Cobots für die flexible Automatisierung

Leichte Roboter mit großem Potenzial

29. Juni 2023, 16:00 Uhr | Oliver Petrovic, Minh Trinh, Lukas Gründel und Dr.-Ing. Werner Herfs
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Was gilt es beim Einsatz von Cobots zu beachten?

Neben den zahlreichen Vorteilen und Potenzialen von Cobots bringen sie je nach Betriebsform auch einige Rahmenbedingungen, Hürden und Einschränkungen mit sich. So kann der Einsatz von Cobots zu einem Trade-off zwischen Flexibilität und Produktivität führen, je nachdem welche Potenziale genutzt werden sollen und wie das entsprechende Setting aussieht. Aktuelle Beispiele aus Industrie und Handwerk zeigen, dass Cobots oft gar nicht wegen ihrer Fähigkeiten im kollaborativen Einsatz bevorzugt werden, sondern aufgrund der im Vergleich zu konventionellen Industrierobotern besseren Integrierbarkeit in bestehende Arbeitsumgebungen. Durch den Verzicht auf trennende Sicherheitseinrichtungen, die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) sowie den Einsatz mobiler Robotik sind zwar einerseits große Flexibilisierungseffekte möglich, andererseits kann dies aufgrund der Sicherheitsanforderungen zu deutlich verlangsamten Roboterbewegungen führen. Dies ist vor allem bei taktzeitkritischen Operationen ein Problem.

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Der Cobot von TQ-Systems/Franka Emika lässt sich leicht für vielerlei Anwendungen programmieren
Der Cobot von TQ-Systems/Franka Emika lässt sich leicht für vielerlei Anwendungen programmieren.
© TQ-Systems

Während die Leichtbauweise von Cobots viele Vorteile wie die geringen Anschaffungskosten und die Möglichkeit der Kollaboration bietet, führt sie üblicherweise auch zu geringeren Traglasten und kleineren Arbeitsräumen. Diese liegen bis auf einige Ausnahmen meist in einem Bereich von maximal 20 kg und 2 m. Während dies für viele Anwendungen ausreicht, ist Cobots der Umgang mit schweren Bauteilen in großem Arbeitsraum verwehrt. Der Arbeitsraum lässt sich allerdings durch zusätzliche lineare Achsen oder die erwähnten FTS erweitern.

Ein wichtiger Faktor für die Einführung von Cobots ist die Mitarbeiterakzeptanz, die sich durch frühes Einbeziehen der Mitarbeiter in den Einführungsprozess und die einfache Bedienung der Roboter steigern lässt. Vorteilhaft ist dabei die frühe, transparente Kommunikation der Chancen durch den Einsatz von Cobots als unterstützende und arbeitsplatzerhaltende Maßnahme. Die Akzeptanz ist besonders durch schnelle Erfolge an anfänglich einfachen Problemen zu erreichen oder wenn Cobots Arbeiten verrichten, die unergonomische Körperhaltungen erfordern.

Die vielfältigen Potenziale stehen obendrein im Kontrast zu den Herausforderungen in puncto Safety. Eine Studie von Haddadin et al. (Sami Haddadin, Towards Safe Robots: Approaching Asimov’s 1st Law. Berlin, Heidelberg: Springer, 2014) hat ergeben, dass mehr als 55 Prozent der Verletzungen durch Industrieroboter an der Hand, gefolgt von etwa 15 Prozent am Kopf, geschehen, wobei Letzteres besonders gefährlich für den Menschen ist. Verletzungsarten sind dabei hauptsächlich das Einklemmen von Körperteilen oder Kollisionen. Daher sollten mögliche Prozessgefahren minimiert werden, etwa durch die Verringerung von Anpresskräften und Geschwindigkeiten. Zudem können bestimmte Cobots bei Kontakt mit Hindernissen oder bei Überschreitung maximaler Kräfte ihre Bewegung stoppen.

Allerdings gewährleistet ein für die Kollaboration ausgelegter Roboter nicht unbedingt die sicherheitskonforme Kollaboration zwischen Mensch und Maschine. Unterschiede zwischen den angebotenen Sicherheitsfunktionen erfordern die Betrachtung des Zusammenspiels zwischen Roboter und Werkzeugen, Prozess und Bauteilen. Vor der Inbetriebnahme einer kollaborativen Anwendung schreibt der Gesetzgeber zudem eine EG-Konformitätserklärung und anschließende CE-Kennzeichnung vor.

Anwendungsbeispiele und Branchen

Auf Basis von Cobots sind schon vielerlei Lösungen in verschiedenen Branchen entstanden – innerhalb und außerhalb der Industrie. Grundsätzlich zu unterscheiden sind Handhabungsanwendungen wie Palettieren, Bin-Picking (Griff in die Kiste) oder Maschinenbeschickung, Montagetätigkeiten wie Kleben, Schweißen und sonstige Fügeprozesse sowie Bearbeitungsprozesse wie Schleifen, Polieren und Entgraten von Werkstücken.

