Nach Brand in Fab von AKM

»Es herrscht das blanke Entsetzen!«

16. Dezember 2020, 9:25 Uhr | Heinz Arnold
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Hermann Reiter, Digy-Key: »Die Brandkatastrophe hat dramatische Auswirkungen, das wird uns noch einige Zeit begleiten.«
© Digi-Key

Der Worst Case ist eingetreten: Eine IC-Fab der japanischen Firma Asahi Kasei Microsystems (AKM) ist abgebrannt. Das ist für viele Marktsektoren schmerzlich.

Denn AKM ist Weltmarktführer im Bereich der Audiochips (ADCs und DACs), die in eine Vielfalt unterschiedlicher Geräte vom Infotainment im Auto über Kopfhörer, HiFi-Anlagen und Desktops bis hin zu professionellen Studioausstattungen wandern.
Schlimm sieht es auch auf dem Sektor der temperaturkompensierten Quarzoszillatoren (TCXOs) aus, denn fast alle diese auf dem Markt erhältlichen TCXOs sind auf die ICs von AKM angewiesen: Der Marktanteil des Unternehmens dürfte zwischen 80 und 90 Prozent liegen.

TCXOs könnten also knapp werden. Das betrifft viele Märkte von der Industrie im Allgemeinen über die Daten- und Telekommunikation bis zu Navigationssystemen, wie sie in großen Stückzahlen im Auto Einsatz finden. Weltweit dürften derzeit rund 120 Mio. TCXOs pro Monat produziert werden.

»Unter den Herstellern von TCXOs herrscht das blanke Entsetzen«, erklärte Christian Dunger, Vorstand der WDI AG, im Gespräch mit Markt&Technik. Allerdings: Es seien nicht die klassischen (Schwing-)Quarze und auch nicht die Standardoszillatoren betroffen, sondern eben nur die Gruppe der TCXOs. »Wir bekommen bis zu 40 Anfragen pro Tag von besorgten Anwendern von Standardprodukten und können zumeist beruhigen; es herrscht derzeit eine starke Verwirrung im Markt«, so Dunger.
Gerade weil in Deutschland Anwender sitzen, die die TCXOs nur in vergleichsweise kleinen Stückzahlen einsetzen, dürften sie es besonders schwer haben, überhaupt noch an Ware heranzukommen. Bevorzugt werden die Systemhersteller bedient, die Millionen Stück pro Monat abnehmen und zumeist in Asien sitzen.

»Die Brandkatastrophe hat dramatische Auswirkungen, das wird uns noch einige Zeit begleiten«, sagt Hermann Reiter, Sales Director Central and Eastern Europe von Digy-Key. Nach seinen Beobachtungen versuchen die Anwender schon auf andere Technologien auszuweichen, die zwar zu etwas ungenaueren Ergebnissen führen, »aber jetzt müssen gewisse Kompromisse eingegangen werden«..

Auch Ulrich Vogel, Geschäftsführer von Electronic Direct, spricht von vielen Redesigns, die bereits angelaufen seien. Die Situation sei insgesamt noch schlimmer, als die Knappheit im Bereich der MLCCs gewesen ist.
Stark betroffen ist auch die gesamte professionelle Audiobranche, denn in der Fab in Nobeoka City hat AKM sehr spezifische Chips gefertigt, die nicht ohne weiteres in anderen Fabs hergestellt werden können – auch nicht in den weiteren vier Fabs, die AKM in Japan betreibt. So setzt AKM beispielsweise für die Fertigung der Audio-A/D- und D/A-Wandler Laser-Trimmer ein, die speziell angepasst sind. Sie sind nun Opfer des Brands geworden und können nicht einfach irgendwo nachgekauft werden.

Laut John La Grou, CEO von Audio-Gerätehersteller Millennia Media, handele es sich bei dem Brand um das verheerendste Ereignis, das er in seiner vierzigjährigen Industrieerfahrung erlebt habe. Nach seinen Beobachtungen seien ICs von AKM, die bisher 5 Dollar kosteten, bereits für 110 Dollar angeboten worden.

Unter den Herstellern von TCXOs produziert nur Epson die ICs für die TCXOs im eigenen Hause. Deshalb sei Epson – abgesehen von wenigen Produktlinien – vom Brand bei AKM nicht betroffen, wie Stefan Hartmann, Department Manager von Epson Europe Electronics, gegenüber Markt&Technik erklärte: »Wir werden jetzt von Anfragen überrannt, arbeiten aber schon unter Vollauslastung, sonst wäre die Fertigung der TCXOs wirtschaftlich gar nicht sinnvoll. Wir können die Produktion also nicht sofort hochfahren.« Vorrangig müssten die Bestandskunden weiter versorgt werden. Außerdem macht er darauf aufmerksam, dass auch in bestimmten Standardoszillatoren Chips von AKM Einsatz finden. Es könnten also in einigen Bereichen für Standardoszillatoren ebenfalls knapp werden, wobei hier die Lage sicher deutlich weniger dramatisch als bei TCXOs sein dürfte.

