In der Medizin entstehen sekündlich Daten. Mit der Digitalisierung von Kliniken und Praxen werden die Petabyte an Gesundheitsdaten auch vermehrt genutzt - doch wie und wo sollen die sensiblen Daten sicher verarbeitet und gespeichert werden? Die Vorteile von Edge Computing in fünf Praxisbeispielen.
Edge Computing bezeichnet die Datenverarbeitung am Rand des Netzwerks und steht damit in gewisser Weise im Gegensatz zu zentralisierter Datenverarbeitung wie etwa in einer Cloud. Durch die Architektur ergeben sich verschiedene Eigenschaften, die für Anwendungen im Gesundheitswesen nützlich sind.
Durch die direkte Verarbeitung am Entstehungsort müssen nicht alle gesammelten Informationen, beispielsweise von Sensoren, übertragen werden, sondern lediglich ein Aggregat, bzw. das gewünschte Mess-/ Untersuchungsergebnis. So wird einerseits Bandbreite für die Übertragung gespart, andererseits kommt man dadurch dem Prinzip der Datensparsamkeit näher, indem nur wirklich notwendige Informationen übertragen und gespeichert werden.
Jede Datenübertragung kostet zudem Zeit. Die dabei entstehende Verzögerung (Latenz) könnte beispielsweise bei bildgebenden Verfahren in Echtzeit problematisch werden. Würde man alle erfassten Sensordaten erst in ein weit entferntes Rechenzentrum oder eine Cloud zur Verarbeitung übertragen, könnte so ein ruckelndes Bild entstehen. Eventuell sind die Bilder auch nur unmittelbar vor Ort für die Zeit der Behandlung relevant, dann wäre eine Datenübertragung ohnehin unnötig.
Edge Computing kann in verschiedenen Teilbereichen des Gesundheitswesens Vorteile bringen, beispielsweise:
In Kliniken
Die Digitalisierung der deutschen Krankenhäuser steht immer wieder in der Kritik. In internationalen Vergleichen schneiden hiesige Kliniken oft schlecht ab. Letzten Herbst beklagte eine PwC-Studie, in Deutschland finde statt »ganzheitlicher Digitalisierung« die »Elektrifizierung analoger Prozesse« statt. Gute Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung sind das nicht.
Um diese zu schaffen dürfen wir nicht auf der Prozessebene ansetzen, sondern müssen bei den Infrastrukturen beginnen. Ein Beispiel für eine gelungene, umfassende Modernisierung der eigenen Infrastrukturen ist die Universitätsmedizin Mainz. Der Supramaximalversorger investierte in ein neues Rechenzentrum nach modernsten Standards, um für die Entwicklungen der Zukunft bereit zu sein. Große Investitionen sind dafür ohne Zweifel notwendig. Doch je länger diese hinausgezögert werden, desto mehr technische Schulden häufen sich an.
Die Modernisierung der IT-Infrastruktur in Krankenhäusern sollte also priorisiert werden. Neben vielen weiteren Technologien spielt dabei auch Edge Computing eine wichtige Rolle. Viele medizinische Geräte werden noch immer isoliert betrieben und sind nicht in größere technische Systeme integriert. Um dies konsequent umzusetzen, werden zukünftig Edge-Geräte eine wichtige Funktion als Schnittstelle zwischen einzelnen Geräten und einem zentralen Informationssystem der Klinik einnehmen.
In der Notfallversorgung
An einem Unfallort sind Ärzte und Rettungssanitäter in der Regel auf unmittelbare Notfallmaßnahmen beschränkt. Umfassendere Diagnosen können erst in der Notaufnahme gestellt werden. Im Zweifelsfall kann dadurch wertvolle Zeit für Patienten verloren gehen. Durch mehr Technologieintegration, beispielsweise in Rettungswägen, könnte die Erfassung erweiterter Vitalparameter und deren Interpretation vor Ort ermöglicht werden. In Verbindung mit 5G kann zudem der direkte Austausch mit der Klinik oder externen Experten verbessert werden.
