Das Independent-Distribution-Unternehmen Unisolution setzt auf Transparenz, Partnerschaft und Prozesse, die über die von Brokern bekannten Feuerwehr-Aktionen weit hinausgehen. Hilfe bei Obsoleszens ist dabei ein wichtiger Aspekt.
Wer an Independent Distribution – gerne auch Broker genannt – denkt, der sieht diese Branche meist mit gemischten Gefühlen. Das Klischee sieht kurz gefasst so aus: In Zeiten von Allokationen nutzen sie die Notsituation der Kunden aus, die händeringend nach Ware suchen, und langen bei den Preisen kräftig zu. Die Corona-Zeit dürfte diesbezüglich vielen noch in schmerzlicher Erinnerung sein. »Selbstverständlich gibt es in der Independent Distribution schwarze Schafe, aber seit Längerem stimmt dieses Klischee nicht mehr, da hat sich viel geändert«, erklärt Mike Sigrist, Geschäftsführer von Unisolution mit Sitz in Hohenbrunn bei München, einem Unternehmen, das er im Jahr 2019 gegründete hat. »Damit wollten wir zeigen, dass es auch vollkommen anders geht, als das alte Klischee suggeriert, dass zeigen wir in unserer täglichen Arbeit. Strategie statt Opportunismus!« Voraussetzung sei, dass die Independent Distribution mit den richtigen Prozessen und Partnern arbeite.
Sigrist muss es wissen, denn er kennt sich in der Independent Distribution bestens aus und kann auf eine lange Erfahrung in dieser Branche zurückblicken.
Das Distributionsgeschäft gelernt hatte er bei Arrow, dann wechselte er zu Future nach London. Im Jahr 2002 stieg er in die Independent Distribution ein, als er mit ACG in Kontakt kam. »Das war zwar damals nicht ganz meine Welt«, gibt Sigrist zu. Denn damals herrschte dort noch das »Wolf of Wallstreet«-Image. »Ich habe mich aber intensiv eingearbeitet. Die Independent Distribution entpuppte sich als dynamisch und vielseitig, das hat mir Spaß gemacht.«
Danach stieß Sigrist zu PacVision und lernte dort eine wichtige Lektion: »Das Unternehmen war nicht nachhaltig genug und vor allem zu stark fremdfinanziert«. Deshalb geriet es im Zuge der Finanzkrise 2009 in eine finanzielle Schieflage, die Insolvenz drohte. Rebound hat es 2010 übernommen. Sigrist blieb an Bord und baute bis 2015 die Sales-Abteilung von Rebound Deutschland auf. Der Erfolg gab ihm bei seinem Weg recht, das Geschäft nachhaltig zu entwickeln. Allerdings herrschten auch hier kulturell zu große Differenzen. Den nächsten Schritt zu machen, war daher nur logisch und konsequent.
Da traf es sich gut, dass im Jahr 2010 Arrow den Independent Distributor Converge gekauft hat. »Arrow kannte ich ja und hatte weiterhin Kontakt. Zudem war ich überzeugt, dass Converge das Franchise-Geschäft von Arrow vorteilhaft ergänzen könne«, erinnert sich Sigrist. Allerdings stellte sich heraus, dass das volatile Geschäft für ein börsennotiertes Unternehmen schwierig ist. »2019 war ich so weit, dass ich mir sagte, am besten machst du dich selbständig! So entstand Unisolution.«
Was ihm bei der Gründung besonders wichtig war: unabhängig zu sein, auch von Banken, sprich, woran PacVison gescheitert war: »Die Finanzierung von Unisolution geschah aus dem laufenden Geschäft, so bestand ein großer Spielraum für mich.«
Die zweite Grundlage ist: zuverlässig und transparent arbeiten, den Kunden zeigen, dass man ihre Probleme versteht und ihnen ernsthaft und kontinuierlich hilft, keinesfalls aber ihre Notlagen auszunutzen. Kurz gesagt: Zeigen, dass die Independent Distribution ihren teilweise schlechten Ruf nicht verdient hat und durchaus in der Lage ist, ein nachhaltiges und ethisch vertretbares Geschäftsmodell aufzubauen, das Kunden hilft.
