Ein weiteres wichtiges Kriterium: Auf welchen Wegen kommen die Produkte zu den entsprechenden eigenen Werken? Selbstverständlich müssen die Lieferwege unter die Lupe genommen werden, weil sie ebenfalls den unterschiedlichsten Risiken ausgesetzt sind. Bestes Beispiel war der Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010. Er stieß eine Aschewolke aus, die den Flugverkehr über weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas lahmlegte, für diese Weltregion eine ganz neue Erfahrung. Das zeigt: Es sind schon auf dieser Stufe zahlreiche Parameter zu beachten, die in unterschiedlichen Kombinationen unterschiedliche Szenarien bedeuten und ihrerseits wieder unterschiedliche Maßnahmen mit eigenen Folgen nach sich ziehen.
Was zunächst auf der Hand zu liegen scheint, wird schnell vollkommen unübersichtlich – gute Pläne sind also gefragt, die im Notfall schnell und routiniert ablaufen können. Bezieht man noch weitere Risiken ein – politische Konflikte, handelspolitische Entscheidungen, gesetzliche Bestimmungen, ethische Fragen, etwa unter welchen Bedingungen Rohstoffe gewonnen werden, wird schnell klar, dass ein umfangreiches System aufgebaut werden muss, um alle diese Risikofaktoren zu erkennen und zu bewerten; vor allem muss das System ständig aktualisiert werden, weil sich die Bedingungen laufend ändern. Doch das schönste und umfassendste derartige System nützt nichts, wenn es die Mitarbeiter nicht täglich leben.
»Deshalb besteht ein wesentlicher Teil des Business-Continuity-Management darin, die Mitarbeiter kontinuierlich zu schulen und zu trainieren – das ist unser täglich Brot«, so Moritz. Er muss es wissen, denn er hat das System im Jahr 2005 mit aufgebaut. Entstanden war es aus der Sicherheitsabteilung des Unternehmens, die sich im Wesentlichen um personelle und physische Sicherheitsmaßnahmen und den Umweltschutz kümmerte. »Wir hatten bei Infineon aber relativ früh die Notwendigkeit erkannt, die Sicherheitsmaßnahmen auch auf Geschäftsprozesse, insbesondere die Produktion und Lieferkette auszuweiten, um den sich abzeichnenden Kundenanforderungen in diesem Bereich gerecht zu werden. Deshalb war es erforderlich, neue Risikobereiche systematisch zu analysieren«, erinnert sich Moritz.
»Da wurde schnell klar: Für diese Querschnittsaufgabe im Unternehmen musste ein neuer passender Name gefunden werden, der aussagt, worum es geht.« Der Name „Business-Continuity-Management“ bot sich an, weil sich zu diesem Zeitpunkt in den USA mehrere Firmen zu einer „Business-Continuity-Alliance“ zusammen getan hatten. Der erste Schritt war gemacht. Ganz ähnliche Erfahrungen hat Welter gemacht: Auch hier ist das Risikomanagement-Programm direkt am Top-Management aufgehängt. Und auch er betont, wie wichtig es ist, dass die Mitarbeiter ständig geschult werden und in den Prozessen leben.
Fünf Jahre später kam für Moritz die Feuertaufe: als der Eyjafjallajökull ausgebrochen war und eine Aschewolke den Flugverkehr über dem Nordatlantik lahm legte. »Über unser Frühwarnsysten wurde der Ausbruch des Vulkans frühzeitig gemeldet. Unsere Experten haben die Entwicklung analysiert und die drohende Sperrung des Luftraums über Nordeuropa erkannt. Um unsere Kunden dennoch beliefern zu können, haben wir speziell für Infineon ein Flugzeug in Asien gechartert, nach Südeuropa umgeleitet und die Kunden in Europa über Speditionen beliefert«, erinnert er sich. Insgesamt konnte Infineon den Vulkanausbruch überstehen, ohne eine Unterbrechung in der Lieferkette hinnehmen zu müssen.
Auch für Welter war dies ein entscheidendes Ereignis, auf das TSC jetzt vorbereitet ist: »Wir haben für solche Fälle alternative Logistikprogramme wie unterschiedliche Fertigungsstandorte oder auch eine Die-Bank aufgebaut und können genau aufzeigen, was zu tun ist, falls es in der Lieferkette zu unvorhersehbaren Störungen kommt.«