Batteriewechselsysteme kommen

»Nur auf Ladesäulen zu setzen ist der falsche Weg«

22. Juli 2023, 14:00 Uhr | Iris Stroh
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"Der Batteriewechsel hat das Potenzial, eine der treibenden Technologien in der »grünen Mobilität« zu werden"

In einer Diskussionsrunde der Markt&Technik wurde Ende letzten Jahres über Batteriewechselsysteme diskutiert. Dabei hieß es auch, dass langfristig enorm große Lagerbestände an Batterien vorgehalten werden müssten, damit die Batterien langsam geladen werden können. Steigt der Anteil an E-Fahrzeugen weiter, seien sehr hohe Investitionen nur für die Batterien notwendig, von den eigentlichen Wechselstationen ganz abgesehen. Dementsprechend seien Batteriewechselstationen nur eine Nischenlösung für den Anfang und um die Reichweitenangst zu mindern. Wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Diese These ist extrem realitätsfern. Mit der Aulton/InfraDianba-Technologie kann der Batteriebedarf unter bestimmten Voraussetzungen (Verwendung von OEM-Standard-Batterien) auf den Faktor 1,06 reduziert werden, d. h., bei einer Anlage mit 1000 Wechseln werden lediglich 60 Extra-Batterien als Initialspeichereinheit benötigt. Bei einer Station mit 460 Wechseln pro Tag bedarf es dann 28 zusätzlicher Batterien. Das Geheimnis sind z. B. bei der 460-Wechselstation 26 parallelgeschaltete 60-kW-Ladegeräte, die mit einem 400-V-Drehstrom-Anschluss und einem Anschlusswert von 1230 kVA arbeiten.

Der Mehrbedarf an Batterien und die damit verbundenen Investitionen werden durch die positiven Lebensdauer-Effekte des Systems weit überkompensiert. Durch das Parallelschaltungsverfahren und den Beginn des Ladeprozesses direkt nach Entnahme des Akkus können unsere Batterien schonend, d. h. mit 0,5 C, geladen werden, was in Kombination mit der patentierten Lichtwellen-Kontrolle und einem SOC-Bonus zu einer Lebensdauerverlängerung um den Faktor 3,5 führt. Dadurch kann z. B. der Bedarf an Lithium auf ca. 28 Prozent im Vergleich zu dem eines Superchargers reduziert werden.

Der Batteriewechsel hat das Potenzial, eine der treibenden Technologien in der »grünen Mobilität« zu werden. Der fossile Gewerbeverkehr mit seinem Flottenbetrieb ist verantwortlich für ca. 80 Prozent der CO2-Emissionen urbaner Mobilität, der Batteriewechsel als Mengen-Enabler setzt genau hier an.

Das Denken, dass die E-Mobilität über Premium-Autos und eingebaute Single-Batterien aufschließen will, ist in Wahrheit das eigentliche Nischen-Denken. Betreiber von E-Flotten, Fuhrparks und die Taxibranche haben keine Zeit, um lange an Ladesäulen zu warten, und kein Geld, um in mehr Fahrzeuge als notwendig zu investieren. Sie benötigen eine einfache kompakte Lösung mit sehr kurzen Abfertigungszeiten, wie der Express-Batteriewechsel sie bietet. Das Drive-through-System von InfraDianba erspart ihnen viele Kosten, z. B. durch kleinere Fuhrparks, weniger Personal, weniger Batterieaufwand, weniger Komplexität.

Die Multinutzung der Batterien für Mobilität und Netz und das stationsgestützte autonome Fahren sind ohne die Batteriewechselstationen kaum denkbar; sie sind Eisbrecher für eine Logistik der Nachhaltigkeit.

Infradianba
Eine Batteriewechselstation
© Infradianba

In der gleichen Diskussion hieß es auch, dass ein gemeinsamer Batteriestandard helfen könnte, sodass sich mehrere OEMs am Aufbau beteiligen könnten, doch in Europa scheint diese Idee nicht umsetzbar, weil die OEMs nicht an einer Harmonisierung der Batterie interessiert sind. Glauben Sie, dass sich hier etwas in Zukunft ändern wird?

Ein einheitlicher Batteriestandard, an dem aktuell auch in China gearbeitet wird, wäre sehr sinnvoll, ein wertvoller Schritt zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Effizienzziele. Viele europäische OEMs denken noch immer, dass sie sich mit Single-Batterien Wertschöpfungsreservate für ihre Autoproduktionen schaffen können, doch durch den Anstieg der Material-, Energie- und Arbeitskosten werden die obsiegen, die ihre Batterien durch Standardisierung und Multi-Use zu den neuen Wertschöpfungsmotoren machen. Wer das verschläft, der kommt unter die Räder.