»Vor allem ist Vertrauen gefragt, das wird über die direkte Kommunikation aufgebaut, das Geschäft lebt – auch im Zeitalter der KI – von den persönlichen Beziehungen. So ist während der zwanzig Jahre, die ich vor der Gründung von Unisolution in der Independent Distribution verbracht habe, ein umfangreiches Netzwerk entstanden. Dass es mir gelungen ist, bei meinen verschiedenen Wechseln meinen Kundenstamm immer mitzunehmen, zeigt ja schon eine Menge«, sagt Sigrist.
Heute könne Unisolution also über sein weltweites Netzwerk zuverlässig in Allokationszeiten liefern. Doch dieses typische Geschäftsmodell, das Brokern immer wieder zugeschrieben wird – in Allokationszeiten wird viel Geld verdient, zu normalen Zeiten wird es schwierig –, sieht Sigrist nicht als einen validen Ausgangspunkt an, um langfristig erfolgreich sein zu können: »Das Allokationsgeschäft ist nicht planbar, darauf kann man keine Strategie und kein auf Nachhaltigkeit ausgelegtes Geschäftsmodell aufbauen – und es berücksichtigt wesentliche Gesichtspunkte überhaupt nicht.«
Viel interessanter ist für ihn, herauszubekommen, warum Kunden immer wieder Schwierigkeiten haben, an die Bauelemente zu kommen, die sie benötigen, und warum sie häufig mit dem umgekehrten Problem zu kämpfen haben: Immer wieder stehen sie vor der Tatsache, dass sie Komponenten in zu hoher Zahl eingekauft haben und auf Überschüssen sitzen.
Auf der einen Seite stehen also Firmen, die bestimmte Bauelemente suchen, auf der anderen Seite Unternehmen, die sie aus irgendwelchen Gründen verkaufen wollen. Genau hier setzt Unisolution an, allerdings nicht mit der klassischen Strategie, die Sigrist so beschreibt: »Die Überbestände werden nur punktuell gekauft, das ist Cherry-Picking und zwar zu einem für den Verkäufer sehr schlechten Preis – oft ist der Preis eine Beleidigung.« Die Verkäufer sähen das zwar, seien aber meist froh, wenigstens einen Teil der Komponenten loszuwerden und noch etwas dafür zu bekommen.
Denn Überbestände seien für alle davon Betroffenen im Grunde nur eine Belastung, um die sie sich eigentlich nicht kümmern wollen und häufig nicht können – denn schon das Personal dafür fehle meist. Genau das sei ein Ansatzpunkt für das Geschäftsmodell von Unisolution: »Es ist ganz einfach in einem Satz erklärt: Wir helfen dort, wo die Routinen des Kunden an Grenzen stoßen. Wir verfolgen das Gegenteil von Cherry-Picking, wir bieten ein durchgängiges Gesamtgeschäft.« Also schließt Unisolution mit Kunden – beispielsweise einem Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche, das sehr viele Bauelemente verarbeitet –, einen langfristigen Vertrag, nach dessen Bestimmungen Unisolution das gesamte Überbestands-Management übernimmt. »Wir erstellen mit den Kunden eine selektive Liste unter dem Gesichtspunkt, welche Typen weltweit vermarktbar sind, und bieten sie global an. Diese Liste wird jedes Quartal aktualisiert. Was geschieht, ist für die Kunden vollkommen transparent. Wir lagern die Bauteile bei uns und verkaufen sie weltweit an Unternehmen, die sie benötigen. Der Kunde wird immer entsprechend an den Verkäufen beteiligt, so partizipiert er auch von den ‚Goldstücken‘.«
Dabei entwickelt Unisolution für jeden Kunden ein spezifisches Paket, das Komponenten selektiert, die abgeschrieben oder weitergeführt werden sollen. In die Entwicklung von Überbestands-Strategien für die Kunden fließe viel Arbeit.
