Wie sich Schranken aufheben lassen, zeigt das Beispiel der CityBots, die EDAG 2019 vorgestellt hat. Es handelt sich grob gesagt um autonome Fahrzeuge, die mit ihrer Umgebung – letztendlich mit der Smart City – interagieren. Hat das System über die vergangenen zwei Jahre die OEMs überzeugt?
Die CityBots sind ein Beispiel dafür, dass wir in Mobilitätskonzepten denken – weit über das individuelle Fahrzeug hinaus. Wir sehen die CityBots als eine Art lebendes Laboratorium an, innerhalb dessen wir zeigen, wie sich das Auto als Teil eines Mobilitätssystems in enger Verbindung mit der Smart City betreiben lässt – erst dann können neue Geschäftsmodelle Realität werden. Die OEMs haben sich tatsächlich dafür interessiert, bemerkenswerterweise in anderen Weltregionen mehr als in Deutschland. Wo die Resonanz aber am größten ist: in den Städten.
Im herkömmlichen Auto in der Stadt unterwegs zu sein, Parkplätze zu suchen und im Stau zu stehen ist alles andere als Lebensqualität. Deshalb arbeiten die Städte an ganz neuen Konzepten, und sie sind sehr stark an neuen Techniken interessiert, denn diese Techniken eröffnen ihnen und ihren Bewohnern neue Freiheitsgrade: Plötzlich fallen die riesigen Parkplatzflächen weg und lassen sich sinnvoller nutzen, die Autospuren müssen nicht mehr so breit sein, es gibt viel mehr Platz, weniger Lärm und weniger Verschmutzung. Die ganze Stadt verpasst sich ein neues Kleid und wird attraktiver.
Wenn ich da mal etwas Wasser in den Wein schütten darf: Autonomes Fahren bedeutet heute autonomes Kriechen mit wenigen Kilometern pro Stunde, und das auch nur auf vorgegebenen Strecken. Die Vernetzung mit der zumeist noch nicht smarten City hält sich ebenfalls in Grenzen. Das sieht wohl auch eine sehr aufgeschlossene Stadtbevölkerung noch nicht als das attraktive neue Verkehrskonzept der Zukunft an. Wurde um das autonome Fahren nicht etwas zu viel Hype gemacht und jetzt schlägt das Pendel zurück?
Ich bin felsenfest davon überzeugt: Das Auto der Zukunft wird autonom fahren. Anders sind die vielen neuen Geschäftsmodelle gar nicht vorstellbar und anders werden Smart Cities auch nicht Wirklichkeit werden können. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, wann es so weit sein wird. Sicherlich nicht so bald, wie einige Optimisten vor fünf Jahren noch gedacht haben mögen – aber schneller als viele Zögerer heute noch prophezeien. Dass der Hype etwas raus ist, ist gesund und führt dazu, die Situation realistisch einschätzen zu können und an tauglichen Rezepten zu arbeiten. Das gilt für EDAG, für die OEMs, Startups und vor allem auch für die Städte, die sich dringend positionieren müssen, um attraktiv zu werden. Die Mobilitätskonzepte spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Sie hatten die Autos als High Performance Computer auf Rädern bezeichnet. Halbleiter werden immer wichtiger. Zeigt die derzeitige Krise, dass die Automotive-Industrie hierzulande einfach nicht wahrhaben wollte, welche besondere Rolle die Halbleiter spielen?
Seit einigen Jahren dürfte vollkommen klar sein, welche besondere Rolle die Halbleiter spielen: dass für Chips andere Produktionsbedingungen gelten als für die übrigen Komponenten von Zulieferern und dass sie wesentlich für die Differenzierung der Autos untereinander sind. Vielleicht wurden bisher noch nicht die letzten Konsequenzen aus dieser Einsicht gezogen. Die jetzige Situation dürfte das ändern. Umgekehrt war aber auch für die Halbleiterindustrie das Auto lange Zeit ein relativ vernachlässigbarer Markt, um den sie sich nicht übermäßig gekümmert hat, jedenfalls nicht die Unternehmen, die hauptsächlich in attraktiven und margenstarken Computer- und Consumer-Märkten aktiv sind. Wenn nun aber das High Performance Computing Einzug hält, werden außer den bekannten Automotive-Chip-Spezialisten auch die vorher genannten IC-Hersteller von der Elektrifizierung und Digitalisierung der Automotive-Industrie profitieren, die die ICs mithilfe der neusten Prozesstechniken fertigen.
Es wird also künftig einen zentralen High Performance Computer im Auto geben?
Darauf wird es hinauslaufen. Deshalb ist das Auto für die IT-Branche so interessant. Das Auto entwickelt sich zu einer Plattform, auf deren Basis Umsatz generiert werden kann. Da kennen sich IT-Unternehmen besser aus als traditionelle Hersteller von Autos auf Basis von Verbrennungsmotoren, die alles, was nicht unmittelbar zur Differenzierung der Kernkompetenzen beitrug, an Zulieferer ausgelagert haben. Diese Ära ist vorbei.
Wie passt da Production Solutions als eine Säule von EDAG ins Bild? Hier geht es darum, möglichst effektiv zu produzieren. Das ist doch etwas anderes, als das Auto neu zu erfinden.
Auf den ersten Blick vielleicht. Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass es doch etwas Ähnliches ist, eine Smart City und eine Smart Factory bzw. eine Industrie-4.0-Fertigung aufzubauen. Hier wie dort ist das Auto künftig nur als ein Element in seiner vernetzten Umwelt zu verstehen. Deshalb ist es ja so sinnvoll für EDAG, über die Software-Shadow-Einheit segmentübergreifend die Software ganzheitlich zu betrachten. Durchgehend spielen Big Data, Machine Learning und KI eine große Rolle.