Ein Strategiepapier der Gründerplattform Bits & Pretzels und McKinsey will Wege zu technologischer Unabhängigkeit aufzeigen. Durch einen strategischen Kurswechsel soll Europa bei Schlüsseltechnologien nicht länger von anderen Regionen abhängig sein. Was wird gefordert?
Die im Oktober 2025 veröffentlichte Analyse "Connecting Europe" versteht sich als Aufruf zu konsequentem Handeln. Herausgeber ist die Plattform Bits & Pretzels, bekannt für das gleichnamige Start-up-Festival, mit Unterstützung durch McKinsey als Wissenspartner.
Der Bericht richtet sich an politische Entscheidungsträger, Investoren, Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Europa. Ziel ist es, die wissenschaftlichen und technologischen Stärken Europas in wirtschaftliche Souveränität zu überführen.
Europa verfüge über ein starkes Fundament in der Wissenschaft, so die Autoren: Weltweit führende Forschungseinrichtungen, hochqualifizierte Talente und eine wachsende Zahl an akademischen Ausgründungen bilden das Rückgrat der europäischen Deep-Tech-Landschaft. Vor allem in Bereichen wie Quantentechnologie, Robotik und Künstlicher Intelligenz ist Europa international wettbewerbsfähig.
Trotz dieser Stärken gelinge es bisher zu selten, wissenschaftliche Durchbrüche in wirtschaftliche Erfolge zu überführen. Gerade bei der Skalierung fehlten oft die nötigen Strukturen und Finanzmittel – mit der Folge, dass viele Deep-Tech-Unternehmen außerhalb Europas wachsen oder dort an die Börse gehen.
Die Strategie beschreibt Deep Tech als Antwort auf die großen Herausforderungen der kommenden Jahre. Technologien wie grüne Wasserstoffsysteme, moderne Chips, autonome Systeme oder Quantencomputer sollen helfen, Abhängigkeiten zu reduzieren, die Energieversorgung abzusichern, industrielle Wertschöpfung zu erhalten und Europas Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Aus Sicht der Studienautoren geht es um mehr als neue Produkte – es geht um Resilienz, Handlungsfähigkeit und wirtschaftliche Perspektiven im globalen Wettbewerb.
Die Potenziale sind erheblich: Bis zu 500.000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen, rund 800 Milliarden US-Dollar an zusätzlichem Eigenkapital könnten laut Analyse mobilisiert werden, wenn Europa die richtigen Rahmenbedingungen schafft.
Trotz steigender Gründungsaktivität und wachsender Investitionen bleibt Deep Tech in Europa bislang eine Nische. Von knapp 200 europäischen Einhörnern im Jahr 2025 entfallen nur 22 auf Deep-Tech-Unternehmen. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der unzureichenden Finanzierung in der Spätphase. Während US-amerikanische Start-ups regelmäßig große Finanzierungsrunden erhalten, liegt Europa hier mit einem Rückstand von rund 90 Prozent deutlich zurück.
Hinzu kommt: Viele europäische Firmen wählen für ihren Börsengang US-amerikanische Handelsplätze. Allein zwischen 2015 und 2023 sind Europa dadurch laut Studie rund 439 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung entgangen – etwa ein Fünftel der aktuellen DAX-Bewertung.
Zudem fließt zu wenig europäisches Kapital in europäische Innovation: Nur 23 Prozent der Venture-Finanzierung stammen aus inländischen Quellen, verglichen mit 63 Prozent in den USA. Besonders deutlich zeigt sich der Unterschied bei Pensionsfonds, die in den USA 20 Prozent des Wagniskapitals stellen, in Europa jedoch nur acht.
Verschiedene Programme sollen gegensteuern. Die EU will mit der „Startup and Scaleup Strategy“ ein einheitlicheres Marktumfeld schaffen, während das EIT mit einer Ausbildungsinitiative bereits eine Million Europäer in Deep-Tech-Kompetenzen qualifiziert hat. Deutschland unterstützt mit der WIN-Initiative bis 2030 rund 12 Milliarden Euro an Wachstums- und Innovationskapital. Frankreich und Schweden gelten laut Studie als Vorreiter, da sie im Verhältnis sogar mehr Venture-Kapital in Deep Tech investieren als die USA.
Die Studienautoren fordern ein entschlosseneres Handeln – vergleichbar mit der Reaktionsgeschwindigkeit während der COVID-19-Krise. Nötig seien schnellere Genehmigungen, einheitliche Standards, großvolumige Fördermechanismen und eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Ohne diese koordinierte Kraftanstrengung droht Europa, bei der nächsten Innovationswelle erneut ins Hintertreffen zu geraten.