Neue Erstsemesterzahlen

Elektrotechnik im Aufwind? Ein Blick hinter die Zahlen

12. Dezember 2024, 12:00 Uhr | Corinne Schindlbeck
Die letzten Jahre verlor der Studiengang Elektro- und Informationstechnik an Beliebtheit. Doch zuletzt haben sich die Erstsemester-Zahlen in Elektrotechnik stabilisiert, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Warum das kein Grund zur Entwarnung ist, erklärt Arbeitsmarktexperte Dr. Michael Schanz vom VDE.
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Nach Jahren des Rückgangs gibt es positive Signale: Die Zahl der Studienanfänger in Elektrotechnik und Informationstechnik ist im Studienjahr 2024 im dritten Jahr in Folge gestiegen. Doch ist dies tatsächlich Grund zur Entwarnung? 

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Besonders erfreulich: Mit einem Zuwachs von 6 % gegenüber 2023 verzeichnet Elektrotechnik den größten Anstieg unter den technisch orientierten Studienfächern. 
Ein genauerer Blick auf die Zahlen und eine Einschätzung von Dr. Michael Schanz, Arbeitsmarktexperte beim VDE, zeigen jedoch, dass es zu früh ist, die Entwicklung als Trendwende zu feiern. 

Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts für das Studienjahr 2024 zeigen: An deutschen Hochschulen sind aktuell 2.871.600 Studierende eingeschrieben, ein leichter Anstieg um 0,1 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung der Erstsemesterzahlen: Mit 14.200 Studienanfängern in Elektrotechnik und Informationstechnik gab es einen deutlichen Zuwachs um 6 %. Auch die Informatik (+3 %), der Maschinenbau (+4 %) und die Verfahrenstechnik verzeichnen steigende Erstsemesterzahlen. Dagegen bleibt die Entwicklung im Bauingenieurwesen weiterhin rückläufig (-2,4 %).

Interessant ist, dass Universitäten stärker von diesem Aufwärtstrend profitieren als Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Während die Erstsemesterzahlen an Universitäten deutschlandweit um 12 % stiegen, bleiben sie an Fachhochschulen unverändert niedrig. Besonders dort, so Schanz, ist die Zahl der deutschsprachigen Bachelor-Erstsemester weiterhin alarmierend gering, wie von verschiedenen Hochschul-Standorten berichtet wird.

Wachsende Bedeutung internationaler Studierender

Ein entscheidender Faktor für den positiven Gesamteindruck der Erstsemesterzahlen könnte der Zuwachs internationaler Studierender sein. Laut Schanz spielt dies eine zentrale Rolle, insbesondere an Universitäten: »Die meisten internationalen Studierenden entscheiden sich für Universitäten und nicht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Zudem wählen sie häufig englischsprachige Masterprogramme.« Dies erklärt, warum die Elektrotechnik an Universitäten mit einem Zuwachs von 12 % besonders gut abschneidet, während sich die Zahlen an Fachhochschulen stagnierend entwickeln.

Ein weiteres Detail ist die Entwicklung der Frauenquote in der Elektrotechnik. Mit 20 % liegt sie leicht über dem Vorjahr, bleibt jedoch hinter anderen technisch orientierten Studienfächern zurück. Auch hier tragen internationale Studierende zur positiven Entwicklung bei, da der Frauenanteil in diesen Gruppen doppelt so hoch ist.
Arbeitsmarktexperte Schanz sieht Licht und Schatten, man dürfe sich von den Zahlen nicht täuschen lassen. Kurz gesagt: Das Problem der wenigen Frauen im Elektrotechnik-Studium sei deutlich komplexer als es die Zahlen auf den ersten Blick verraten. 

20 Prozent weibliche Erstsemester, das sei im Vergleich zu früheren Zeiten »ganz gut«. Im Vergleich zu anderen Fächern aber eben »extrem schwach«, so Schanz. Dazu kommt: Auf dem Arbeitsmarkt stagniert der Anteil der Elektroingenieurinnen bei unter 10 Prozent. Woher der Schwund? 

