Lässt sich mit einer guten Unternehmenskultur die Wertschöpfung steigern? Davon sind die Unternehmensberater Jessica Calaminus und Kollege Ralph Detert, der selbst ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen geführt hat, fest überzeugt. Soeben haben sie ein Fachbuch dazu veröffentlicht.
Markt&Technik: Frau Calaminus, Herr Detert, momentan ist die Wechselbereitschaft unter deutschen Beschäftigten laut Umfragen wieder mal hoch, was auf gestiegene Unzufriedenheit hinweist. Auch scheint Mikromanagement unter Führungskräften wieder zuzunehmen. Welche Erfahrungen machen Sie als Führungskräfteberater dazu?
Jessica Calaminus: Wir sehen in den Unternehmen tatsächlich eine zunehmende Arbeitsverdichtung. Zeitmangel ist ein großes Thema und auch Überforderung. Homeoffice wurde stellenweise zwar stark zurückgefahren, die hohe Termindichte auch durch virtuelle Meetings bleibt aber hoch. Dazu kommt aufgrund der wirtschaftlichen Situation viel Reorganisation in den Unternehmen. Manche Chefs reagieren darauf mit einer Art Rückwärtsrolle in ihrem Führungsverständnis, zurück zu einem eher klassischen Führungsverhalten. All das zusammen führt dazu, dass sich die Mitarbeitenden zunehmend überlastet fühlen und unzufrieden sind. Gleichzeitig verharren viele in ihren Positionen, weil sich die Arbeitsmarktsituation durch die wirtschaftlichen Entwicklungen verändert hat. Das führt zu einer höheren Unsicherheit.
Wird man als Unternehmen nicht unglaubwürdig, wenn man noch vor kurzem Freiraum, Work-Life-Balance und Work 4.0 propagiert hat und jetzt alles zurückdreht zur klassischen Führung aus alten Zeiten?
Calaminus: Genau das ist das Spannungsfeld, in dem Unternehmen gerade agieren. Zusammenarbeit auf Distanz, insbesondere das Homeoffice, ist mit Herausforderungen verbunden, die noch nicht final gelöst sind. Der Reflex in vielen Unternehmen ist aktuell, angesichts der Komplexität auf Altbekanntes zurückzugehen. Ja, das birgt natürlich die Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen.
Ralph Detert: Es ist ein bisschen wie im Privaten: Wenn ich mich persönlich weiterentwickle und mich verändere und dabei unter Druck oder Stress gerate, falle ich auch gerne in alte Verhaltensmuster zurück. So ist es in den Organisationen aktuell auch zu beobachten.
Welche Herausforderungen beobachten Sie bei Führungskräften momentan?
Detert: Viele Unternehmen entwickeln sich in Richtung Hochleistungskultur: mehr leisten, besser werden. Entscheidend sind dabei die Führungskräfte, die eine wichtige Rolle für teamübergreifende Zusammenarbeit, Ergebnisorientierung und Engagement spielen. Mitarbeiter orientieren sich an ihren Führungskräften. Führungskräfte haben damit eine Schlüsselrolle für jede Art der Veränderung in Leistungskulturen.
Vom Coach des Mitarbeiters zur Führungskraft alter Schule - Unternehmen rutschen zurück in alte Muster. Fühlt man sich als Führungskraft da gespalten?
Calaminus: Absolut. Wir sprechen mit vielen Führungskräften, die sich genau in diesem Spannungsfeld befinden. Die Kernfragen in der Führung sind zwar immer dieselben, doch die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Führungskräfte fragen sich:
Wie motiviere ich meine Mitarbeiter trotz unrealistischer Zielvorgaben und Arbeitsverdichtung? Wie kann ich mit meinem Team erfolgreich sein, auch auf Distanz? Wie setze ich die richtigen Prioritäten in der Vielfalt der Transformationsziele? Was kann ich zur Gesunderhaltung meiner Teammitglieder beitragen? Wie gebe ich Freiraum, wenn ich selbst in einem stark hierarchischen Umfeld agieren muss?
Wie sieht der Idealfall aus, wenn ich eine Hochleistungskultur schaffen will, meine hochqualifizierten Mitarbeiter einbinden und verhindern möchte, dass sie abwandern?
Detert: Die erste Antwort ist klar: Nicht mit rückwärtsgewandtem Führungsverständnis und Mikromanagement. Gerade hochqualifizierte und erfahrene Mitarbeitende brauchen Entscheidungsspielraum. Es braucht einen klar definierten Rahmen, in dem sie eigenständig wirken können. Gleichzeitig können wir Menschen nicht von außen motivieren, aber wir können verhindern, dass sie demotiviert werden.
Es braucht also ein transparentes und verbindliches Performance-Setting für alle. Ein Unternehmen kann nicht sagen: „Der eine ist hochmotiviert, also macht er mehr, der andere weniger motiviert, also macht er weniger.“ Es muss klare Erwartungen geben, gleichzeitig aber auch Raum für individuelle Motive und Bedürfnisse.
Mikromanagement scheint wieder häufiger zu werden. Wie kann man Führungskräfte davon abhalten?
Calaminus: Das erste ist Reflexion. Es geht darum, Bewusstsein dafür zu schaffen, was man tut und welche Auswirkungen das hat. Mikromanagement kann in bestimmten Situationen notwendig sein, zum Beispiel, wenn Mitarbeitende wiederholt Ziele nicht erreichen. Was wir aber aktuell beobachten, ist eine pauschale Hinwendung zu Mikromanagement als generelle Reaktion auf wirtschaftliche Unsicherheit. Das ist gefährlich.
Wie können Unternehmen Mitarbeiter generell resilienter machen? Die „Großwetterlage“ ist ja gesamtgesellschaftlich wie auch beruflich nicht für jedermann rosig.
Detert: Unternehmen können Resilienz nicht direkt „machen“, aber sie können Rahmenbedingungen schaffen, die Resilienz fördern. Das beginnt mit einer resilienzfördernden Führung: Vorbild sein, inspirieren, Partizipation ermöglichen und Vertrauen in die Mitarbeitenden haben. Transformationale Führung unterstützt dies, während ein rückwärtsgewandtes Mikromanagement die Resilienz eher untergräbt.
Trends in der Personalentwicklung: Welche Entwicklungen beobachten Sie?
Calaminus: Unternehmen investieren gezielt in maßgeschneiderte Führungskräfteentwicklung. Gleichzeitig beobachten wir eine verstärkte Nutzung digitaler Selbstlernangebote. Allerdings funktionieren diese nicht für alle Mitarbeitertypen gleich gut. Ein weiterer Trend ist die vermehrte Nutzung von OKR-Methoden (Objective Key Results), um Unternehmensziele in kürzere Reflexionszyklen zu brechen und so schneller Anpassungen vorzunehmen.
Unternehmenskultur als Wirtschaftsfaktor – sehen Sie hier ein Umdenken in Unternehmen?
Detert: Ja, immer mehr Unternehmen erkennen, dass Unternehmenskultur direkt auf wirtschaftlichen Erfolg einzahlt. Eine stimmige Kultur unterstützt Strategieumsetzung und Zielerreichung, während eine dysfunktionale Kultur Fortschritte blockieren kann. Die bewusste Steuerung und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur ist daher ein immer wichtigeres Thema.