Seit 45 Jahren besteht das Familienunternehmen hema electronic aus Aalen – ein guter Grund, um zurück, aber auch nach vorne zu blicken. Geschäftsführer Oliver Helzle erklärt die Unternehmensgeschichte, stellt sich aktuellen Themen und formuliert eine ambitionierte Vision.
Markt&Technik: Herr Helzle, welche Meilensteine kommen Ihnen zum 45-jährigen Firmenjubiläum zuerst in den Sinn?
Oliver Helzle: Meine Eltern gründeten hema electronic 1978 im Keller unseres Wohnhauses. Nach ersten erfolgreichen Projekten, zum Beispiel dem Entwickeln batteriegespeister Fahrradrücklichter für Varta, zog hema in angemietete Räume um. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass zu dieser Zeit Elektronik-Themen immer für Gesprächsstoff zu Hause sorgten und wir bereits sehr früh Computer besaßen – das war für meine Brüder und mich sehr cool. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war der Umzug in das eigene Gebäude im Industriegebiet in Aalen im Jahr 1986, das bereits auf Nachhaltigkeit ausgerichtet war, was uns bis heute zugutekommt.
Für mich persönlich gab es zwei große Meilensteine: Ich entschied mich nach dem Abitur für das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und 2004, in das Unternehmen einzusteigen. Zunächst habe ich Projekte übernommen, die Fertigung geleitet und mich in verschiedene Aufgabengebiete eingearbeitet.
Wie hat sich hema seit den Anfängen weiterentwickelt – welche Schritte waren in Ihren Augen die Wichtigsten?
Ganz wichtig waren von Beginn an unsere guten und engen Beziehungen zu unterschiedlichen Kunden, die es teilweise heute noch gibt. Außerdem haben wir es geschafft, uns mit innovativen Themen zu verbinden – zum Beispiel hat sich mein Vater sehr früh mit Supercomputern beschäftigt, sogenannten Transputern. Leider hat die Technologie nicht überlebt. Wir haben außerdem sehr früh mit Daimler im Bereich der High-Dynamic-Range-Kameras – heute ein Serienprodukt – zusammengearbeitet. Ab 1991 hat sich hema auf digitale Signalprozessoren (DSPs) spezialisiert, das bedeutete einen weiteren Technologieschub. 2016 folgte schließlich der Umstieg auf Field-Programmable Gate-Arrays (FPGAs), der uns beim Thema Embedded Vision deutlich weitergebracht hat.
Wie entstand der Fokus auf Embedded Vision, genauer auf Elektroniken hierfür?
Der Fokus entstand im Zuge von Kundenapplikationen in der industriellen Bildverarbeitung Ende der 90er-Jahre; vor 2007 hatten wir im Haus sogar eine eigene Abteilung hierfür. Damals begannen wir mit der Entwicklung zum Beispiel sogenannter Frame-Grabber, also Videoverarbeitungsplatinen mit damals relevanten Prozessoren. Ein Fokus des Unternehmens war immer schon die Signalverarbeitung, zunächst analog, später digital. Hier begannen wir mit DSPs von Texas Instruments, später setzten wir auf FPGAs von Lattice Semiconductros und Xilinx, inzwischen entwickeln wir ausschließlich mit Xilinx-FPGAs. Unser Schwerpunkt liegt jedoch immer bei Elektroniken für Embedded Vision und nicht allgemein bei der digitalen Signalverarbeitung.
Welche Trends sehen Sie bei Embedded Vision für die nächsten fünf Jahre?
Weiterhin spielen Megapixel und Geschwindigkeit der Kameras eine wesentliche Rolle am Markt. Bei der Signalverarbeitung sehe ich den Trend hin zur künstlichen Intelligenz (KI) – jedoch muss man zwischen Hard- und Software unterscheiden. Bei der Hardware gibt es zunehmend Konkurrenz zu FPGAs durch dedizierte KI-Chips, zum Beispiel von Nvidia oder Hailo. Hier ist es spannend zu beobachten, welche Rolle FPGAs einnehmen werden und welche GPUs, also Grafikprozessoren, oder gar eine Mischung daraus. KI-Datenverarbeitung ist eine ideale Ergänzung für Embedded Vision.
Hardwareseitige KI-Beschleunigung öffnet außerdem Türen im Software-Bereich durch die hohe und speziell auf diese Algorithmen angepasste Rechenleistung. Wächst die Software um 20 bis 40 Prozent, muss die Hardware um 10 oder 20 Prozent wachsen. Die Beflügelung der Software, der KI-Algorithmen, zieht Hardware nach sich. Xilinx bringt beispielsweise jedes Jahr neue Chips heraus, mit einem Leistungszuwachs von 10 bis 20 Prozent; packe ich einen KI-Chip dazu, sind sogar 30, 40 oder 50 Prozent mehr Leistung für die Applikation möglich.