Dr. Michael Schanz sieht zwei mögliche Erklärungen. Die erste: Beispielsweise würden sehr viele junge Frauen Medizintechnik studieren und damit dem elektrotechnischen Fachbereich im Studium zugeordnet – arbeiten damit aber später nicht in der klassischen Elektrotechnik. Zweitens: der Anteil internationaler weiblicher Studentinnen, die laut VDE »wahrscheinlich« mehrheitlich . Deutschland nach dem Studium wieder verlassen.

Unter Leitung der Medienpädagogin Dr. Maya Goetz vom Bayerischen Rundfunk ist der VDE gemeinsam mit FBTEI und FTEI auf Spurensuche gegangen und hat die größte Untersuchung zum Image der Elektrotechnik bei jungen Menschen angestrengt. Band 4 hierzu ist im Spätsommer erschienen und fasst die Ergebnisse von vier Studienphasen mit Fokus auf junge Frauen zusammen.

Schanz fasst die Ergebnisse so zusammen: »Elektrotechnik hat inzwischen ein gewaltiges Imageproblem - Tendenz steigend«. Trotz der Aufmerksamkeit, die Klimabewegungen wie Fridays for Future auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes gelenkt haben, bleiben technische Studiengänge zu wenig attraktiv. Eine Generation, die für den Planeten auf die Straße geht, scheint kaum Interesse an den Berufen zu zeigen, die für die Umsetzung der Klimaziele entscheidend sind. Die Studien bestätigen, dass die Branche ein Imageproblem hat: Zu altmodisch, zu männlich, zu trocken. »Bei jungen Frauen kommt noch die Erwartungshaltung dazu, in dieser Männerwelt nicht ernstgenommen zu werden und falls sie sich doch hierfür entscheiden wollen, gegen Widerstände aus dem eigenen Umfeld ankämpfen zu müssen.«, ergänzt Schanz.

Herausforderungen im Studium: Soft Skills gefragt

Ein Blick auf die Anforderungen im Studium zeigt zudem, dass technisches Fachwissen allein nicht mehr ausreicht. Der VDE betont in einer aktuellen Analyse, dass Sozialkompetenzen wie für den Studienerfolg unverzichtbar sind. Besonders angesichts der hohen Abbruchquote in Elektrotechnik-Studiengängen spielen diese Fähigkeiten eine entscheidende Rolle. „Studierende müssen lernen, mit Frustrationen umzugehen und sich selbstständig zu organisieren. Das Studium der Elektrotechnik ist anspruchsvoll“, erklärt Schanz.

Schwer und dann auch noch ein unattraktives Image?

Hier müssen Unternehmen und Bildungseinrichtungen ansetzen. Berufsorientierung wird zum Schlüssel. Technische Berufe müssen bereits in Schulen stärker beworben werden – mit praxisnahen Projekten, klaren Karriereperspektiven und einem modernen, nachhaltigen Image. Arbeitgeber spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie müssen zeigen, dass die Arbeit in der Energie- und Elektrobranche nicht nur wichtig, sondern auch innovativ und erfüllend ist.

Der „ideale“ Kandidat für ein Elektrotechnik-Studium

Der ideale Elektrotechnik-Studierende kombiniert also starkes technisches Interesse sowie Talent in Mathematik und Physik mit ausgeprägten Sozialkompetenzen. Er ist teamfähig, belastbar und selbstmotiviert. Doch gerade an Fachhochschulen bleibt die Herausforderung, genügend deutschsprachige Bachelorstudierende zu gewinnen. Gleichzeitig bietet der Zuwachs internationaler Studierender Chancen, die es zu nutzen gilt. Etwa indem es gelingt, sie zum Bleiben zu bewegen. 

Fazit:

„Wir dürfen uns von den aktuellen Zahlen nicht täuschen lassen“, warnt VDE-Experte Schanz. „Die Entwicklung zeigt zwar positive Ansätze, doch die Frage bleibt: Wo bleiben die internationalen Absolventen nach ihrem Studium, und wie sichern wir den Nachwuchs im deutschsprachigen Raum langfristig?“ Der Anstieg der Erstsemesterzahl in Elektrotechnik ist ein Hoffnungsschimmer – aber noch keine Trendwende. Die Elektrotechnik bleibt ein Feld, das strategische Maßnahmen und gezielte Förderung braucht, um insbesondere im MINT-Fächerkanon nicht unterzugehen.


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