Wie positionieren Sie den Ansatz von InfraDianba gegenüber konkurrierenden Ansätzen wie von Nio oder Fisker? InfraDianba bietet ein Universal-Batteriegehäuse, sodass unterschiedliche Batterie-Pakete und unterschiedliche Batteriehersteller zum Einsatz kommen können. Gibt es irgendwelche Einschränkungen in Hinblick auf »Universal«, z. B. Gewicht, Volumen, Zellenformate, Batteriechemie?

Im Gegensatz zu Nio, die in erster Linie ein Premiumfahrzeug-Hersteller sind und den Batteriewechsel als zusätzlichen Service, als BaaS anbieten, ist unsere Technologie für alle interessierten Automobilhersteller offen. Unser Segment sind E-Autos zwischen 30 und 90 kW. Wir setzen auf eine Hub- und Einklinktechnik mit einem Wechselrahmen im Unterboden, Nio z. B. setzt dagegen auf Einparken und An- und Abschrauben. Andere Anbieter versuchen es mit Zwischenlösungen, aber unsere 20 Sekunden technische Wechselzeit sind bis heute der Goldstandard.

Die InfraDianba-Technologie kann flexibel an den Marktbedarf angepasst werden. Sie wird in Europa mit zehn Neuerungen gegenüber dem chinesischen Regelprodukt angeboten.

Unsere Batteriewechseltechnik, die für alle E-Fahrzeuge bis zu 3,5 t inkl. Kleintransporter adaptierbar ist, zeichnet sich durch vier Alleinstellungsmerkmale aus:

  • Durch die 20 Sekunden technische Wechselzeit haben wir eine Abfertigungszeit von max. 1,5 Minuten. Das erlaubt eine hohe Frequentierung; theoretisch können wir damit bis zu 1000 Wechsel pro Tag und Station ermöglichen. Das birgt Preisvorteile beim Stromeinkauf für Betreiber und Kunden. Und Prozessvorteile, weil schon in der Abfertigungszeit wiederaufgeladen wird.
  • Wir benötigen für eine 1000-Wechsel-Anlage nur einen Anschlusswert von 1230 kVA und benötigen keinen flächendeckenden milliardenschweren Ausbau der Verteilnetze.
  • Wir können in unseren Stationen die Akkus der Fahrzeuge sehr schonend mit 0,5 C, d. h. innerhalb von bis zu 2 Stunden bei konstanten 20 Grad Celsius laden. Das hat große Auswirkungen auf die Batterielebensdauer, die sich dadurch, in Kombination mit einem State-of-Charging-kWh-Bonus für schonenden Batterieverbrauch, mindestens verdreifachen lässt. Die bereits geladenen Batterien werden später in einem zweiten Schritt für ein Dual-Use im Smart Grid genutzt; der Batterie-Einsatz für die primäre Regelleistung ist wie ein Fitnessprogramm für die Akkus, steigert die Lebensdauer Richtung Faktor 4.
  • Unsere Batterien werden während des gesamten Ladeprozesses kontinuierlich durch das FBG Optical Fiber Sensing System geprüft, d. h. jedes Batteriepack, jedes Modul, jede Zelle werden permanent und nahtlos mithilfe der Lichtwellenleitertechnik auf 100 Prozent Funktionstüchtigkeit kontrolliert.

Ihr Unternehmen versucht mit Swaptopus ein Netz aufzubauen, mit dem Speicherenergie aus den Akkus für das volatile Stromnetz bereitgestellt werden soll. Was steckt dahinter?

Der Begriff Swaptopus steht für eine vernetzte Energiestation für Mobilität und Netz. Der Leistungskern des Swaptopus ist die Batteriewechselstation mit 1000 Wechseln pro Tag, ein Dual-Use-Batteriespeicherkraftwerk und ein Zusatzspeicher, der teilweise von einem Bilanzkreis gespeist wird. Über diesen Sonderbilanzkreis wird kostengünstig und additiv zum Hauptnetz EE-Strom aus Quellen wie Agri-PV, Gebäude-PV, Überschussstrom und EE-Billigstrom aus der Peripherie bezogen, um dann Energie für die E-Mobilität und Speicheraufgaben für Microgrids und das Smart Grid – vornehmlich primäre Regelenergie – bereitzustellen.

2050 liegt die Stromnachfrage bei uns, so die Prognose der Experten, bei über 1000 TWh pro Jahr. Dafür brauchen wir ca. 100 GWh Speicherpuffer gegen die Volatilität des Smart Grid. Wenn wir ein Netz von 10.000 bis 12.000 Wechselstationen in Deutschland aufbauen würden, das durch Zusatzspeicher hinreichend redundant gemacht wird, dann könnte dieses den Speicherbedarf des Smart Grid in 2050 unter maximaler, breiter Nutzung der stillen Reserven frisch geladener Batteriewechsel-Autoakkus weitgehend decken. Das wäre ein Mobility-to-Grid über Energiestationen statt über Ladepunkte: ein Triumph über die Hyperkomplexität!

Daraus folgt: Mit den ersten Stationen und den notwendigen Fahrzeugen könnten auch die ersten Swaptopus-Stationen in Deutschland installiert werden.


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