Der Cobot von TQ-Systems/Franka Emika bei der Arbeit – mit einer elektronischen Baugruppe im Zangengriff
Der Cobot von TQ-Systems/Franka Emika bei der Arbeit – mit einer elektronischen Baugruppe im Zangengriff.
© TQ-Systems

Jede Anwendung stellt andere Anforderungen an eine flexible Automatisierungslösung auf Cobot-Basis. Bei Handhabungsprozessen beispielsweise wirken vorrangig statische Kräfte wie die Gewichtskraft auf den Cobot. Durch die Bewegung entstehende Fliehkräfte lassen sich durch eine entsprechende Pfadplanung reduzieren. Allerdings erfordert ein Bin-Picking-Prozess die intelligenten Fähigkeiten der Objekterkennung oder die Maschinenbeschickung eine kollisionsfreie Pfadplanung auch innerhalb der zu beschickenden Maschine. Integratoren müssen entsprechende Kameratechnik auswählen. Bei Montagetätigkeiten gewinnt oft das Engineering vor dem eigentlichen Prozess an Relevanz, weil es sinnvoll ist, monotone, repetitive Aufgaben an den Cobot zu übertragen, wodurch der Prozessplanung eine besondere Rolle zuteil wird. Das Auftragen von Kleberaupen und das Bahnschweißen erfordern eine hohe Bahngenauigkeit, was vom Know-how in der Arbeitsvorbereitung unterstützt wird. Bei Bearbeitungsprozessen ist die Bahngenauigkeit entscheidend für die Fertigungsqualität, weshalb es hier auf die optimale Einstellung der Prozessparameter ankommt. Vorschübe und Drehzahl sowie die Fähigkeit, Kraftspitzen auszugleichen, sind für Polier- und Schleifanwendungen besonders relevant.

In diversen Unternehmen der Automobil- und Automobilzulieferindustrie werden Cobots bereits eingesetzt. Beispiele dafür sind die Türmontage der X3-Modelle bei BMW, die Montage der Q5-Modelle bei Audi und die Stoßfängermontage bei Ford. Während im ersten Beispiel ein Fügeprozess mit Schall- und Feuchtigkeitsisolierung durchgeführt wird, verbessert sich bei den beiden anderen Beispielen die Ergonomie, indem schwere Bauteile oder die Überkopfmontage den Mitarbeitern abgenommen werden. ZF als Getriebehersteller nutzt nach eigenen Aussagen Cobots vielfältig. Während etwa 60 Prozent der Cobots für kameragestützte Handhabungsprozesse und etwa 20 Prozent für visuelle Inspektionen verwendet werden, sind die übrigen zu gleichen Teilen mit kraftbasierten Prüfprozessen und Montageanwendungen beschäftigt. Auch in weiteren technikgetriebenen Branchen wie der Medizintechnik werden bereits Cobots eingesetzt. So verwendet die Ausgründung guidoo des Fraunhofer IPA aus Mannheim einen Cobot für die flexible Operationsassistenz. Hier wird die Verlässlichkeit einer Maschine bei einer langen und ermüdenden Operation genutzt.

Fazit und Ausblick

Cobots als Tools für eine kostengünstige und praxisnahe Automatisierung bieten wegen des geringen Investitionsrisikos, der intuitiven Programmierung und der Eignung für kollaborative Prozes- se eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Automatisierung. Die gezeigten Anwendungsbeispiele verdeutlichen, dass Cobots Produktionsstandorte in Hochlohnländern wie Deutschland entscheidend festigen können. Zudem sind sie in der Lage, Herausforderungen wie dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Bei der Einführung gilt es, angesichts der geplanten Anwendung die wichtigsten technischen Anforderungen an das Cobot-System zu identifizieren. Darüber hinaus sind bei der Umsetzung die genannten Sicherheitsrichtlinien zu beachten, um die Potenziale voll ausschöpfen zu können.

Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Cobots in weiteren Anwendungen der Industrie und des Handwerks eingesetzt werden. Durch die disruptiven Innovationen aus Forschung und Entwicklung und durch den hohen Bedarf an Automatisierungslösungen werden Cobots weiter an Relevanz gewinnen. Sie können somit als wichtiger Baustein für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen gelten.

Der Technologielieferant Conrad Electronic bietet für Geschäftskunden Cobots von TQ-Systems/Franka Emika und Fruitcore Robotics sowie Zubehör von Festo und IPR – Intelligente Peripherien für Roboter. Mehr Informationen zum Thema Cobots sind unter www.conrad.de/cobots zu finden.

 

Die Autoren

Oliver Petrovic, ist Oberingenieur Abteilung Automatisierung und Steuerungstechnik am Werkzeug- maschinenlabor WZL der RWTH Aachen.

Minh Trinh, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen.

Lukas Gründel, ist Gruppenleiter Robotik am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen.

Dr.-Ing. Werner Herfs, ist Bereichsleiter Werkzeugmaschinen und Prokurist bei der WZL Aachen GmbH.


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