Während die Industrie mit einer anhaltenden Flaute und Menschen um ihre Arbeitsplätze kämpfen, rollt der demographische Wandel heran. Er droht die Energiewende massiv auszubremsen. In einem Pressegespräch des Experten-Netzwerks Kopernikus wurden die Herausforderungen deutlich.
Die Konjunktur schwächelt: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) meldet steigende Arbeitslosigkeit, auch in hochqualifizierten Berufen wie dem Ingenieurwesen. Mit einer Kapazitätsauslastung von nur 78 Prozent sieht die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e.V. den niedrigsten Stand seit 14 Jahren. Die Folgen sind spürbar: Beschäftigungszahlen sinken, vor allem in Schlüsselbranchen wie der Herstellung elektrischer Ausrüstungen (-5,8 Prozent).
Trotz der angespannten Marktlage betonen Experten des Netzwerkes Kopernikus, dass die Energiewende ohne Personalaufstockung nicht gelingen kann. Der Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien erfordert mehr Fachkräfte – nicht weniger. Engpässe könnten den Ausbau erneuerbarer Energien und die Modernisierung der Energieinfrastruktur erheblich verzögern.
Ein zentraler Treiber des Mangels ist der demografische Wandel. Svea Krukenberg vom Netzbetreiber swb AG rechnet vor, dass 70 Prozent der Beschäftigten in der Energiewirtschaft innerhalb der nächsten 15 Jahre in den Ruhestand gehen. Der Verlust jahrzehntelangen Know-hows ist alarmierend und muss kompensiert werden: »Lange Betriebszugehörigkeiten, hoher Wissenstand - das muss ersetzt und das Wissen weiter nutzbar gemacht werden«, erklärt Krukenberg.
Auch im Mittelstand. Dennis Bauer vom Kopernicus-Projekt SynErgie betreibt als Managing Director Energieanlagen und Wärmelösungen für die mittelständische Alois Müller Group. Die ausreichende Versorgung mit Fachkräften aus dem Handwerk und hochqualifizierten Ingenieuren sei eine »ganz, ganz große Herausforderung«, sagt er. Gerade im Bereich Wärmewende. »Die Elektrifizierung der Wärme stellt auch ganz neue Herausforderungen an die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte«. Und während man erfreulicherweise bei den Ausbildungszahlen Zuwächse sehe, gehe es bei den Ingenieursstudiengängen leider nach unten. »Fridays for Future hat hier bislang leider nicht zu einem steigenden Interesse geführt«, so Bauer.
Ohne zusätzlichen Personalaufbau werde der Umbau der Energieversorgung mit Blick auf Energie- und Wärmewende und damit der Ausstieg aus den fossilen Energien in Deutschland nicht gelingen, so Krukenberg. Der Fachkräftemangel beschäftige Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber jeden Tag.
»Wir merken nicht, dass irgendwo freigesetzte Fachkräfte zu uns kommen« verneint Svea Krukenberg. Dennis Bauer merkt immerhin ein zunehmendes Interesse in Form von Quereinsteigern - mit entsprechendem Umschulungsaufwand.
Sebastian Herkel vom Kopernikus-Projekt Ariadne und Bereichsleiter am Fraunhofer ISE bezeichnet »komplett neue« Fort- und Weiterbildung in einem fortgeschrittenen Arbeitsalter noch aus einem anderen Grund als große Herausforderung: »Das sind unsere Botschafter und Fürsprecher nach draußen – Stichwort Wärmepumpe. Die müssen wir mitnehmen!«. Herkel nennt einen Fachkräftemehrbedarf in Sanitäts- und Heizungshandwerk von 60.000 für den Umbau der Energieträger in Deutschland. Produktivitätssteigerungen sind möglich und nötig, etwa bei der Wärmepumpeninstallation. Prozesse seien hier noch nicht standardisiert, erklärt Herkel: »Digitale Hilfmittel statt Zettelwirtschaft – hier ist Potenzial«.
In der IT fehlen vor allem Experten, die Backend-Infrastrukturen betreuen oder für die WAN-Anbindung sorgen. Die Arbeitslosen-Stellen-Relation liegt hier bei 1,3 und damit weit unter dem Schwellenwert von 4:1. In niedrigeren Qualifikationsniveaus sind die Engpässe weniger stark ausgeprägt.
Die Lage in der Elektrotechnik ist noch angespannter. Fachkräfte für die Installation und Wartung sind ebenso rar wie Spezialisten und Experten (Verhältnis von nur 0,9).
Doch auch wenn von einem weiter ansteigenden Automatisierungsgrad im Energiesektor ausgegangen werden kann – gänzlich kompensieren könne Digitalisierung den Verlust an Arbeitskräften nicht, erklärt Stefan Niessen, Leiter des Technologiefelds Nachhaltige Energie und Infrastruktur in der Konzernforschung von Siemens. Im Gegenteil wird von einem weiter steigenden Bedarf an Fachkräften ausgegangen. Herkel: »Wir brauchen auf jeden Fall mehr!«
Um den Mangel zu bekämpfen, sollten Unternehmen verstärkt auf Aus- und Weiterbildung sowie auf den Einsatz von Automatisierungstechnologien setzen. Auch die Rekrutierung internationaler Fachkräfte wird wichtiger, bleibt jedoch durch bürokratische Hürden noch erschwert.
Bauer verzeichnet zwar seit einigen Jahren eine steigende Zahl ausländischer Kräfte in seinem Unternehmen. Aber das ist mit viel Organisation verbunden, etwa indem man ihnen die Unterkunft und regelmäßige Urlaube zuhause sicherstelle. Ausländische Ingenieure sind weiterhin rar: »Wenn, dann waren die schon zum Studium in Deutschland«. Bewerber aus dem Nicht-EU-Ausland haben sie bislang nur wenige, erklärt Svea Krukenberg.
Muss man vielleicht auch unkonventionelle Wege wie die 4-Tage-Woche bei gleichem Gehalt versuchen, um als Arbeitgeber attraktiv zu werden? Einer, der dafür wirbt, ist Kay Neumann vom WWF und Referent für P2X-Technologien. »Worklife-Balance ist ein guter Hebel. Wir wissen aus Studien, dass dabei die Produktivität nicht sinkt. Gleichzeitig sparen wir CO2 und verursachen weniger Verkehr. Wer es umsetzen kann, sollte es mal versuchen.«
Sei nicht auch eine »Prozesszerlegung« denkbar, um das rare Fachpersonal zu entlasten? Muss etwa die Installation von PV-Dachanlagen von A bis Z von der Elektrofachkraft ausgeführt werden oder reicht es beim elektrischen Anschluss?
Dennis Bauer ist skeptisch ob solcher Gedanken und verweist auf Arbeitssicherheit und Qualifikationsanforderungen. Aber klar, »Prozesse muss man beleuchten und halbautomatische oder gar komplettautomatische Unterstützung sowie Möglichkeiten für angelernte Kräfte prüfen. Aber der Bedarf an Gelernten wird bleiben!«, dämpft Bauer die Hoffnung.