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Christian Dunger, WDI: »Wir bekommen bis zu 40 Anfragen pro Tag von besorgten Anwendern von Standardprodukten und können zumeist beruhigen; es herrscht derzeit eine starke Verwirrung im Markt.«
© WDI

Abhängigkeit trotz Second-Sourcing

Der verheerende Großbrand in der Fab von AKM zeigt, dass trotz Second-Source-Strategien versteckte Abhängigkeiten bestehen. Viele Anwender von TCXOs haben sich hierzulande in Sicherheit gewiegt, weil sie vermeintlich Komponenten verschiedener Hersteller eingekauft haben. Jetzt wird offenbar, dass es sich tatsächlich um Handelsware handelte. Die TCXOs wurden nur mit verschiedenen Labels versehen. Dahinter stecken einige wenige echte TCXO-Hersteller – die die ICs auch noch zum allergrößten Teil von AKM bezogen haben.

Alternative ICs sind derzeit wegen der Dominanz von AKM kaum und nur mit Lieferzeiten erhältlich – und selbst wenn: »Dann müsste das Design der TCXOs geändert werden. Das kann leicht ein halbes Jahr dauern«, sagt Christian Dunger.
Deshalb bestellen die Anwender jetzt so viel TCXOs wie nur möglich, um sich einen Vorrat auf Lager zu legen. Die Folge: Es herrscht bereits Allokation, die TCXO-Hersteller – zu den Größten zählen NDK, KDS und die taiwanische TXC – nehmen schon keine neuen Aufträge mehr an. »Die Lieferkette ist maximal gestört«, so Dunger. »Die Lieferzeit für TCXOs könnte schnell auf ein Dreivierteljahr und mehr klettern.«

Bekannt ist AKM vor allem für seine Audio-D/A- und A/D-Wandler. »Praktisch jeder, der professionelle Audio-Geräte herstellt, ist betroffen«, erklärt Sascha Flocken, Vice President Communications der deutschen SPL electronics, Hersteller von HiFi-Geräten und Studio-Ausrüstungen. Denn die Chips von AKM gehörten zu den besten, die in diesem Sektor auf dem Markt verfügbar sind bzw. waren. Wenn diese ICs erst einmal in die Geräte eindesignt sind, dann ließen sie sich nicht einfach gegen andere austauschen. Es könne Monate dauern, bis die ICs anderer Hersteller in die Geräte eingebaut werden könnten.

Jetzt sitzen viele Hersteller von High-End-Audio-Geräten auf dem Trockenen. »Die Preise, die Broker für Chips von AKM verlangen, explodieren derzeit«, so Sascha Flocken. Für die deutsche SPL electronics stelle sich die Situation allerdings noch relativ entspannt dar. Denn erstens hat sich das Unternehmen hauptsächlich auf analoge Audiogeräte fokussiert, in denen die ICs von AKM nicht gebraucht werden. Zweitens hätte SPL electronics schon immer auf einen relativ hohen Lagerbestand geachtet. »Wir gehen davon aus, dass wir mit unseren Lagerbeständen gut über das Jahr 2021 kommen und dass AKM in 12 bis 14 Monaten wieder produzieren kann«, so Flocken.

»Wie viele andere Pro-Audio-Hersteller nutzt auch Sennheiser Chips des Marktführers AKM in seinen Pro-Audio- und Business-Communication-Produkten. Wir sind in engem Austausch mit Asahi Kasei Microsystems und stimmen kontinuierlich die lieferbaren Mengen für die kommenden Monaten ab«, erklärte Sennheiser auf eine Anfrage von Markt&Technik. Daneben prüfe das Unternehmen den Einsatz von Chips anderer Hersteller. Bis Mitte nächsten Jahres erwartet Sennheiser keinerlei Lieferprobleme.

Atlantik Elektronik, der größte Distributor von AKM in Europa, befindet sich laut Geschäftsführer Ottmar Flach in engem Kontakt mit AKM, zu der seit über zehn Jahren eine enge Partnerschaft besteht: »Wir führen eine Analyse der Situation durch, suchen nach Lösungen und sorgen dafür, dass die Kunden weiter bedient werden können.« AKM selber habe Vorräte, Atlantik habe ebenfalls ICs von AKM – unter anderem auftragsbezogen – auf Lager. »Das ist Teil unserer 12- und 24-monatigen Verträge.« Es herrsche eine starke Loyalität zwischen den Partnern. Zu Preiserhöhungen werde es bei bestehenden Aufträgen nicht kommen.


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