Für die Industrie wird die hohe Abbrecherquote bis zu 60 Prozent in Elektro- und Informationstechnik zunehmend zum Problem – zusätzlich zu den ohnehin seit Jahren sinkenden Studienanfängerzahlen. Eine Studie hat die Hintergründe untersucht und Lösungsansätze entworfen.
Die hohen Abbruchquoten in Elektro- und Informationstechnik machen Sorge. Diese liegen laut vorliegender Untersuchung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) zwischen 45 und 51 Prozent. VDE-Arbeitsmarktexperte Dr. Michael Schanz, der regelmäßig eigene Berechnungen u. a. anhand von Zahlen des Statistischen Bundesamtes anstellt, kommt sogar auf noch schlechtere Werte: »Nach meinen Berechnungen schätze ich die Schwundquote in der Elektro- und Informationstechnik mittlerweile auf über 60 Prozent, mit weiter steigender Tendenz.«
Das Thema sei eine Großbaustelle und nicht hinnehmbar, klagt der erfahrene Arbeitsmarktexperte. Auffallend sei im zeitlichen Verlauf »eine saubere Poisson-Verteilung mit Maximum im 2. Semester«, so der VDE-Vertreter. In späteren Semestern hingegen gibt es keine Ausschläge mehr. Schanz‘ Fazit: »Die Entscheidung für den Studienabbruch fällt mehrheitlich im ersten Semester.«
Das bedeutet, dass der Übergang Schule zu Studium genauer angeschaut werden muss. Woraus resultiert die Desillusionierung, die die meisten Abbrecher treibt? Zum einen fehlt es Abiturienten offenbar fachlich an den geforderten Qualifikationen, trotz guter und sehr guter Schulnoten in Mathe und Physik. Für Dr.-Ing. Schanz ist das »erschreckend« und lasse Rückschlüsse auf die Schulbildung in diesen Fächern zu. Er fürchtet eine größer werdende Lücke zwischen Schulmathematik und dem Einstieg in die Ingenieurmathematik.
Zum anderen scheint es die Theorielastigkeit vor allem im Grundstudium zu sein, die missfällt. Für viele Befragten waren ursprünglich mal der »Einblick in den aktuellsten Stand der Technik« und »eigenverantwortliches Arbeiten und Tüfteln« die reizvollen Highlights. Dass es inhaltlich vor allem um Mathematik, Bauelemente und Programmieren gehen würde, war den Befragten bewusst, und dass damit sichere mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse für den Studienerfolg vonnöten sind, auch. Die Mehrheit der befragten Studienanfänger ging mit guten bis sehr guten Noten in den Fächern Mathematik, Physik und, sofern an der Schule angeboten, Informatik in das Studium der Elektrotechnik. Sie schätzten sich selbst meist als leistungsstark und begabt ein und wählten das Fach aus Interesse.
Doch dass es dann vor allem auf ein Durchquälen hinauslaufen würde, brachte Abbrecher wie »Nina, 23 Jahre« (Name von den Studienautoren geändert) letztlich zur Aufgabe. Ninas Fall: Sie hatte schon immer Spaß an Mathematik und Physik. Sie hatte in den Fächern gute Noten und in Informatik eine Drei und schätzte sich selbst als gut ein. Doch tatsächlich sei Schulphysik und -mathematik was anderes als an der Uni. Das sei ihr schon nach der ersten Vorlesung klar geworden: »Einfach zu schwierig ist, was sie in Physik und Mathematik gefordert haben.« Zum Abbruch des Studiums kam es dann relativ schnell, auch weil Nina schnell klar gewesen sei, »dass mir das dann auf Dauer auch keinen Spaß machen wird« und ihr der Leistungsaufwand zu hoch sein würde. Neben Mathematik war vor allem das Modul Physik 1 ausschlaggebend für den Studienabbruch.
Wer nicht abbricht, der beschreibt laut Studie Durchhaltevermögen als die entscheidende Fähigkeit, um Elektroingenieur zu werden. Die Studienautoren sehen hier Verbesserungsansätze, denn »wenn es die zentrale Fähigkeit ist, dann verweist das sicher nicht unbedingt auf freudvolle Lernwelten, in denen sich (in der schönen Theorie) Teams gemeinsam Wissen aneignen und Neues entdecken und Lehrende zu Lernbegleitern werden«. Sondern es liege die Vermutung nahe, dass das Studium der Elektrotechnik »eher einer schweren Last gleicht als einem spannenden Lern- und Entwicklungsprojekt«.