Kunden können diese Problematik an Unisolution auslagern. Hier werden sie nicht in einer Notsituation ausgenutzt, sondern fair behandelt. »Wir agieren sozusagen als Abteilung des Kunden«, erklärt Sigrist. Selbstverständlich käme da alles auf das gegenseitige Vertrauen an. »Schließlich sorgen wir für die Infrastruktur des Kunden, er vertraut sie uns an.«
Das hat sich offenbar herumgesprochen: »Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass wir mit führenden EMS-Unternehmen hierzulande zusammenarbeiten.«
Damit versucht Sigrist, einem Grundübel der zyklischen Elektronikbranche gegenzusteuern: Seine Kunden sollen gar nicht erst in Panik verfallen, sobald die Lieferzeiten anfangen zu steigen. Wie alle in eine solche Situation hineinschlittern, war exemplarisch während der Corona-Zeit zu sehen, die zusätzlich auch noch von vielen weiteren Krisen überlagert wurde. »Es baute sich eine gewaltige Panikstimmung auf – sogar das Toilettenpapier wurde knapp!«, so Sigrist.
In der Elektronikindustrie führte das 2021/22 zu massiven Mehrfachbestellungen. Das Resultat waren übervolle Lager, teilweise sind sie noch auf 12 bis 24 Monate gefüllt. Kein Wunder, dass das Book-to-Bill-Verhältnis der Distributionsunternehmen über die letzten zwei Jahre bei 0,5 und schlechter lag. »Was machen die Kunden in einer solchen Situation, in der sich zusätzlich auch noch die allgemeinen konjunkturellen Aussichten verdunkelt haben?«, fragt Sigrist. Mit seinem Geschäftsmodell möchte er dafür sorgen, dass Kunden gar nicht erst in Panik verfallen, falls die Lieferzeitenanfangen zu steigen. »Denn sie wissen, sie können sich darauf verlassen, dass unsere Mechanismen funktionieren.«
Wird ein Bauteil abgekündigt, so ist es auf dem Markt nur noch eingeschränkt erhältlich. Wenn die Hersteller rechtzeitig End-of-Life-Notifications versenden, können sich die Betroffenen über einen gewissen Zeitraum wenigstens darauf einstellen. Allerdings kommt es auch heute nicht selten vor, dass eine End-of-Life-Notification beim Anwender der Produkte nicht eintrifft; vielmehr werden sie oft böse davon überrascht, dass der Hersteller einfach nicht mehr liefert – der schlimmste vorstellbare Fall. »Dann kommen wir ins Spiel und können unser Wissen ausspielen, das ist größtenteils ganz ähnlich wie zu Allokationszeiten«, so Sigrist.
Einen nicht zu unterschätzenden Unterschied gebe es zur Allokation allerdings. Abgekündigte Produkte wurden über längere Zeiträume produziert. Folglich sind die, die noch aufgestöbert werden können, meist nicht mehr die Jüngsten. »Sie erfordern ganz besonders intensive Qualitätsprüfungen. Sie müssen darauf getestet werden, ob sie unter den richtigen Bedingungen gelagert wurden, ob sich eine Oxidschicht gebildet hat und ob das Package insgesamt noch in Ordnung ist. Und selbstverständlich spielt auch der Test auf Fälschungen eine Rolle«, erklärt Sigrist.
Aber auch wenn der Kunde vom Hersteller eine PCN oder EOL erhält, kann es eng werden. Denn in bestimmten Branchen, wo High-Realiability-Komponenten verlangt werden, haben sich die Hersteller von Subsystemen oft verpflichtet, auf viele Jahre, oft sogar zwanzig oder mehr, Garantieleistungen zu erfüllen. Also müssen sie über einen langen Zeitraum abschätzen, welche Mengen sie sich auf Lager legen sollten. »Das ist aber grundsätzlich nicht planbar, entweder sie kaufen zu viel oder zu wenig – und stehen irgendwann unweigerlich vor einem Problem. In beiden Fällen können wir aber helfen, indem wir ihnen entweder die überschüssige Ware abnehmen und verkaufen oder, wenn ihm die Komponenten ausgehen, über unser Netzwerk beschaffen«, so Sigrist.
