Der Fachkräftemangel in der Elektronik ist so stark wie selten zuvor, aller derzeitigen Krisen zum Trotz. Geschäftsleiterin Tanja Hochschild, Head of Digitalization, und Geschäftsleitungskollege Arnt Stumpf, Personalleiter, erklären ihre Strategie für Würth Elektronik eiSos im Interview.
Markt&Technik: Frau Hochschild, Herr Stumpf, bekommen Sie bei Würth Elektronik aktuell die benötigten Fachkräfte?
Tanja Hochschild: Es ist schwierig, Fachkräfte zu bekommen. In meinem Bereich, der IT, arbeite ich teilweise mit Freelancern und strategischen Partnerschaften. Allgemein nutzen wir auch Headhunter, sind in Social Media sehr aktiv und arbeiten mit Hochschulen zusammen. Wir bieten beispielweise Themen für Abschlussarbeiten, um mit Studierenden in Kontakt zu kommen. Beispiele für die Kooperation mit Lehrstühlen sind Gastvorträge oder das Netzwerk zum Thema Elektronikvertrieb, das wir pflegen.
Arnt Stumpf: Unsere Bemühungen starten nicht erst bei der einzelnen zu besetzenden Stelle. Das Image des Arbeitgebers ist immens wichtig. Das, was uns auszeichnet, wie unsere Unternehmenskultur der Teilhabe und Anerkennung, unsere Fortschritte bei Diversity und New Work, die Dinge, die unserer extrem geringen Fluktuation zugrunde liegen, müssen bekannter werden. Hier haben wir noch einiges vor, und dazu gehören auch vordergründig weniger offensichtliche Maßnahmen. Die Tatsache, dass wir individuell auf Aussagen in Bewertungsportalen eingehen, beispielsweise.
Ändert die aktuelle Krisenlage etwas an Ihrer Personalplanung? Ab wann käme ein Hiring Freeze in Betracht?
Hochschild: Trotz der Krisen wachsen wir derzeit weiter. Die Krisen haben keinen Einfluss auf unsere Personalplanung – Corona hatte sogar die Auswirkung, dass IT und Elektronik noch wichtiger geworden sind.
Welche Profile an Ingenieuren und Fachkräften suchen Sie besonders dringend?
Hochschild: In meinem Bereich suchen wir vor allem Expertinnen und Experten für Data Science, KI, Prognoseverfahren, aber auch für Web Applications und UI/UX. Das hängt mit der wachsenden Bedeutung zusammen, die wir Design- und Konfigurationshilfen für die Elektronik beimessen. Bei den Elektroingenieurinnen und -ingenieuren sind vor allem zwei Profile besonders dringend gefragt: Zum einen brauchen wir Spezialist:innen mit besonders tiefen Fachkenntnissen, zum anderen kommunikationsstarke Generalist:innen, die beispielsweise als Field Application Engineer oder Sales Engineer unsere starke Service-Orientierung verkörpern.
Die Zahl der Elektro- und Informationstechnik-Absolventen sinkt seit zehn Jahren. Dazu kommt der demografische Wandel. Wie bereiten Sie sich auf diese Situation vor?
Hochschild: Wir sind ein Ausbildungsbetrieb – auch mit dualem Studium – und engagieren uns stark in den Hochschulen. Ein Problem ist bei technischen Berufen allerdings das angestaubte Image des Männerberufs – damit verschenkt man gesellschaftlich die Hälfte des Potenzials. Wir fördern bei uns Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, doch muss man hier noch früher ansetzen und bereits Schülerinnen ermutigen, sich einen technischen Beruf zuzutrauen, und seine Attraktivität deutlicher machen.
Stumpf: Der Kontakt zum potenziellen Nachwuchs, gerade auch zum weiblichen, ist tatsächlich etwas, das durch Corona gelitten hat – hier müssen wir unsere Aktivitäten wieder verstärken. Um auf den demografischen Wandel zurückzukommen: Dieser ist für uns kein direktes Problem – wir haben einen Altersdurchschnitt von 34. Die Überalterung in anderen Betrieben erzeugt allerdings einen starken Sog durch Abwerbungsversuche. Es ist daher für mich ganz entscheidend, nicht nur neue Fachkräfte zu gewinnen, sondern vor allem unsere Fachkräfte bei uns zu halten. Durch New-Work-Konzepte oder einfach dadurch, dass wir darauf achten, dass unsere Unternehmenskultur erlebbar bleibt. Die Tatsache, dass sich bei uns jeder und jede selbstbewusst in die Diskurse einbringen kann. Auch hier war Corona ein Rückschlag, weil die in den vergangenen zwei Jahren neu Eingestellten noch gar nicht richtig den Gemeinschaftssinn, den Spirit, der uns ausmacht, erleben konnten.
Haben Sie bereits im Ausland für Deutschland rekrutiert? Wie sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?
Hochschild: Das ist tatsächlich schon lange eine ganz normale Praxis bei Würth Elektronik, und die Erfahrungen mit unseren internationalen Teams sind sehr gut. Seit Corona ist die Remote-Arbeit zudem so etabliert, dass einige Teams nur noch virtuell arbeiten. Wie selbstverständlich die Remote-Kommunikationstechnik mittlerweile für uns ist, ist mir aufgefallen, als ich neulich aus lauter Gewohnheit mit einer Bewerberin eine Videokonferenz vereinbart habe, obwohl sie hier aus der Region stammt und ich sie einfach zum persönlichen Gespräch hätte einladen können.
Stumpf: Wir hatten vor allem um 2010 herum viele spanische Fachkräfte eingestellt. Als diese nach und nach in ihre Heimat zurückkehren wollten, haben wir für sie eine Betriebsstelle in Spanien gegründet, um die Kolleginnen und Kollegen zu behalten.
Angenommen, Sie könnten den Personalbedarf in Deutschland nicht mehr decken. Würden Sie dann Kapazitäten im Ausland auf/ausbauen, um das zu kompensieren?
Stumpf: Das tun wir bereits, bevorzugt in ähnlichen Zeitzonen, um die Kommunikation zu erleichtern. Es hat sich dabei bewährt, in den Niederlassungen außerhalb Deutschlands ganze Teams für bestimmte Aufgabenbereiche zusammenzustellen.
Sehen Sie, dass die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt zu steigenden Gehältern führt?
Stumpf: Es ist unser Ziel, unsere Mitarbeitenden fair und entsprechend ihrer Verantwortung zu entlohnen. Selbstverständlich werden die Gehälter steigen. Das ist eine Managementaufgabe, der wir uns stellen. Um ein realistisches Bild des Marktes zu bekommen, haben wir uns an einer externen Gehaltsstudie beteiligt. Das wäre ohnehin unsere Strategie gewesen, passt aber jetzt gut zur aktuellen Situation.