Lehre vor dem Studium - hat das Vorteile? Gunther Dahm vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover hat für die Hans-Böckler-Stiftung die Auswirkungen der Verbindung von beruflicher und akademischer Qualifikation auf Arbeitsmarktchancen und Gehalt untersucht.
Studierende, die bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, haben beim Berufseinstieg leichte Vorteile gegenüber rein akademisch ausgebildeten Personen – allerdings nur kurzfristig. Dies ist das Fazit einer von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Analyse.
Laut dieser Studie schneiden Personen mit mehreren Qualifikationen in Bezug auf Einkommen und Jobsicherheit etwas besser ab als diejenigen mit einem Hochschulabschluss, aber ohne Berufsausbildung. Dieser Effekt ist jedoch nur auf die frühe Phase nach dem Studium beschränkt. Langfristig ist der akademische Abschluss entscheidend.
Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, findet dies paradox: „Einerseits wird die Kombination von beruflicher und akademischer Qualifikation, von Theorie und Praxis, am Arbeitsmarkt oft gefordert und begrüßt, andererseits kaum anerkannt. Dabei könnten gerade diejenigen, die sowohl theoretisch als auch praktisch qualifiziert sind, eine wichtige Rolle in der sozial-ökologischen Transformation spielen. Aber wenn man sie auf dem Arbeitsmarkt haben möchte, muss man ihnen auch etwas bieten. Noch sind unsere Bewertungssysteme zu stark auf akademische Abschlüsse ausgerichtet.“
Für seine Untersuchung hat Dahm Daten der DZHW-Absolventenstudien der Jahrgänge 1997, 2001, 2005, 2009, 2013 und 2017 analysiert. Von den jeweils zwischen 8000 und 12.000 Befragten hatten 19 bis 39 Prozent vor dem Studium eine Ausbildung absolviert. Diese Personen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den Absolventen ohne vorherige berufliche Qualifikation: Sie stammen häufiger aus nichtakademischen Familien, sind zum Zeitpunkt ihres Abschlusses im Durchschnitt fast vier Jahre älter und studieren deutlich öfter an Fachhochschulen. Um Verzerrungen in den Ergebnissen zu vermeiden, wurden diese und weitere Faktoren bei der Analyse statistisch berücksichtigt.
Laut Dahms Berechnungen, die sich ausschließlich auf abhängig Beschäftigte beziehen, ist der inflationsbereinigte Bruttostundenlohn ein Jahr nach dem Diplom, Magister, Staatsexamen oder Master etwa fünf Prozent höher bei denjenigen mit Berufsausbildung im Vergleich zu denen mit rein akademischer Ausbildung. „Bei der Berufseinführung zahlt sich die berufliche Vorqualifikation also aus“, so der Forscher. Fünf oder zehn Jahre nach dem Abschluss sind jedoch keine signifikanten Unterschiede mehr feststellbar.
In Bezug auf die Jobsicherheit haben die ehemaligen Auszubildenden leicht die Nase vorn: Nach einem Jahr haben sie zu 44 Prozent einen unbefristeten Arbeitsvertrag, die anderen Befragten zu 41 Prozent. Auf lange Sicht gleichen sich die Werte an: Nach zehn Jahren sind etwa 90 Prozent beider Gruppen unbefristet beschäftigt. Bei der Frage, ob die Arbeit der Qualifikation entspricht, schneiden die Mehrfachqualifizierten sogar etwas schlechter ab. Von ihnen geben ein Jahr nach dem Studium 82 Prozent an, dass für ihren Job ein akademischer Abschluss erforderlich ist, von den Befragten ohne Berufsausbildung 84 Prozent. Der Unterschied bleibt im Laufe der Jahre nahezu gleich.
Eine Ausbildung vor dem Studium hat keinen messbaren Einfluss auf die berufliche Zufriedenheit. Laut Dahm ändern sich die wesentlichen Erkenntnisse auch dann nicht, wenn die Daten nach Merkmalen wie Geschlecht, sozialer Herkunft, Hochschultyp oder dem fachlichen Zusammenhang zwischen Ausbildungsberuf und Studienfach ausgewertet werden. Ebenso wenig unterscheiden sich die gemessenen Effekte zwischen den Abschlussjahrgängen.
Und auch wenn man die Absolventen mit Bachelor-Abschluss betrachtet, ergibt sich ein ähnliches Muster – wobei die Ergebnisse hier aufgrund der geringen Fallzahl weniger belastbar sind. Insgesamt zeigt die Analyse, dass „Mehrfachqualifizierte punktuell durchaus höhere Arbeitsmarkterträge erzielen können als Hochschulabsolventen ohne vorakademische Berufsausbildung“, so der Wissenschaftler.
Letztendlich ist jedoch der tertiäre Abschluss für die Höhe dieser Erträge entscheidend. Immerhin ist es nicht mit Nachteilen verbunden, vor dem Studium einen Ausbildungsberuf zu erlernen. Diejenigen, die es nach der Ausbildung an die Hochschule zieht, dürften langfristig in aller Regel deutlich besser dastehen als diejenigen, die keinen akademischen Abschluss haben. Daher sollte Auszubildenden der Zugang zur Hochschulbildung so einfach wie möglich gemacht werden – beispielsweise durch ein „Berufsabitur“, das sich während der Ausbildung erwerben lässt.