Eine Reform mit gemischten Ergebnissen: Der VDE-Arbeitsmarktexperte Dr. Michael Schanz zieht nach 25 Jahren Bologna-Reform Bilanz. Wo stehen wir heute in der Ingenieurausbildung und was hat sich nicht erfüllt?
„Die Bologna-Erklärung wurde 1999 mit großen Zielen unterzeichnet: einen international wettbewerbsfähigen Hochschulraum schaffen und die Mobilität der Studierenden und die Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse fördern“, erinnert Dr. Michael Schanz, Referent für den VDE-Vorstand. „Doch viele der Erwartungen wurden nicht erfüllt, vor allem in der Ingenieurausbildung.“
Während Teile der Industrie die Reform und die Aussicht auf viele, zeitnah einsetzbare Bachelor-Ingenieure damals sehr begrüßten, zeigten sich vor allem die Technischen Universitäten skeptisch und leisteten Widerstand, erinnert sich Schanz. Die Sorge vor einem »Schmalspur«-Ingenieurstudium und Kompetenzverlust war groß. Auch der VDE setzte sich wiederholt für die Vorteile der traditionellen Ingenieurausbildung in Deutschland und den guten Ruf des Dipl.-Ings im Ausland ein und schlug vor, die Vorteile in der Reform zu integrieren. Am Ende vergeblich, Bologna wurde umgesetzt, die Kritik verstummte.
Und heute? Gehen an den Universitäten nur sehr wenige Bachelorabsolventen direkt in den Arbeitsmarkt, sondern setzen das Masterstudium drauf. „In der Elektrotechnik hat sich der Bachelor als berufsbefähigender Abschluss nicht durchgesetzt“, resumiert Dr. Schanz. Laut dem Fachbereichstag Elektrotechnik streben 80 % der Absolventen eines Bachelorstudiums direkt einen Masterabschluss an. „Die verkürzte Studiendauer an Fachhochschulen hat dazu geführt, dass wichtige Fächer wie Konstruktionslehre oder Werkstoffkunde reduziert wurden.“ Der Bachelor sei somit „kein Erfolgsmodell“, insbesondere im Vergleich zum traditionellen Diplom-Ingenieur, der für seine praxisnahe Ausbildung geschätzt wurde.
„Ein zentrales Ziel der Reform war, die Abbrecherquoten zu senken. Doch das Gegenteil ist der Fall“, kritisiert Dr. Schanz. „Die mathematisch-physikalischen Grundlagen der Studienanfänger sind oft unzureichend, und die gestufte Studienstruktur hat die Anforderungen eher verschärft.“ Gleichzeitig habe die Reform zwar neue Instrumente wie Akkreditierungen und Peer-Reviews gebracht, aber diese seien nicht ausreichend, um die Studienqualität nachhaltig zu verbessern.
Ein Erfolg der Bologna-Reform sei laut Dr. Schanz die gestiegene Attraktivität für internationale Studierende. „Mit 42 % internationalen Studierenden in der Elektrotechnik nimmt Deutschland eine Spitzenposition ein. Besonders Studierende aus Asien sehen hier attraktive Studienmöglichkeiten.“ Doch dieser Erfolg täusche leider darüber hinweg, dass die Beliebtheit des Fachs bei deutschen Schulabgängern seit Jahren weiter abnimmt.
„Die gestufte Studienstruktur hat zu einer unübersichtlichen Vielfalt an Abschlüssen geführt“, so Dr. Schanz weiter. „Bachelor- und Masterabschlüsse mit verschiedenen Bezeichnungen erschweren es sowohl Studieninteressierten als auch Arbeitgebern, die Qualifikationen zu bewerten. Das frühere Diplom war in dieser Hinsicht deutlich klarer und international angesehen.“
„Trotz der Defizite hat die Reform auch Chancen eröffnet“, sagt Dr. Schanz. „Die Flexibilität des Systems erlaubt es beruflich Qualifizierten, den Zugang zu Hochschulen zu finden, und erleichtert den Wechsel zwischen Beruf und Studium. Doch es bleibt fraglich, ob wir die besten internationalen Studierenden langfristig in Deutschland halten können. Die Anziehungskraft von Eliteuniversitäten wie Stanford oder dem MIT ist enorm.“ Sein Fazit: „Die Bologna-Reform hat die Ingenieurausbildung in Deutschland grundlegend verändert, aber nicht alle Versprechen eingelöst“. Während die Internationalisierung gestärkt wurde, blieben zentrale Ziele wie die bessere Studierbarkeit oder die Etablierung des Bachelorabschlusses unerreicht. „Wir müssen uns fragen, wie wir die Ingenieurausbildung zukunftsfähig machen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit sichern können.“