Worin sehen Sie den Wert eines Unternehmens und wie schaffen Sie es, mit hema wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Unter dem Strich muss ein Unternehmen Gewinn erwirtschaften, allein deshalb, um Innovation voranzutreiben. Für mich ist es wichtig, die Stabilität des Unternehmens weiterzubringen. Irgendwann hoffe ich, dass jemand mein Unternehmen übernehmen möchte, sei es die eigene Familie oder jemand anderes – und diese Person sollte ein wertvolles, langfristig stabiles Unternehmen erhalten. Meine Motivation liegt nicht im persönlichen Reichtum, sondern darin, ökonomisch und ökologisch nachhaltig zu wirtschaften. Das hilft allen Beteiligten am meisten – unseren Kunden und Mitarbeitenden ebenso wie dem Unternehmen auf langfristige Sicht.
Hema electronic will also weiter wachsen – wie treiben Sie das Wachstum voran?
Wir haben ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufgebaut, das gut funktioniert. Wir planen derzeit, jährlich um 20 oder 30 Prozent zu wachsen, vom derzeitigen Standpunkt aus. Später wird die Zahl sicherlich geringer ausfallen. Wir möchten im Bereich der Embedded-Vision-Elektroniken Marktführer sein, zunächst in Deutschland, später in Europa. Hierfür haben wir unsere Embedded-Vision-Plattform entwickelt. Wir wollen hiermit etwa 20 Projekte im Jahr umsetzen. Wenn ich das durchrechne, benötigen wir ca. 80 bis 100 Mitarbeitende bis 2028.
Für 2023 kann ich bereits jetzt einschätzen, dass wir unser Etappenziel nicht erreichen können. Denn die Aufträge stapeln sich und die Auslieferungen funktionieren nicht in dem Volumen, das nötig ist, weil immer noch einige Bauteile fehlen – das versetzt uns jedoch nicht in Unruhe, und die Situation hat sich schon deutlich verbessert. Wir gehen den Weg für 2028 konkret weiter und arbeiten an unseren strategischen Zielen. So möchten wir ein Innovation Lab mit 20 Entwicklern sowie ein Kundenzentrum für Embedded-Vision-Elektronik aufbauen.
Wachstum bedeutet, man muss immer wieder »frische« Fachkräfte einstellen. In letzter Zeit ist es zunehmend schwer, Facharbeiter, Techniker oder Ingenieure zu finden. Wie geht es Ihnen hierbei?
Bis vor zwei Jahren haben wir uns sehr schwergetan und haben aus der Not heraus und aus Vernunft unser Recruiting aus- und umgebaut. So bieten wir vermehrt Bachelor- und Masterarbeiten an und bauen unsere Kooperation mit Hochschulen aus. Wir haben im letzten halben Jahr gezielt Universitäten und Hochschulen in Süddeutschland mit FPGA-Themen im Lehrplan angesprochen, unter anderem die TU München, die Uni Stuttgart sowie die Hochschule Aalen. Wir bekommen sehr viele Bewerbungen von Absolventen, haben erst kürzlich drei Berufseinsteiger eingestellt. Wir benötigen jedoch eine gute Mischung im Team, damit es sich bereichern kann, also neben Einsteigern auch erfahrene Mitarbeiter. Darauf achten wir bei der Einstellung – und darauf, dass die Menschen zu uns passen. Im Zweifel lassen wir Stellen lieber einige Zeit unbesetzt, bis wir wirklich die richtige Mitarbeiterin oder den richtigen Mitarbeiter gefunden haben. Das Prinzip hat sich bewährt, zum Beispiel, als wir vor Kurzem Dr. Tony Albrecht als sehr erfahrenen Entwicklungsleiter für hema gewinnen konnten.
Auf dem Embedded-Markt wird Vieles »von der Stange« verkauft, gerade mit den Computermodulstandards wie COM Express oder SMARC. Wie differenzieren Sie sich am Embedded-Markt?
Embedded kann vieles sein, von der Technologie und der Anwendung aus betrachtet. Wir ziehen die Grenze bei der digitalen Signalverarbeitung und bei Embedded Vision. Im Videobereich konzentrieren wir uns auf Kunden, die sich nicht bei Standard-Komponenten bedienen können und bei denen Komplexität, besondere Anforderungen und auch Kriterien wie Langzeitverfügbarkeit oder Anforderungen an Bauform und Robustheit eine kundenspezifische Entwicklung erforderlich machen. Hiermit heben wir uns von kaufbaren Produkten ab. Gleichzeitig sorgen wir mit Angeboten wie unserem Fastlane-Boardservice zur schnellen und seriennahen Prototypenentwicklung dafür, dass auch kundenspezifische Elektroniken in kurzer Zeit und zu überschaubaren Entwicklungskosten geliefert werden können.
