Eine strategisch zentrale Aufgabe

Obsoleszenzmanagement ist Investition, kein Kostenfaktor!

28. Oktober 2025, 8:00 Uhr | Von Mike Pepping
© Rheinmetall

Obsoleszenzmanagement kostet Geld – doch jede vermiedene Ad-hoc-Beschaffung und jedes eingesparte Redesign zahlt sich mehrfach aus. Damit wird es ausschlaggebend für den Erfolg. Obsoleszenz lässt sich zwar nicht abschaffen – es kommt aber darauf an, möglichst gut vorbereitet zu sein.

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Rheinmetall Air Defence AG mit Sitz in Zürich ist ein weltweit führender Anbieter von mobilen Flugabwehrsystemen sowie Kanonen- und Lenkwaffentechnik zum Schutz vor Bedrohungen im Nah- und Nächstbereich.

In einem Umfeld, in dem hochkomplexe Luftverteidigungssysteme über Jahrzehnte einsatzfähig bleiben müssen, ist das Management von Bauteil- und Software-Obsoleszenz eine strategisch zentrale Aufgabe. Obsoleszenz gehört allerdings zu jenen Themen, die Unternehmen meistens erst dann ernst nehmen, wenn es zu spät ist. Komponenten, Bauteile und Software sind plötzlich nicht mehr verfügbar, Lieferanten/Hersteller kündigen ihre Produkte ab, Kunden stehen mit offenen Anforderungen da, und die Technikabteilung improvisiert im Krisenmodus. In solchen Situationen braucht es eine strukturierte Analyse, wie oft Obsoleszenz-Fälle auftreten und welche Auswirkungen sie mittel- und langfristig haben. Das leistet ein professionelles Obsoleszenzmanagement. Es vereint reaktive Maßnahmen mit proaktiven Strategien und schafft die Grundlage für nachhaltige Entscheidungen.

Der Einstieg ins Obsoleszenzmanagement

Im ersten Schritt hat sich Rheinmetall strukturiert und umfassend mit den Prozessen im Unternehmen auseinandergesetzt. Ziel war es, ein klares Bild der aktuellen Abläufe zu gewinnen und auf dieser Basis mögliche Weiterentwicklungen gezielt anzugehen. Dazu wurden sämtliche vorhandenen Prozessdokumente zusammengetragen, analysiert und im Detail ausgewertet.

Gleichzeitig wurden verschiedene Fachbereiche, insbesondere der Einkauf und das Engineering, aktiv in die Analyse eingebunden, um ein möglichst vollständiges Bild der Prozessrealität aus unterschiedlichen Perspektiven zu erhalten. Im Rahmen dieser Betrachtung zeigte sich, dass der bisherige Umgang mit Obsoleszenz-Themen stark auf eine reaktive Fallbearbeitung ausgerichtet war. Abkündigungen führten direkt zu Änderungsanträgen im Konfigurationsmanagement. Ein vorgelagerter, eigenständiger Obsoleszenz-Prozess war zum damaligen Zeitpunkt nicht etabliert. Diese Erkenntnisse lieferten wertvolle Ansatzpunkte für die gezielte Weiterentwicklung der Prozesse. Sie machten deutlich, wo Optimierungspotenzial besteht, zum Beispiel durch klar definierte Abläufe, eine proaktive Denkweise und bereichsübergreifende Abstimmung. Als erste Optimierung hat Rheinmetall ein Obsoleszenzmanagement-Board gegründet, ein interdisziplinäres Team mit festen Ansprechpartnern und eindeutigen Verantwortlichkeiten. Dieses Gremium wurde das Rückgrat des neuen reaktiven Obsoleszenzmanagement-Prozesses.

Mike Pepping von Rheinmetall
Mike Pepping ist seit über 18 Jahren in der Rüstungsindustrie tätig, derzeit als Head of In-Service & Digitization im Bereich des Customer Services bei Rheinmetall Air Defence in Zürich. Das Unternehmen gehört zu 100 Prozent zur Rheinmetall AG und beschäftigt am Standort Zürich rund 1100 Mitarbeitende. Sein beruflicher Werdegang führte Mike Pepping über die Konstruktion, die technische Projektleitung und das Obsoleszenzmanagement bis zur heutigen Verantwortung für Instandhaltungs- und Digitalisierungsprojekte. Als zertifizierter Obsolescence Manager (IIOM) und Experte für Prozessaufbau nach IEC 62402 hat er über viele Jahre umfassende Erfahrung im Aufbau und der Einführung von Obsoleszenzmanagement-Strukturen gesammelt, sowohl im reaktiven als auch im proaktiven Bereich.
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Das Unternehmen orientierte sich an der IEC 62402:2019 und entwickelte daraufhin ein strukturiertes Vorgehen:

  • zentrale Erfassung aller Product Change Notice/Product Discontinuance Notice
  • vorgelagerte Prüfung vor jedem Änderungsantrag im Konfigurationsmanagement
  • Abwägung von Optionen wie Last-Time-Buy
  • Ersatz oder Redesign
  • Dokumentation und Kommunikation

