Steigende Rüstungsausgaben könnten der deutschen Wirtschaft einen Schub geben und 200.000 neue Jobs schaffen, viele davon für Elektroingenieure. Aber arbeiten beim einstigen »Schmuddelkind«? Kajetan von Mentzingen, Geschäftsführer von Vincorion, bemerkt einen Einstellungswandel bei Bewerbern.
Bis zu 200.000 Jobs könnten entstehen, wenn Deutschland seine Verteidigungsausgaben schuldenfinanziert von 2 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern würde, so eine Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS).
So würden laut IAB-Forscher Enzo Weber höhere Verteidigungsausgaben zwar eine erhebliche Belastung für die deutsche Volkswirtschaft darstellen - aber bei schuldenfinanzierter Aufstockung auch mit einer Steigerung der Wirtschaftsleistung um ein Prozent und bis zu 200.000 neuen Jobs rund um die Verteidigungsindustrie zu rechnen sein.
Weber empfiehlt eine gezielte Förderung der Rüstungsindustrie mit verlässlichen Planungen zu Investitionen und Fachkräftebedarf. »Wenn staatliche Beschaffung ausgeweitet wird, muss das als Chance genutzt werden, um Technologie- und Innovationsförderung zu betreiben. Es geht um den größtmöglichen Schub für die angeschlagene Wirtschaftskraft der Industrie.«
Und um positive Beschäftigungseffekte. Die erwartet Weber jedoch deutlich geringer, wenn die Mehrausgaben durch Steuererhöhungen statt Schulden gedeckt würden. Negative Job-Effekte seien zudem zu erwarten, falls der Staat an anderer Stelle – etwa in Gesundheit, Pflege oder Erziehung – Stellen streichen würde.
Die Diskussion um höhere Rüstungsausgaben wirft auch die Frage auf, wie attraktiv der Militärsektor als Arbeitgeber für Ingenieure und Fachkräfte ist. Arbeiten in der Verteidigungsindustrie bedeutet für viele, an Technologien zu arbeiten, die im militärischen Kontext genutzt werden – eine ethische Gratwanderung für manche.
Für Vincorion, dessen Komponenten in Luftabwehrsystemen, Panzerfahrzeugen und in der Stromerzeugung Anwendung finden, ist die Entwicklung positiv. »Wir befinden uns in einer intensiven Wachstumsphase«, erläutert Nina Römhild, Personalleiterin bei Vincorion. »Allein 2024 ist unsere Belegschaft auf 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen – eine Steigerung um 29 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Für 2025 planen wir weitere Einstellungen an allen drei Standorten in Deutschland und wollen die Zahl der Mitarbeiter um rund acht Prozent ausbauen.«
Gesucht werden Ingenieure für die Entwicklung von Energiesystemen, Fachkräfte für die Leistungselektronik und Spezialisten für Antriebstechnik. »Bisher gelingt uns das recht gut, weil wir ein attraktiver Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie sind, der einen sehr guten Tarifvertrag bietet sowie viele weitere Vorteile, darunter flexible Arbeitszeiten und Betriebssport.« Daneben setzt Vincorion verstärkt auf die Ausbildung eigener Nachwuchskräfte und arbeitet mit Schulen und Hochschulen zusammen.
Der geplante Aufbau der Bundeswehr und die Erhöhung des deutschen NATO-Beitrags wirken sich direkt auf die Personalplanung von Vincorion aus, erklärt CEO Kajetan von Mentzingen: »Am Standort Altenstadt planen wir eine neue Produktionshalle, weil die Nachfrage nach unseren Stromerzeugungsaggregaten deutlich steigt. Das bedeutet einen erheblichen Personalaufbau – wir sprechen hier in den nächsten Jahren von einer Vervielfachung unseres Umsatzes.«
Auch die Standorte Essen und Wedel werden ausgebaut. »In Essen produzieren wir beispielsweise Generatoren, während in Wedel die Produktionsstrukturen neu aufgestellt werden, um der steigenden Nachfrage nach Produkten wie der Rettungswinde ERH Premier gerecht zu werden.«
Neben Neueinstellungen setzt Vincorion auf interne Optimierungen. Man habe umfassende Initiativen angestoßen, um mit der bestehenden Belegschaft effizienter zu werden – »eine Notwendigkeit, da Fachpersonal nicht immer sofort verfügbar ist.«
»Der gesellschaftliche Wandel in der Wahrnehmung unserer Branche ist bemerkenswert«, so von Mentzingen. »Eine aktuelle Studie zeigt, dass 82 Prozent der Befragten die Bedeutung der Verteidigungsindustrie positiv sehen. Diese veränderte Einstellung spüren wir auch bei der Personalgewinnung. Unsere Vision ist, dass jeder Mensch ein sicheres Leben verdient. Unsere Produkte sichern und schützen.«
Die technologischen Herausforderungen sind offenbar für viele Ingenieure ein Anziehungspunkt: „Wir entwickeln hochmoderne Systeme, die signifikante Leistungssteigerungen ermöglichen – eine Vielfalt an Hightech-Entwicklungen, die Fachkräfte anzieht, die sowohl zur Sicherheit Europas beitragen als auch an der Spitze der technologischen Entwicklung arbeiten wollen«, so von Mentzingen.
Was müssen Bewerber mitbringen? Die Arbeit in der Verteidigungsindustrie erfordere ein besonderes Bewusstsein für Verantwortung, erklärt Nina Römhild. »Wir suchen Ingenieure und Techniker, die verstehen, dass unsere Systeme unter härtesten Bedingungen zuverlässig funktionieren müssen. Neben fachlicher Expertise legen wir großen Wert auf Präzision und Qualitätsbewusstsein. Für bestimmte Positionen ist eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich, viele Tätigkeiten in Entwicklung und Produktion sind jedoch auch ohne möglich.«