Ein weiterer Aspekt in der Gesamtstrategie von Unisolution ist die Tatsache, dass in Europa für die Einkäufer von Komponenten nicht immer die besten Bedingungen herrschen. In anderen Weltregionen können die Preise durchaus unter denen liegen, die in Europa angeboten werden. Doch viele Abnehmer der Komponenten in Europa sind damit überfordert, auf globaler Ebene festzustellen, wo gerade Ware zu besseren Preisen gekauft werden könnte. Auch die Hersteller der Bauelemente haben kein Interesse daran, dass in dieser Hinsicht weltweit Transparenz herrscht, und versuchen, über ihre Distributoren die Preise regional zu gestalten. »Wir sehen uns dagegen nicht als bloße Lieferanten unserer Kunden, sondern wir wollen uns mit ihren Problemen auseinandersetzen und ihnen helfen, sie zu lösen – in diesem Fall also mehr Transparenz für sie herzustellen und ihnen neue Wege aufzuzeigen, so dass sie von günstigeren Preise in anderen Regionen profitieren können. Auch in dieser Hinsicht sehen wir uns als eine ‚Abteilung‘ des Kunden – damit schaffen wir Vertrauen und kreieren gleichzeitig ein nachhaltiges Geschäftsmodell.«
Nicht vergessen werden darf auch ein weiterer Aspekt, der den Beteiligten das Leben schwer macht: gefälschte Bauelemente. Dieser Sektor blüht gerade zu Allokationszeiten regelmäßig auf, ebenfalls ein Effekt, der besonders gut während der durch Corona hervorgerufenen Allokation zu beobachten war: Nicht nur das Geschäft der Broker entwickelte sich glänzend, sondern auch das der Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Fälschungen zu erkennen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Fälscher haben sich zunehmend professionalisiert. So landen alte Bauelemente als neue Produkte wieder auf dem Markt, langsame werden schnell, und für den kommerziellen Einsatz gedachte werden zu Industrial umgewandelt. »Hier haben wir schon lange die entsprechenden Qualitätsprozesse eingeführt«, so Sigrist. Allerdings übernimmt Unisolution als kleines Unternehmen – derzeit sind in Hohenbrunn zehn Mitarbeiter beschäftigt – die Prüfung auf Echtheit nicht selbst, sondern arbeitet mit darauf spezialisierten Testhäusern weltweit zusammen, beispielsweise mit der chinesischen White Horse und der amerikanischen Gets. Auf der anderen Seite holt Unisolution die Kunden mit ins Boot, um für sie jeweils die passenden Konzepte zu erarbeiten.
Nun gehört Unisolution mit zehn Mitarbeitern nicht gerade zu den Größten der Brachen. Wie will sich das kleine Unternehmen künftig in dem harten Wettbewerb in der Branche behaupten? Da gibt sich Sigrist optimistisch: »Wir scheinen doch einiges richtig zu machen, sonst würden wir als kleines Unternehmen nicht mit vielen Kunden zusammenarbeiten, die in ihren Branchen zu den führenden Playern gehören. Und selbstverständlich arbeiten wir mit einer großen Zahl von KMUs zusammen. Deshalb sind wir näher am Kunden als viele große Independents und können sehr schnell, flexibel und spezifisch auf die jeweiligen Anforderungen eingehen, das ist unser Differenzierungsmerkmal.«
Aber Sigrist hat nicht nur die eigenen Erfolge im Auge, er möchte mit dazu beitragen, der Independent-Branche in der Öffentlichkeit zu einem positiven Image zu verhelfen: »Unser Anliegen ist auch, zu zeigen, dass die Independent Distribution im Ecosystem der Industrie eine wichtige Rolle spielt. Immer nur auf die schwarzen Schafe zu blicken, gibt ein völlig falsches Bild!«