Schulungen halfen, nicht nur den Prozess, sondern sich auch als Team innerhalb verschiedener Bereiche zu finden. Das Ergebnis war eine merklich höhere Akzeptanz, insbesondere durch reale Fallbeispiele, die zeigten, wie dringend diese Struktur erforderlich war. Doch Excel und Word genügten bald nicht mehr. Die manuelle Fallbearbeitung war fehleranfällig, unübersichtlich und extrem zeitaufwendig. Darum führte Rheinmetall ein dediziertes digitales Obsoleszenzmanagement-Tool ein, mit Falltracking, Fristen, Case-Zuteilung an Fachbereiche sowie Historiensicherung. Die Vorteile waren deutlich: Schnellere Bearbeitung, bessere Transparenz, weniger Informationsverluste, und vor allem sind alle relevanten Informationen zu einem Fall zentral abgelegt und für alle involvierten Mitarbeiter zugänglich. Dennoch blieb das Unternehmen im Reaktionsmodus, viele Risiken traten zu spät zutage.

Der nächste Schritt bestand deshalb darin, einen proaktiven Obsoleszenzmanagement-Ansatz aufzubauen. Dazu wurden permanent und systematisch die Stücklisten analysiert, Bauteile nach Warengruppen, Lebensdauern und Versorgungsrisiken klassifiziert und entsprechend priorisiert. Das ermöglicht, gezielte Maßnahmen wie Last-Time-Buys, Alternativqualifikationen oder Redesigns mit ausreichendem Vorlauf zu definieren. Dieser Ansatz verschafft echte Planungssicherheit, führt zu niedrigeren Kosten, weniger Projektereignissen, verlässlicheren Lieferterminen und zu einer besseren Teileverfügbarkeit. Obsoleszenzmanagement wird als Investition erkannt und nicht als Kostenfaktor.

Die Stolpersteine

Natürlich gibt es auch Stolpersteine. Einer der größten ist die Datenqualität. Unvollständige, veraltete oder inkonsistente Stücklisten, fehlerhafte Stammdaten oder nicht gepflegte Baugruppeninformationen erschweren die Arbeit erheblich. Ohne saubere und vollständige Daten ist es nahezu unmöglich, Risiken zuverlässig zu identifizieren, kritische Komponenten zu priorisieren oder präventive Maßnahmen mit der nötigen Weitsicht zu planen. Das Aufarbeiten dieser Altlasten bindet viel Zeit und Ressourcen und ist eine zentrale Voraussetzung, um überhaupt eine proaktive Strategie umzusetzen.

Auch der Kulturwandel ist alles andere als trivial. Obsoleszenzmanagement wird oft fälschlich als rein technische Disziplin gesehen, als Aufgabe des Engineerings oder der Technik. In Wahrheit ist Obsoleszenzmanagement eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche wie Engineering, Einkauf, Produktion, Konfigurations- und Änderungsmanagement, Qualität und nicht zuletzt den Customer Service betrifft.

Klares Management-Commitment ist unerlässlich

Damit Obsoleszenzmanagement wirksam und nachhaltig funktioniert, braucht es nicht nur technische Kompetenzen, sondern auch klare Verantwortlichkeiten, abgestimmte Schnittstellen, funktionierende Kommunikationswege und ein gemeinsames Verständnis über alle betroffenen Bereiche hinweg. Obsoleszenzmanagement erfordert personelle und fachliche Ressourcen, es genügt nicht, die Aufgabe »nebenbei« abzudecken oder auf Einzelpersonen zu verteilen. Und es braucht ein klares Management-Commitment, um präventive Maßnahmen, Budgets und die nötigen Prozesse zu verankern.

Obsoleszenzmanagement kostet Geld, vor allem zu Beginn. Tools, Schulungen, Analysearbeit und initiale Maßnahmen wie präventive Käufe oder geplante Umstellungen müssen finanziert werden. Doch jede vermiedene Ad-hoc-Beschaffung oder jedes eingesparte Redesign zahlt sich mehrfach aus. Entscheidend ist, dass man nicht versucht, jede Obsoleszenz zu verhindern, sondern sie frühzeitig erkennt, ihre Auswirkungen abschätzt und zielgerichtet handelt. Genau das schafft Planungssicherheit, bremst operative Hektik und stärkt die Resilienz der Systeme.

Proaktives Obsoleszenzmanagement ist entscheidend

Heute ist Obsoleszenzmanagement bei Rheinmetall Air Defence in Zürich fester Bestandteil der technischen und kommerziellen Planung. Es ist kein Störfaktor, sondern gelebter Teil der Systemverantwortung. Der Übergang vom reaktiven zum proaktiven Obsoleszenzmanagement ist anspruchsvoll, aber notwendig und entscheidend, um für die Zukunft gut aufgestellt und vorbereitet zu sein. Obsoleszenz bleibt bestehen. Die Frage ist nur: Wird man davon überrascht oder ist man vorbereitet?


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