Studienabbrecher »Adam« gibt zu, dass er sich zu wenig informiert hat und sich von Verheißungen hat treiben lassen. Dann der Schock gleich zu Beginn: »Ich hätte mich durchquälen müssen.« Physik hatte Adam schon vor der Oberstufe abgewählt und hatte davor sehr schlechte Noten. Informatik hatte er vor dem Studium noch gar nicht und in Mathematik nur eine 4+. Selbsttests habe es an seiner Fachhochschule vor Beginn des Studiums nicht gegeben. Adam wechselte dann zu Informatik und »ist damit sehr zufrieden«.
»Fadi« wurde E-Technik von seinem Lehrer empfohlen, obwohl er ursprünglich eher die Polizeilaufbahn einschlagen wollte und von einem Freund wusste, dass Mathe im E-Technik-Studium eine Herausforderung sei. Aber gut in Informatik und in Physik, habe er auf die Empfehlung des Lehrers gehört. Anfangs habe es Fadi Spaß gemacht, doch »aufgrund des umfangreichen Arbeitspensums« an der Uni habe er die Motivation verloren, wollte nicht mehr nur sitzen und lernen, sondern »etwas Praktischeres machen«.
Dass der Inhalt des Studiums zu umfangreich und zu schwer gewesen sei, gaben insgesamt rund acht von zehn Befragten in der Stude an, sinngemäß: Der Stoff war inhaltlich zu schwer, der Studien- und Prüfungsstoff zu umfangreich, der Leistungsdruck zu hoch und das Studium mit zu wenig Praxisbezug. Fast sieben von zehn Befragten stimmen zu, dass sie von Anfang an nicht mitkamen und keinen Sinn mehr in dem sahen, was sie lernen sollten.
Und, Fachkräftemangel hin oder her, es werde von Anfang an ausgesiebt, findet »Michael«, 25 Jahre, Abbruch im 3. Semester. Von Beginn an sei man »mit Stoff überschüttet« worden, was ihm nach wenigen Tagen das Gefühl gab, »niemals hinterherzukommen«. Sein Eindruck: »Die versuchen wirklich auszusieben, einen gewissen Teil so früh wie möglich rauszukicken, um nur einen kleinen Teil am Ende durchzuführen.« Michael hätte sich stattdessen einen Eignungstest gewünscht, damit nicht über die Klausuren ausgesiebt werden müsse.
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das zwar richtig – Eignungstest stellen sicher, dass fachliche und motivationale Faktoren stimmen. Doch für die E-Technik-Branche ist das de facto keine Option. Würde man harte Kriterien ansetzen, würden zu wenige am Ende das Fach wählen – der Fachkräftemangel bliebe bestehen. Im Gegenteil, so die Studienautorin Dr. Maya Götz vom IZI: »Aus gesellschaftlicher Perspektive muss es darum gehen, mehr junge Menschen für dieses Berufsfeld zu begeistern und sie durch eine fundierte Ausbildung für die Arbeit in der Informations- und Elektrotechnik zu qualifizieren.«
»Elektrotechnik ist scheinbar nicht so wie andere Studiengänge«, schlussfolgert Dr. Michael Schanz. Die Menge an Grundlagenstoff in den ersten Semestern, ohne praktische Bezüge herzustellen, führe zu der Annahme: »So sieht also mein Studium und vielleicht auch der spätere Beruf aus. Das ist nichts für mich.« Und folgert: »Wir schaffen es nicht, die jungen Menschen ausreichend zu begeistern und zu motivieren, bevor das Studium erst richtig interessant wird. Also bei Praxisprojekten, Bachelor- oder Masterarbeiten.«
Für mehr als acht von zehn Befragten waren die inhaltlichen Anforderungen und der Leistungsdruck das herausragende Motiv des Studienabbruchs, durchzuhalten sei die Eigenschaft Nummer 1 im Studium. Schanz: »Das heißt doch, dass diejenigen mit einer Augen-zu-und-durch-Mentalität die besten Chancen auf Erfolg haben. Wir müssen es schaffen, auch andere Typen zum Erfolg zu führen.«
Schanz‘ Vorschlag: mehr paktische Bezüge, etwa über kleine Videos, die den Studierenden bereits vor Vorlesungsbeginn gezeigt werden könnten. Auch Gehaltstabellen wären geeignet. »Schließlich wollen die jungen Leute von ihrem späteren Beruf gut leben können. Mathe muss schon sein, aber es wäre wahrscheinlich klüger, die Mathematik dann zu intensivieren, wenn diese in den technischen Fächern gerade benötigt wird. Also: Mathe on Demand. So bleibt der Stoff eher hängen und es ist sofort der Anwendungsbezug hergestellt. Eine Imagekampagne für Schülerinnen und Schüler würde auch gegen den Studienabbruch wirken. Mit einem positivem Bias wird die Lernerei sicherlich einfacher.«