Abschiedsinterview mit Rahman Jamal, NI

»Ich möchte die Zeit nicht missen«

13. März 2020, 9:20 Uhr | Nicole Wörner
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Fortsetzung des Artikels von Teil 3

Der Messtechnikmarkt im Wandel

Aus Ihrer Erfahrung: Wie haben sich die Anforderungen an einen Messtechnik-Hersteller über die Zeit gewandelt?

Rahman Jamal: Als ich zu Beginn meiner Karriere auf Messen und Kongressen von „offener Messtechnik“ sprach, wurde ich belächelt. Denn geschlossene, vom Hersteller fix definierte Messinstrumente beherrschten den Markt. Mittlerweile hat sich das aber gewandelt. Denn durch die zunehmende Vernetztheit von Dingen – Stichwort IoT – wurden sowohl die Industrie als auch unsere Gesellschaft im Allgemeinen immer vernetzter und offener. Hinzu kommt, dass sich die Anforderungen beim Messen und Testen rapide ändern. Man denke etwa an Losgröße 1, also individuell maßgeschneiderte Fertigungen. Spätestens hier wird klar, dass flexible und offene Messsysteme vonnöten sind.

Geschlossene, von Herstellern von vorneherein festgelegte Boxmesssysteme sind mit den sich schnell ändernden Bedingungen hoffnungslos überfordert. Daher ist ein Umstieg auf eine offene, softwarezentrische Plattform mit modularer Hardware und flexibler Software, gepaart mit einem stetig wachsenden Ökosystem unabdingbar.

Und genau das war es, was die NI-Firmengründer Dr. James Truchard und Jeff Kodosky von Anfang an im Sinn hatten. Die Grundidee hinter dem Konzept der Virtuellen Instrumente in LabVIEW war es nämlich, zu ermöglichen, Systeme auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden maßzuschneidern.

Heute, mit der starken Verbreitung von Smartphones, ist jedem klar, was mit einem „offenen System“ gemeint ist. Mittels Apps und Firmware-Updates lässt sich die Funktionalität des Mobiltelefons erweitern – und auch die Funktionen eines intelligenten software-definierten Testsystems lassen sich über Software ergänzen und modifizieren. Somit kann der Anwender sein System stets auf dem aktuellen Stand der Technik halten und mit der sich schnell entwickelnden Gerätefunktionalität Schritt halten. Die Crux ist auch hier das die Plattform umgebende Ökosystem, bestehend aus Anwendern, Applikationen, Partnern, Systemintegratoren, Supportingenieuren, IP usw. Dies nun die technische Seite.

Meiner Meinung nach ist es aber unabdingbar, dass der Ingenieur von morgen in erster Linie ein Humanist ist, also ein Menschenfreund, der mithilfe seiner Entwicklungen dazu beiträgt, die vielen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Er darf nicht nur Wert auf coole „techy“ Produkte legen, sondern muss den Sinn seines Werks hinterfragen. Schließlich ist er mitverantwortlich für die Folgen seiner Arbeit. Damit meine ich weit mehr als nur die berufliche Sorgfaltspflicht. Selbstverständlich muss der Ingenieur schon auch darauf achten, dass seine Produkte qualitativ hochwertig und zuverlässig sind. Aber er muss auch klar im Blick haben, welche Auswirkungen seine Entwicklung auf die Gesellschaft hat.

Stichwort Künstliche Intelligenz, zum Beispiel. Hier muss der Ingenieur sich fragen, was seine KI darf und wo sind die Grenzen zu setzen sind. Wollen wir KI nur um der KI willen? Möchten wir wirklich Chatbots, die Wahlen beeinflussen, wie es in den USA passiert ist? Sollen mithilfe von KI alle persönlichen Daten eines jeden Einwohners eines Landes in einem digitalen Punktekonto gespeichert werden, damit der der Staat dann „gute“ von „schlechten“ Bürgern unterscheiden und entsprechend für soziale Vor- oder Nachteile für den Einzelnen sorgen kann? Wird die KI aber mit Weitsicht eingesetzt, birgt sie sehr viel Potenzial, unser Leben sicherer zu gestalten und die Lebensqualität zu erhöhen.

So entlasten selbstlernende Maschinen den Menschen von zeitaufwändigen Routinejobs und eröffnen ihm auf diese Weise mehr Möglichkeiten für kreatives Arbeiten. Ebenso übernehmen sie schwere oder sogar gefährliche Aufgaben und tragen zur Unfallvermeidung bei. Auch wenn der Begriff „Künstliche Intelligenz“ so anmutet, ist der eigentliche Sinn dieser Technologie eben nicht, die Intelligenz des Menschen zu ersetzen, sondern vielmehr unsere Gesellschaft zu bereichern.

Aus meiner Sicht sind daher Initiativen, die zur Persönlichkeitsbildung beitragen, unabdingbar. Ein Beispiel wäre etwa die Kooperation zwischen der TU München und der Hochschule für Philosophie München, die darauf abzielt, Ethik und gesellschaftliche Fragen stärker in das Studium der Naturwissenschaft zu integrieren. Konkret bedeutet das, dass den Studierenden an der TU nun sämtliche Lehrveranstaltungen der Hochschule für Philosophie offenstehen. Somit soll die Auseinandersetzung mit grundlegenden oder sogar ganz konkreten ethischen Fragen vereinfacht werden, die für den eigenen Beruf relevant sind.

Wie wird sich die Elektronik- und die Messtechnik-Branche über die nächsten Jahre entwickeln?

Rahman Jamal: Definitiv wird viel mehr Kollaboration gefragt sein. Schon durch die starke Vernetztheit von Dingen im Internet der Dinge wird deutlich, dass Alleingänge einzelner Unternehmen nicht zielführend sein können. Exakt dies entspricht ja dem Darwin’schen Prinzip „Survival of the fittest“, das oft falsch interpretiert wird. Es besagt nicht etwa, dass der Stärkste oder körperlich Fitteste überlebt, sondern derjenige, der den Umgebungsbedingungen am besten angepasst ist. Menschen, die kooperieren, die gut vernetzt sind, kommen weiter – das ist seit jeher der Fall.

Für die Industrie im Allgemeinen und die Elektronik- und Messtechnikbranche im Besonderen heißt das, von der Natur zu lernen und mit anderen Firmen zusammenarbeiten, um größere Dinge zu erreichen. Das Cluster „it’s OWL“ ist ein gutes Beispiel dafür. Dieses Cluster gilt als Motor für die Entwicklung des Standorts Ostwestfalen-Lippe. Die darin vertretenden Unternehmen konkurrieren teilweise miteinander, dennoch haben sie eine gemeinsame Vision für den Standort Ostwestfalen mit übergeordneten Zielen.


  1. »Ich möchte die Zeit nicht missen«
  2. Hatten Sie nie das Bedürfnis nach Veränderung?
  3. Highlights und Meilensteine aus 30 Jahren Messtechnik
  4. Der Messtechnikmarkt im Wandel
  5. Was kommt nun? Was bringt der neue Lebensabschnitt?

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