Wenn wir über Embedded Vision sprechen, sprechen wir auch über KI. Stellt hema fertige KI-Applikationen bereit?
Komplette KI-Systeme entwickeln wir nicht. Ich sehe drei Ebenen bei diesen Systemen: Unten steht die Hardware, also ein Mainboard, ein FPGA oder eine Prozessorkarte. Anschließend kommt die Ebene Treiber, Board-Support-Package oder Betriebssystem, und ganz oben steht die Applikation. Wir stellen die Hardware bereit, oft noch die mittlere Ebene, jedoch nicht die Applikation. Unsere Kunden kommen zum Beispiel aus der Medizintechnik, arbeiten mit Geräten für Augenoperationen. Für diese Anwendungen liegt das Know-how auf Seite der Kunden oder bei anderen Branchenspezialisten, die entsprechende intelligente Algorithmen entwickeln. Wir konzentrieren uns auf Hardware und hardwarenahe Software als unsere Kernkompetenz. Weil die Schnittstellen manchmal fließend sind, müssen wir natürlich verstehen, wie Algorithmen funktionieren, um die Hardware entsprechend entwickeln zu können.
Viel wird in der Öffentlichkeit derzeit über Nachhaltigkeit diskutiert. Wie gehen Sie dieses komplexe Thema an? Wo sehen Sie Hebel, um nachhaltig zu agieren?
Den größten Hebel sehe ich darin, die Produkte so lange wie möglich einzusetzen, denn die Herstellungsprozesse verschlingen meist die größten Ressourcen. Ein großes Thema ist außerdem das Recycling. Solange alte Bauteile in der ganzen Welt verschifft werden, um sie irgendwo zu entsorgen, ist das nicht nachhaltig. Hier gibt es noch großes Potenzial. Unsere Bauteile sind Teil großer Anlagen, so haben wir wenig Einfluss auf das Recycling; wir machen uns dennoch Gedanken, was wir hier im Rahmen der Entwicklung beitragen können. Zudem reparieren wir Bauteile, die uns Kunden zuschicken. Oft ist es einfacher, einzelne Bauteile zu reparieren und nicht das komplette System oder die komplette Anlage zu erneuern.
Ein weiterer Hebel ist unsere modulare Strategie. Damit muss der Kunde nicht das komplette System austauschen, sondern lediglich gewisse Teile, sollte es tatsächlich einmal zu einem Defekt kommen oder wenn eine neue Funktion integriert werden soll. Wir bieten Austauschbarkeit sowie Updatefähigkeit in der Hard- und Software. Mit schlauer Produktentwicklung können wir den größten Hebel erzeugen. Klar muss ich das Gerät am Ende einsammeln, recyclen und verwerten, aber das gilt für jede Elektronik. Bringe ich weniger in Umlauf und nutze ich die Systeme länger, muss ich weniger recyclen.
Können Sie einen Ausblick geben – wo sehen Sie hema zum 50-jährigen Jubiläum?
Wir haben gemeinsam mit den Mitarbeitern für 2028 eine Vision erarbeitet. Hema hat dann eine Größe von etwa 100 Mitarbeitern erreicht und wir sind der führende Experte für Embedded-Vision-Elektroniken. Mit unserem modularen Konzept wollen wir Marktführer in Europa sein. Wir wollen zudem für unsere Kunden ein wertvolles Unternehmen sein, wollen die nötige Performance liefern. Hierzu gehört, die richtige Strategie, die richtigen Prozesse sowie die Digitalisierung voranzutreiben.
Wir wollen dem Kunden noch bessere Leistungen, verkürzte Entwicklungszeiten und höherwertige Systeme liefern. Wir möchten Prozesse und Strukturen aufbauen, um das Geschäftsmodell von Entwicklung, Fertigung und Product-Life-Cycle-Betreuung optimal auszufüllen. Das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten. Außerdem haben wir mit den »hema visioneers« ein neues Leitbild geschaffen und wollen ein gutes Miteinander bieten. Unsere Mitarbeitenden sollen gerne ins Unternehmen kommen, ebenso wie unsere Kunden. Unsere Vision beinhaltet zudem, auch unsere Kunden zu Weltmarktführern in ihren Bereichen zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Helzle.