1,6 Mrd. Investition

Infineon baut neue 300-mm-Chipfabrik in Österreich

22. Mai 2018, 10:00 Uhr | Frank Riemenschneider
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Ein guter Tag für Europa, ein schlechter Tag für Deutschland

WEKA FACHMEDIEN
Frank Riemenschneider, Chefredakteur DESIGN&ELEKTRONIK.
© Componeers GmbH

Ein guter Tag für Europa, ein schlechter Tag für Deutschland

Ein Kommentar von Frank Riemenschneider, Chefredakteur DESIGN&ELEKTRONIK.

Wie bei jedem Bau einer neuen Chipfabrik gab es natürlich auch in diesem Fall weltweite Konkurrenz, u.a. von Infineons bereits bestehendem Standort in Kulim, Malaysia, und seinen deutschen Standorten Regensburg und Dresden. Kulim steht für geringere Baukosten, aber längere Bauzeit, ein KO-Kriterium in einer Zeit, wo die Kunden Infineon quasi die „Bude  einrennen“ und die Kapazitäten der Dresdner Fab absehbar nicht mehr ausreichen werden, die Nachfrage zu bedienen.

Es ist toll für Europa, dass eine bereits abgewanderte Industrie wenigstens z.T. zurückgeholt werden kann, auch wenn man Infineons Fertigungs-Kapazitäten natürlich weder mit Samsung noch mit TSMC vergleichen kann. Dennoch: Es ist ein Statement für den Standort Europa, dass man auch hier offenbar wettbewerbsfähige Fabriken bauen kann.

Allerdings muss man sich aus deutscher Sicht die Frage stellen, warum Infineon Villach in Österreich gegenüber seinem Heimatland Deutschland, wo ja bekanntlich die Firmenzentrale angesiedelt ist, bevorzugt hat. Laut Vorstandschef Ploss fand die „heisse Phase der Entscheidungsfindung“ Anfang 2018 statt, als in Österreich die neue ÖVP/FPÖ-Regierung und in Deutschland die 4. GroKo ihren Dienst angetreten hatten.

Wenn man sich Interviews des österreichischen Bundeskanzlers Kurz bereits aus den Jahren 2015 und 2016 durchließt einerseits und den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD andererseits, braucht es wenig Phantasie, festzustellen, was Ploss mit den „hervorragenden Rahmenbedingungen“ in Villach meint. Dazu wurden alle Beteiligten von Bund, Land und Stadt kurzfristig an einen runden Tisch gebracht, das „Paket“ für Infineon soll innerhalb einer Woche geschnürt worden sein.

Ploss zeigt sich zudem von der Forschungsförderung, "die steuerlicher Natur ist", angetan. Ploss betonte aber, dass es zwar keine "Extras" für Infineon gegeben habe, sondern dass nur die Standard-Rahmenbedingungen geschnürt worden seien. "Aber jetzt gelingt es uns, auch europäische Förderungen einzufordern", sieht er einen Zusatznutzen. "Nicht nur die gute, sondern auch die schnelle Unterstützung hat geholfen", bedankte sich Ploss beim Bundeskanzler.

Man werde den Weg, das Wirtschaftsklima im Lande zu verbessern, fortsetzen und weitere Erleichterungen für Firmen und Firmengründungen schaffen, sagte auch Wirtschaftsministerin Schramböck. Für unser Nachbarland sind Mikroelektronik und Digitalisierung ein strategisches Anliegen, ähnlich wie China und Taiwan. In Deutschland wurde erst kürzlich bekanntgegeben, dass die Versteigerung von LTE-5-Lizenzen auf 2019 verschoben wurde. Jetzt geht eine 1,6-Mrd.-Euro-Invesition nicht nur an Dresden und Regensburg, sondern an ganz Deutschland vorbei – von einem deutschen DAX-Konzern, der natürlich global denken und handeln muss. Offenbar reichen schon die „Standardrahmenbedingungen“ in Österreich, um eine solche Investitionsentscheidung herbeizuführen.

Natürlich gibt es in Deutschland immer noch genug „Experten“, welche die deutsche Förderpolitik schönreden, z.B. mit dem Hinweis, dass ja Infineon die 300-mm-Dünnschicht-Fertigung als erstes in Dresden in die Massenfertigung gebracht habe oder Bosch eben dort eine neue, mit 200 Mio. Euro vom Bund geförderte Chip-Fabrik bauen wird. 

Diese seien an folgende Realität erinnert: Infineon hatte Fab, Reinraumtechnik und 300-mm-Fabrikationsanlagen, auf denen heute Leistungshalbleiter gefertigt werden, im Jahr 2011 vom Insolvenzverwalter von Qimonda Dresden für einen Spottpreis von insgesamt 100,6 Millionen Euro erworben. Billiger kann man eine neue Fab nicht einmal in Kulim bauen. Die „strategische Entscheidung für Dresden“ ergab sich somit aus wirtschaftlichen Gründen deshalb, weil die ehemalige Qimonda-Fab eben dort gestanden hat. Hätte sie statt in Dresden sonstwo auf der Welt z.B. in Singapur gestanden, wäre Infineon natürlich nach Singapur gegangen, statt für Milliardensummen eine neue Fab in Dresden zu bauen.

Was Bosch angeht, hatte ich nach Veröffentlichung des Papiers „Mikroelektronik aus Deutschland – Innovationstreiber der Digitalisierung“  vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Februar 2016 tatsächlich die Hoffnung, dass ein nachhaltiges Umdenken in Berlin erfolgen würde. Dies muss mittlerweile in der 4. Auflage der großen Koalition leider wieder bezweifelt werden. Die neue Ministerin Anja Karliczek hat BWL studiert und sich – ich zitiere die Kollegen von der ZEIT – „im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen Johanna Wanka, Annette Schavan und Edelgard Bulmahn noch keinen Namen als Bildungsexpertin gemacht“. Die Mathematikerin Wanka war übrigens Verfasserin des oben verlinkten Mikroelektronik-Papiers.

Im Jahr 2020 wird die Mikroelektronik 30-45 % des europäischen GDP ermöglichen – 10-15 % Smart-Cars, 15-20 % Industrie 4.0. und 5-10 % mobile Infrastruktur. Es ist für den Berliner Politbetrieb nicht mehr 5 vor 12, sondern 1 Minute vor 12, seine Politik hinsichtlich der Mikroelektronik-Priorität und den notwendigen finanziellen Unterstützungen in Deutschland zu überdenken.


  1. Infineon baut neue 300-mm-Chipfabrik in Österreich
  2. Ein guter Tag für Europa, ein schlechter Tag für Deutschland

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Infineon Technologies AG

Weitere Artikel zu Leistungshalbleiter-ICs