In der Telemedizin
Eines der Hauptziele von Digitalisierung im Gesundheitssystem ist, medizinische Dienstleistungen näher zu den Patienten zu bringen. Die sogenannte Telemedizin ist in Deutschland allerdings noch nicht wirklich in der Praxis angekommen. Anders im dünnbesiedelten Schweden: Das Land gilt allgemein als Vorreiter der Digitalisierung und arbeitet bereits seit den 1990er Jahren an Telemedizin-Angeboten. Zwar herrschen in Deutschland andere Bedingungen, vor allem in urbanen Gegenden, doch Ärztemangel auf dem Land und lange Wartezeiten sind auch hier ein Thema. Hinzu kommt eine alternde Bevölkerung. Durch Telemedizin könnten einige dieser Probleme gelöst und Zeit sowie Kosten eingespart werden.
Eine wichtige Rolle werden dabei Wearables spielen, die Gesundheitsdaten erfassen können. Diese Daten müssen ebenfalls ausgewertet und übertragen werden. Besonders im Pflegebereich könnten zu diesem Zweck eigene Edge-Infrastrukturen ein interessanter Ansatz sein. In dieser geschützten Umgebung könnten die Vitalparameter der Bewohner überwacht werden und bei Komplikationen könnte das Personal direkt alarmiert werden. Über entsprechende Schnittstellen würden im Bedarfsfall bestimmte Daten auch mit Ärzten und Kliniken geteilt werden.
Im OP
Chirurgische Eingriffe sowie Vor- und Nachbehandlung müssen akribisch dokumentiert werden, was heute noch weitgehend manuell geschieht. Moderne Technologien wie Kamerasysteme bis hin zu künstlicher Intelligenz bieten heute allerdings ganz neue Möglichkeiten. Zukünftig werden Operationssäle vermutlich noch wesentlich digitaler werden und Chirurgen noch mehr technologische Unterstützung bekommen. Dies bedeutet allerdings auch, dass große Datenmengen entstehen. Viele davon werden nur direkt und unmittelbar vor Ort relevant sein. Somit könnte fortschrittliche OP-Technologie auch ein Einsatzgebiet für Edge Computing werden. Langfristig für die Dokumentation relevante Daten könnten während des Eingriffs gesammelt und anschließend gespeichert werden. Die Erfassung und Analyse von Daten aus einer Vielzahl chirurgischer Eingriffe kann auch dazu beitragen, die betriebliche Effizienz zu steigern und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.
Auf Station und in der Klinik-Verwaltung
Medizin und Gesundheitsversorgung bedeuten immer auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Wichtige Aspekte, die durch Edge-Computing in diesem Bereich adressiert werden können, sind Datenschutz und die Sicherheit von Patientendaten. Schließlich bedeutet Datenübertragung immer auch ein gewisses Risiko. Edge Computing minimiert die Notwendigkeit dieser Übertragung und trägt so zu besser abgesicherten, dennoch modernen und vernetzten Infrastrukturen bei.
Ein dezentraler Ansatz für die Verarbeitung von Patientendaten schränkt zudem den Zugriff unautorisierter Personen ein. Durch die Implementierung von Edge Computing-Lösungen können Gesundheitseinrichtungen somit eine bessere Kontrolle über die Patientendaten erlangen und gleichzeitig sichere und gesetzeskonforme Datenverarbeitung gewährleisten, wodurch das Vertrauen der Patienten in die digitale Gesundheitsversorgung gestärkt wird.
Edge Computing wird zukünftig viele neue Chancen für ein modernes, digitales Gesundheitswesen bieten und dabei Effizienz und Datenschutz stärken. Dementsprechend wird der Technologie ein großes Wachstumspotenzial attestiert: Schätzungen zufolge wird der Markt für Edge Computing im Gesundheitswesen bis 2030 ein Volumen von 25,5 Milliarden US-Dollar erreichen, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 26,9 Prozent.
Diese und weitere effizienzsteigernde Technologien sind der Schlüssel dazu, auch zukünftig eine zuverlässige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, trotz der Herausforderungen durch steigenden Kostendruck und Fachkräftemangel.