Interview mit Jörg Mayer, Spectaris

»Nie war die Digitalisierung wichtiger als heute«

21. Oktober 2020, 15:15 Uhr | Nicole Wörner
Jörg Mayer, Spectaris: »Jeder Mittelständler sollte gerade jetzt alle betrieblichen Prozesse genau unter die Lupe nehmen und seine Digitalisierung in die eigene Hand nehmen.«
© Spectaris

Die stark exportgetriebene deutsche Photonik-Branche im Spannungsfeld zwischen Handelsbeschränkungen, Brexit und Corona: Wie behauptet sich die überwiegend mittelständisch geprägte Branche? Jörg Mayer, Geschäftsführer des Branchenverbandes Spectaris, sieht Chancen und Risiken.

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Markt&Technik: Herr Mayer, die Exportquote der deutschen Photonik-Unternehmen liegt bei gut 70 Prozent. Wie stark haben sich die Einflüsse der Corona-Krise bemerkbar gemacht?

Jörg Mayer: Das Auslandsgeschäft ist für die Photonik-Unternehmen gerade in der aktuellen Situation ein wichtiger und leider kritischer Faktor. Die Erwartungen für 2020 sind ausgesprochen negativ, liegen laut einer Spectaris-Umfrage aus dem Juni um neun Prozent unter dem Wert des Vorjahres. 56 Prozent der Unternehmen beklagen eine deutlich geringere Nachfrage nach ihren Produkten insgesamt. Für das Auslandsgeschäft wird es entscheidend sein, wie sich das vierte Quartal entwickelt.

Laut ZVEI lagen die Exporte der Elektroindustrie nach China im Juni um gut 15 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum, auf das 1. Halbjahr betrachtet lag der Anstieg immer noch bei rund 6,5 Prozent. Zeichnet sich diese Tendenz auch in der Photonik ab?

Leider nein. 2019 konnten die deutschen Photonik-Exporte nach China um knapp acht Prozent gesteigert werden. Damit ist das Reich der Mitte inzwischen das wichtigste Zielland der Branche. Auch der Jahresbeginn war erfreulich, denn im ersten Quartal wurde ein Plus von beinahe 24 Prozent verzeichnet. Im ersten Halbjahr lagen die Exporte dann aber um 16 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Wir erwarten zwar, dass sich dieses Ergebnis im weiteren Jahresverlauf verbessern wird. Aber 82 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass im Vergleich zum Vorjahr ihr Gesamtumsatz 2020 sinkt. 51 Prozent der Unternehmen befürchten gar ein zweistelliges Minus – davon bleibt auch der Export nach China nicht unberührt.

Wenn eine Branche so stark exportgetrieben ist, wie sehr leidet sie unter den Handelsbeschränkungen – und auch unter dem Brexit? Immerhin ist Großbritannien eines der wichtigsten Abnehmerländer für die deutsche Photonik.

Jede neue Handelsbeschränkung bedingt einen höheren Ressourcenaufwand. Hier gibt es vor allem zwei Bereiche, die für die Unternehmen eine erhöhte Anstrengung bedeuten oder sogar Märkte gezielt blockieren. Zum einen sind das zollrechtliche Vorgaben, wie sie nun beim Brexit im Raum stehen. Wobei nicht nur die reinen Zölle negativ zu Buche schlagen und die Wettbewerbsfähigkeit einschränken, sondern vor allem die Zollformalitäten einen größeren zeitlichen und personellen Aufwand sowie mehr Dokumentationspflichten mit sich bringen. Zum anderen sehen wir deutlich mehr Anforderungen bei den Compliance-Vorgaben, also die Regelkonformität im internationalen Geschäft. Hier gilt es für die Unternehmen, auch Vorgaben von Drittländern zu beachten – in der Photonik ist das etwa bei Lieferungen aus Deutschland nach Russland der Fall: Neben den EU-Sanktionen müssen hier auch die deutlich komplexeren Vorgaben seitens der USA berücksichtigt werden.

Sie sind ein starker Verfechter von Freihandelsabkommen und stehen auch öffentlich dazu. Welche Unterstützung – und von welcher Seite – würden Sie sich konkret wünschen?

Die wirtschaftlichen Verflechtungen werden immer komplexer, gezielte Freihandelsabkommen der EU mit strategisch wichtigen Partnern sind wichtige Bausteine für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Gerade mit großen Märkten wie beispielsweise China, Indien und natürlich auch den USA sind Abkommen unbedingt notwendig: Bei Zöllen, aber vor allem bei den Themen Marktzugang und regulatorische Anforderungen sind sie eine gute Basis für den Handel. An TTIP haben wir gesehen, dass selbst von europäischer Seite große Vorbehalte gegen solche Abkommen bestehen, die immer komplexere Themenbereiche umfassen. Wir würden uns konkret mehr Aufklärung seitens der Politik wünschen, auch in Richtung Zivilgesellschaft. Es herrscht noch keine ausreichende Akzeptanz beziehungsweise Kenntnis darüber, welche Vorteile und Möglichkeiten die Abkommen bringen. Ein äußerst wichtiges Signal wäre dabei der klar formulierte Wille, Verhandlungen wieder aufzunehmen und diese Absicht fortwährend in den Gesprächen der EU beziehungsweise Deutschlands mit den jeweiligen Verhandlungspartnern zu thematisieren.

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