen auch davon aus, dass sich die Einführung der DC-Netze in der Produktion auch finanziell lohnen wird. Als ODCA müssen wir gar nicht mehr in diese Richtung drücken wie noch ganz am Anfang; die Industrie zieht, sie fragt aktiv bei uns nach und engagiert sich bei uns auf allen Ebenen.
Prof. Borcherding: Dazu kommt noch, dass auch aus anderen Bereichen das Interesse an DC-Netzen sehr hoch ist. Ich denke hier nur an die Elektromobilität, insbesondere die Ladeinfrastruktur. Hier wird sicherlich noch deutlich mehr investiert, als es in der Industrie der Fall ist, da handelt es sich um ganz andere Größenordnungen. Das wiederum gibt der Industrie zusätzlichen Schub, was insgesamt dazu führt, dass die DC-Netze in den verschiedenen Industrien noch schneller Einzug halten. Auf eine möglichst hohe Geschwindigkeit kommt es an, um möglichst schnell Energie- und Ressourcen-Einsparungen umzusetzen. Der Elektrizitätsverbrauch in der Industrie ist ja alles andere als vernachlässigbar! Und ich bin sicher: Die Elektromobilität wird kommen, deshalb sind wir insgesamt sehr optimistisch.
Dr. Stammberger: Umgekehrt sind wir als ODCA in der Industrie auf dem Gebiet der DC-Netze am weitesten fortgeschritten, was dann wiederum der Elektromobilität zugutekommt. Wir geben uns also wechselseitig Schwung, was den Markt zusätzlich vorantreiben wird. Darüber hinaus wollen wir alle Sektoren unterstützen, die industriellen Produktion und die Elektromobilität spielen zwar eine sehr wichtige Rolle, aber es gibt noch viele weitere lohnende Einsatzgebiete.
An welche weiteren Anwendungsmöglichkeiten für DC-Netze denken Sie da?
Dr. Stammberger: Da fällt mir zunächst die Intralogistik, also die Lagersysteme ein. Hier wird das Thema bereits sehr stark diskutiert. Die Verfahrenstechnik ist heute noch recht wenig vertreten. Die chemische Industrie hat derzeit mit Strukturproblemen zu kämpfen, da passiert wenig. Das wird sich aber mit der Einführung von Wasserstoff ändern und es müsste dann wieder nach oben gehen. Was uns auch optimistisch stimmt: Es kommen immer wieder Branchen auf uns zu, mit denen wir nicht gerechnet hätten. Ein Beispiel ist der Industrieverband Massivumformung. Die Mitglieder stellen Produkte wie Gesenkschmiedeteile, Warmfließpressteile, Kaltfließpressteile, Stauchteile, Freiformschmiedestücke und gewalzte Ringe her. Diese Firmen wollen Energie sparen und deshalb hat der Verband die ODCA eingeladen, um ihre Mitglieder über die Vorteile der DC-Netze zu informieren. Das alles zeigt, warum wir als ODCA so optimistisch sind, dass die DC-Netze sowohl in der industriellen Produktion als auch in vielen anderen Sektoren schnell Anteile gewinnen werden – sowohl zum Nutzen der Unternehmen, die sie einsetzen, als auch zum Nutzen der Gesellschaft, um die Elektrifizierung voranzutreiben und den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Das Interview führte Heinz Arnold