Mit Software-definierten Fahrzeugen wird das Thema Fahrzeugzertifizierung deutlich komplexer – denn jedes OTA-Update beeinflusst das Zusammenspiel der verschiedenen Systeme im Fahrzeug. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz lässt sich der Zertifizierungsprozess vereinfachen.
In der Vergangenheit haben Automobilhersteller Fahrzeuge gebaut und mussten sie nur einmal zertifizieren lassen. Bis die nächste Fahrzeug-Generation herauskam oder wesentliche Änderungen vorgenommen wurden, war keine neue Zertifizierung erforderlich. Jetzt, da die Ära der Software-definierten Fahrzeuge beginnt, wird das Thema deutlich komplexer. Hersteller gehen dazu über, die zentralen Funktionen des Autos über Over-the-air- (OTA-)Updates anzupassen.
Jeder Tesla-Besitzer kann sein Fahrzeug mit Funktionen zum autonomen Fahren ausstatten. Dazu muss er nur das entsprechende Update kaufen und die Funktionen werden drahtlos an das Auto übertragen. Dadurch verändern sich die Funktionen des Fahrzeugs grundlegend.
Derzeit wird bei der ISO-Zertifizierung und anderen Zertifizierungen zur funktionalen Sicherheit die Fahrzeug-Software unter Berücksichtigung von Cybersecurity- und Sicherheitsaspekten geprüft. Dieser Prozess wird der Komplexität moderner Fahrzeuge aber nicht mehr vollständig gerecht. Eine einzige Fahrzeuggeneration erhält potenziell Dutzende von Software-Updates, um neue Funktionen bereitzustellen. Dadurch kann sich die Funktionsweise des Fahrzeugs sowie das Zusammenspiel der verschiedenen Systeme verändern.
High-End-E-Automarken sind momentan führend bei OTA-Updates, doch andere Hersteller holen auf. Software-Updates werden immer häufiger herauskommen, vor allem, wenn der Umstieg auf die E-Mobilität flächendeckend gelingt. Die Herausforderung besteht darin, Fahrzeuge, deren Software regelmäßig angepasst wird, sicher zu zertifizieren. Zwar sind viele Änderungen nur minimal – allerdings kann man nicht sicher wissen, wie sich diese kleinen Updates auf andere Systeme im Fahrzeug auswirken.
Eine kleine Änderung am Bremssystem wirkt sich beispielsweise nicht nur darauf aus, wie das Auto im Normalfall anhält. Das Update kann auch das ABS, das Notbremssystem und sogar den Abstandsregeltempomaten betreffen. All diese Systeme sind miteinander verbunden.
Zwar können die Hersteller bei der Neuzertifizierung eines Fahrzeugs häufig nachweisen, welche Elemente des Codes sich geändert haben. Allerdings ist der komplette Einblick, welche Auswirkungen die Änderungen am Code auf andere Fahrzeugsysteme haben, schwierig. Ein Update des Bremssystems muss möglicherweise neu zertifiziert werden. Ebenso sollte man aber prüfen können, wie sich das Update auf hochentwickelte Fahrerassistenzfunktionen und andere Systeme auswirkt – besonders auf solche, die entscheidend für die Fahrzeugsicherheit sind.
Im Zeitalter des Software-definierten Fahrzeugs, in dem Dutzende Systeme zusammenarbeiten, ist deshalb ein kontinuierlicher Zertifizierungsprozess nötig. Laufende Wirkungsanalysen einer Änderung machen es möglich, die Auswirkungen des Updates auf andere Systeme viel genauer zu verstehen. Mithilfe dieser Einblicke kann man gezielt die Elemente neu zertifizieren, für die der Vorgang erforderlich ist. Der Rest des Fahrzeugs muss diesen langwierigen Prozess nicht durchlaufen.
Die kontinuierliche Neuzertifizierung von Fahrzeugen innerhalb eines Modelljahres – am besten nach jedem Update der Hauptfunktionen – wird die Fahrzeugsicherheit erhöhen. Es ist sogar möglich, mithilfe entsprechender Technik ständig Wirkungsanalysen durchzuführen und diese direkt an die Aufsichtsbehörde zu übermitteln. Das derzeitige Verfahren zur Fahrzeugzertifizierung ist allerdings langwierig und lässt eine kontinuierliche Zertifizierung nicht zu.
Derzeit wenden verschiedene Aufsichtsbehörden unterschiedliche Zertifizierungsverfahren an. In der Regel müssen die Hersteller aber Unterlagen einreichen, in denen alle Änderungen detailliert aufgeführt sind. Diese Dokumente sind nicht standardisiert, sodass jeder Automobilhersteller etwas anderes einreichen kann. Es folgt ein mehrstufiges Verfahren mit Kommentaren, Besprechungen und Fragen. Dabei soll festgestellt werden, wie weitreichend die Änderungen am Fahrzeug sind und ob es erneut getestet werden muss. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Geht es aber um die kontinuierliche Zertifizierung von Fahrzeugen, die regelmäßig Updates erhalten, kann dieses Verfahren nicht in großem Umfang angewendet werden.
Künstliche Intelligenz kann hier eine Lösung bieten – und zwar eine bestimmte Form der KI: Vehicle Software Intelligence. Aurora Labs hat eine Lösung entwickelt, die eine laufende Wirkungsanalyse in Fahrzeugen durchführt, um die vorgenommenen Änderungen nachzuverfolgen. Das zeigt nicht nur die Abhängigkeiten auf, die bei einem Update bestehen. Die Analyse legt auch andere Probleme offen, die sich auf die Neuzertifizierung auswirken könnten – wie etwa überflüssiger Code.
Mit Auto Validate von Aurora Labs können sowohl Hersteller als auch Aufsichtsbehörden Änderungen an Fahrzeugfunktionen besser nachverfolgen und verstehen, wie sich die Updates auf andere Systeme auswirken. Das verschafft nicht nur Entwicklern bessere Einblicke, sondern kann auch den Zertifizierungsprozess erheblich beschleunigen.
Solche Innovationen und der Übergang zu einem kontinuierlichen Zertifizierungsprozess haben für die Hersteller momentan keine Priorität. Da in Fahrzeugen aber immer hochentwickeltere Software zum Einsatz kommt, sollte das Thema bald angegangen werden. Vehicle Software Intelligence ermöglicht Automobilherstellern und Aufsichtsbehörden eine bessere Zusammenarbeit und erhöht gleichzeitig Sicherheit und Compliance.
Der Zertifizierungsprozess von Fahrzeugen wird sich in absehbarer Zeit vermutlich kontinuierlich ändern. Hier besteht die Chance, einen langwierigen Prozess mithilfe innovativer Technologie zu vereinfachen. Das Zulassungsverfahren wurde für Fahrzeugmodelle entwickelt, die nur alle paar Jahre angepasst werden – das ist aber zukünftig nicht mehr der Fall. Fahrzeuge sind heute komplexe Softwaresysteme auf Rädern, die per Knopfdruck und ohne Ausfallzeit für den Fahrer Updates erhalten können. Aufgrund der Schnelllebigkeit dieser Technologie werden neue Verfahren erforderlich, die nur mithilfe KI-basierter Vehicle Software Intelligence entsprechend skalierbar sind.
Chezy Nami
ist Quality Manager bei Aurora Labs.